"Fortnite wird nicht so
schnell verschwinden"

Die Welt der Videospiele steht vor einer neuen Ära. Mit der Ankündigung von Stadia und einer neuen Generation von Spielkonsolen am Horizont werden die Karten neu gemischt. Der Wiener Spielewissenschafter Konstantin Mitgutsch erklärt im Interview mit News.at, warum Fortnite dennoch ein Fixstern im Gaming bleibt und welche Rolle Virtual Reality noch spielen könnte.

von Videospiele - "Fortnite wird nicht so
schnell verschwinden" © Bild: Shutterstock

Es ist nicht allzu lange her, da wurde die Renaissance von Virtual Reality gehypt. Ist VR mittlerweile wieder tot?
Der große Hype ist vorbei und Virtual Reality (VR) hat sich nicht durchgesetzt, das ist in dieser Klarheit so zu sehen. Man muss aber ergänzen, dass dies nur für das Gaming gilt. Im Trainingsbereich hat VR durchaus Fuß fassen können. Auch im Kunstbereich gibt es spannende VR-Projekte. Mittlerweile gibt es sogar Hardware, die explizit nicht für den Spieler-Markt gedacht ist.

Aber die Google-Ankündigung von Stadia kann potenziell alles verändern, auch VR und Augmented Reality (AR). Bei beiden Interaktionsformen hat es bislang kleine Einschnitte gegeben, die eine positive Spielererfahrung geschmälert haben.

© Shutterstock Virtual Reality steckt in den Kinderschuhen. Immer noch.

Meinen Sie damit zum Beispiel die einschränkende Verkabelung der Geräte?
Ganz genau. Wenn Dienste wie Stadia es nun möglich machen würden, über ein normales Smartphone hochwertige und aufwändige visuelle Inhalte einfach zu streamen, würde es und für flüssige Experiences sorgen.

Man bräuchte keine komplexe VR mehr und die Entwicklung könnte sich auf spannende Themen stürzen wie Social VR. Die soziale Komponente, die mittlerweile an allen Ecken und Enden des Gaming große Bedeutung hat, ist bei VR bislang noch zu kurz gekommen. AR hat diese Hürde mit dem Spiel Pokémon Go ja auch nur ein einziges Mal bewältigen können.

»Wo ist denn dieses VR-Spiel, das alle einmal gespielt haben müssen?«

Kann man den Misserfolg bei Spielern wirklich drauf festnageln, dass ein gewisser Bedienkomfort noch nicht vorhanden war?
Zu einem Teil stimmt das sicherlich. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, das VR noch der große Hit fehlt. Wo ist denn dieses VR-Spiel, das alle einmal gespielt haben müssen?! Dieser Fall ist noch nie eingetreten. Dieses eine große VR-Spiel sehe ich auch noch nicht am Horizont, das kann aber Ruckzuck gehen.

Weil Sie vorhin Google Stadia erwähnt haben: Wie ernst ist es Google damit und glauben Sie, dass Stadia künftig eine Rolle spielen wird?
Wenn Google aus dem Fiasko von Google+ gelernt hat, dann hätten sie jetzt mit Stadia die Gelegenheit vorzulegen. Im Prinzip steckt ja nichts anderes dahinter als ein „Netflix für Games“ oder ein „Krieg der Streaming-Sterne“, wenn man so möchte. Es geht nur darum, sich auf dem Markt gegen andere durchzusetzen.
Ich würde Stadia also auf jeden Fall ernst nehmen, die Frage ist natürlich, wie der Dienst in der Umsetzung letztendlich aussieht. Unabhängig davon, wer sich durchsetzt, werden Streaming und Abo-Dienste im Spielebereich die Zukunft sein. Und Stadia wirbelt wenigstens viel Staub auf in der Industrie, weil es in diesem Zusammenhang relativ schnell um Existenzen gehen kann.

Lässt sich da schon abschätzen, wer die besten Karten hat?
Google hat in diesem Rennen nicht die besten Karten und muss in der Industrie erst einmal beweisen, dass sie ein ernstzunehmender Partner sein können. Da sind andere einfach schon besser drin im Markt wie zum Beispiel Microsoft mit dem „Game Pass“-Modell oder der „Origin Access” von Electronic Arts ist auch beliebt.

Natürlich gibt es eine Begeisterung für die Vision von Google, aber dann gibt es eben nochmal die Realität. Die Frage ist auch, ob ein Hardcore-Gamer mit einem hochgerüsteten PC oder ein Konsolenbesitzer dazu bereit ist, sein Equipment für eine cloudbasierte Lösung komplett aufzugeben, vor allem wenn die Internetverbindung dafür schnell sein muss und es noch Probleme mit der Latenz gibt.

© Shutterstock Phänomen Fortnite. Always on.

Das Videospiel Fortnite hat Kinder- und Wohnzimmer fest im Griff. Wie lange glauben Sie, dass dieser Trend noch anhält?
An Fortnite besonders interessant ist das Alter der Spieler und gerade bei Jugendlichen ist dieses Spiel massiv eingeschlagen. Mit dem Aufkommen ähnlicher Games wird es interessant sein zu beobachten, wer daran noch festhalten wird. Fortnite ist immerhin schon ein Bestandteil der Jugendkultur geworden, der kulturelle Impact an sich ist gewaltig. Es hat uns ja im Prinzip fast alle irgendwie erreicht, ob wir wollten oder nicht.

Es ist schwierig, bei solchen Phänomenen eine genaue Prognose zu fällen. Aber ich bin überzeugt davon, dass Fortnite nicht schnell verschwinden wird. Dafür ist die Marke zu einflussreich, dafür hat Entwickler Epic Games noch einen zu großen Vorsprung – auch in seiner popkulturellen Verankerung.

»Es ist eben nicht so, dass für Fortnite ein neues Spielprinzip erfunden worden ist«

Apex Legends, Battlefield Firestorm, Call of Duty Blackout - Bleibt uns dieses Spielprinzip in dieser Dichte erhalten? Was ist das Erfolgsrezept?
Vergleicht man die genannten Titel mit den Parade-Shootern der 90er Jahre wie beispielsweise Counterstrike, dann ist es eben nicht so, dass ein komplett neues Genre erfunden worden ist. Ich glaube vielmehr, dass sich das Battle-Royale-Spielprinzip, das Fortnite zurzeit an die Spitze treibt, ideal mit weiteren Trends verbunden hat. Vor allem in Verbindung mit dem Streamen der ganzen Stars und Influencer über YouTube und Twitch hat das hervorragend geklappt. Mit dem Lauf der Zeit werden sich ein paar Marken herauskristallisieren, die bleiben, der Rest wird gehen.

Könnte man also skurrilerweise sagen, dass es gar nicht das Spiel ist, das Fortnite ausmacht?
Absolut. Interessant zu beobachten ist, wie gut es Fortnite im Rezept für ein erfolgreiches Spiels geglückt ist, die richtigen Zutaten zu verwenden. Die Spielmechanik selbst ist nur ein kleiner Bestandteil unter vielen anderen. Die Monetarisierung, die Tänze, das Streaming, also das ganze Drumherum macht Fortnite zu einer tollen Mischung, die weit über das Spiel alleine hinausgeht.

Das Freemium-Prinzip der Apps wütet immer noch stark in der Spieleindustrie. Games-as-a-Service, Zusatzinhalte zum Herunterladen und Season Pässe ziehen das Spielerlebnis künstlich in die Länge, Loot-Boxen machen Spielfortschritt oft zu einem teuren Idiotenbingo. Glauben Sie, dass Entwickler immer noch ausprobieren, wie weit sie gehen können?
Mit dem Aufkommen von Social Games, also Facebook-Spielen wie Farmville, hat es damals den Trend gegeben psychologische Tricks einzusetzen, um Spieler dazu zu bringen in kleinen Beträgen Geld auszugeben. So hat eigentlich alles im Kleinen angefangen, und das wurde von der traditionellen Gaming-Industrie eiskalt kopiert. Es wäre also nicht einmal so, dass man etwas Neues erfunden hätte, man hat es lediglich verfeinert und perfektioniert.

Der nächste Trend, der sich meiner Meinung nach abzeichnen wird, ist die Individualisierung von Spielen über Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Das wird unterschiedliche Auswirkungen haben: Man wird zum einen als Gamer das Gefühl haben, dass einem das jeweilige System die richtigen Spiele nach seinem Geschmack vorschlagen wird. Zum anderen werden wir dafür auch unsere Daten hergeben müssen, die dann als entsprechende Anreiz-Modelle zu uns zurückkommen.

Dieses Schaffen von Anreizen und die Gamification werden sich mehr und mehr den individuellen Bedürfnissen anpassen, das Geldausgeben wird also maßgeschneidert. Die Idee dahinter ist, dass man genau das bekommt, was seinem Bedürfnis entspricht und mit anderen Anreizen gar nicht konfrontiert wird.

»Die gegenwärtige Gamer-Community hat einen Habitus entwickelt, dass sie alles haben will«

Andersrum gefragt: Sind Spiele zu billig geworden oder die Entwicklungen zu groß?
Nein, die Erwartungshaltung an Spiele ist von der Community extrem in die Höhe geschraubt worden. Leute wie wir waren damals in den 90er Jahren der Technologie gegenüber viel offener, es gab gewisse Grenzen, die wir alle akzeptiert haben. Die gegenwärtige Gamer-Community hat einen Habitus entwickelt, dass sie alles haben will und legt eine aggressive Haltung an den Tag, wenn das nicht der Fall ist. Das kann bei hochwertigen Produktionen mit Millionenbudgets funktionieren. Für viele kleinere Studios ist das aber überhaupt nicht mehr erreichbar.

© Shutterstock 2020 beginnt ein neues Kapitel für Spielkonsolen. Es ist vermutlich das letzte.

Was würde dagegen sprechen, für ein Spiel – sagen wir - 100 Euro zu bezahlen, dafür aber gleich ein fertiges Produkt zu bekommen?
Aktuell würden das Gamer nicht verstehen, das wäre ein großer Tabubruch. Speziell deshalb, weil es mittlerweile so viele Preismodelle und eben auch das Freemium-Prinzip gibt. Als Entwickler müsste man dafür zuerst Vertrauen zur Community aufbauen.

Das wäre im Übrigen auch ein Trend, den ich für die Spieleindustrie voraussagen würde: Die Entwicklung eines besseren Verständnisses über die Community. Noch stärker zu verstehen, was die Community braucht, was sie will, wofür ist sie bereit zu zahlen. Unter diesen Voraussetzungen könnte sich schon ein Preismodell entwickeln, das einmalig einen höheren Betrag für ein Spieleprojekt vorsieht.

Nächstes Jahr wird eine neue Generation von Spielkonsolen eingeläutet. Glauben Sie, dass es die letzte im klassischen Sinn sein wird?
Es wird auf jeden Fall das letzte Mal sein, dass eine neue Konsolengeneration in einer Gaming-Landschaft erscheinen wird, wie es sie in den letzten 10 Jahren gab. Es kann aber ohnehin sein, dass sich die Bedürfnisse in den nächsten Jahren ganz stark ändern werden. Geht man etwa davon aus, dass man bei cloudbasiertem Gaming auf jedem erdenklichen Gerät spielen kann, könnte beispielsweise die Frage nach Controllern eine ganz neue Bedeutung gewinnen. Vielleicht setzt sich dann also eine völlig neue Form von Controllern durch, der Rest der Hardware würde dann keine Rolle mehr spielen.

»Durchaus vorstellbar, dass man einen Battle-Royale-Modus mit einer Million Menschen gleichzeitig austrägt«

Ihre Einschätzung: Was ist das nächste große Ding?
Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass AR und VR schon ad acta zu legen sind. Gerade dort ist der Spielraum nämlich noch groß, um sich von der Konkurrenz abheben zu können. Die Spielegenres sind alle im Übermaß bedient, da ist nicht mehr viel Neues zu erwarten. Ich würde schon prophezeien, dass sich da in den nächsten fünf Jahren etwas vollkommen Neuartiges ergeben wird.

© Shutterstock Braucht es mehr Kreativität bei der Entwicklung von Spielen?

Ansonsten bin ich der Überzeugung, dass Mehrspieler-Erlebnisse aufgrund der zunehmenden Rechenleistung noch einmal eine ganz neue Dimension bekommen werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass man dann einen Battle-Royale-Modus mit einer Million Menschen gleichzeitig austrägt anstelle von derzeit 100 Personen.

Und was würden Sie sich persönlich wünschen?
Ich würde mir wieder mehr Experimentierfreude bei den Indie Games der großen Entwickler wünschen. Der Trend geht leider genau in die entgegengesetzte Richtung, dass man funktionierende Modelle mit Millionen-Budgets aufbläht und wiederholt. Es wäre erstrebenswert, dass sich die Spieleindustrie die Kreativität behält, die sie ursprünglich eigentlich ausgezeichnet hat. Sonst gehen wir auch in diesem Bereich in eine Zukunft reiner Marken- und Vermarktungsmaschinerie.

© © Lea Fabienne Photography

Zur Person: Konstantin Mitgutsch ist österreichischer Forscher, Autor und Spielentwickler auf dem Gebiet der pädagogischen Lerntheorien und der Computerspielforschung. Seit 2007 veranstaltet er die jährlich stattfindenden Vienna Games Conference (FROG) und 2014 gründete er das Beratungsunternehmen „Playful Solutions“.