Verkürzte Arbeitszeit: Nur noch 35 Stunden arbeiten?

Trotz gestiegener Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in Zeiten der Coronakrise boomen Überstunden und lange Arbeitstage. Können verkürzte Arbeitszeiten dieses Problem lösen? Die Arbeiterkammer fordert seit Jahren eine Verkürzung der regulären Arbeitszeit und hält diesen Schritt jetzt für wichtiger denn je.

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Job - Verkürzte Arbeitszeit: Nur noch 35 Stunden arbeiten?

Geht es nach den nicht selbständig erwerbstätigen Österreichern, würden sich viele eine verkürzte Arbeitszeit wünschen, wie eine Umfrage aus dem Jahr 2019 zeigt. Davon sind wir momentan allerdings weit entfernt.

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56 Millionen Überstunden - eine ungleiche Verteilung

Seit am 1. September 2018 das neue Arbeitszeitgesetz der damaligen türkis-blauen Regierung in Kraft getreten ist, sind laut Arbeiterkammer die Zahl der langen Arbeitstage gestiegen, also Tage mit mehr als acht Stunden Arbeitszeit. Bei der Arbeitsklima-Index-Erhebung mit einem Befragungszeitraum von Juli 2019 bis September 2020 gab die Hälfte der Befragten an, mindestens ein- bis zweimal im Halbjahr mehr als zehn Stunden zu arbeiten, rund ein Drittel sogar einmal pro Monat.

Grafik kange Arbeitstage
© Arbeiterkammer Oberösterreich/Arbeitsklima Index Grafik der Arbeiterkammer: Ein Drittel hat häufig überlange Arbeitstage

Im dritten Quartal 2020 leisteten mehr als 610.000 unselbständig Erwerbstätige insgesamt 56 Millionen Überstunden. Laut Arbeitsklima Index sagt die Hälfte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit langen Arbeitstagen, dass sie Überstunden auch nach der zehnten Arbeitsstunde nicht ablehnen kann. Ende Jänner 2021 waren in Österreich 535.470 Personen arbeitslos oder befanden sich in Schulung. Zusätzlich befanden sich rund 470.000 Personen in Kurzarbeit. Während die einen also keine oder zu wenig Arbeit haben, leisten andere Monat für Monat Überstunden.

Bessere Verteilung durch Verkürzung der Arbeitszeit

"Statt immer mehr Überstunden und Arbeitsdruck muss die Arbeit besser verteilt werden", sagt Johann Kalliauer, Präsident der Arbeiterkammer (AK) Oberösterreich, in einer Aussendung. Er fordert daher eine Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit auf 35 Stunden mit Lohn- und Personalausgleich. Als Grundlage für ein längerfristiges Modell könne für eine Übergangsphase das sogenannte "Solidaritätsprämienmodell" dienen. Dabei unterstützt das AMS eine Arbeitszeitreduktion im Betrieb, wenn gleichzeitig arbeitslose Personen eingestellt werden. Die Erfahrung mit der Corona-Kurzarbeit lege es nahe, mittelfristig kürzere Arbeitszeiten für alle anzustreben. "Das wäre auch ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung der extrem hohen Arbeitslosigkeit", teilt Kalliauer mit.

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Kalliauer betont auch, dass laut Gesetz Überstunden freiwillig sein müssen. Ab einer Tagesarbeitszeit von zehn Stunden haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen das Recht, angeordnete Überstunden ohne Angabe von Gründen einseitig abzulehnen. Laut einer Umfrage der AK Oberösterreich gaben rund die Hälfte jener, die innerhalb von drei Monaten zumindest einmal länger als zehn Stunden pro Tag gearbeitet haben, an, solche Überstunden nicht ablehnen zu können. Bei den Hilfsarbeitern sind es sogar mehr als 60 Prozent. Für diese Beschäftigten bestehe dieses Recht offenbar nur auf dem Papier, heißt es von Seiten der Arbeiterkammer.

"Allein in Oberösterreich haben vom März des Vorjahres bis Ende dieses Jänners fast 18.000 Betriebe für rund 255.000 Beschäftigte Kurzarbeit beantragt. Ohne diese Maßnahme wäre die Arbeitslosigkeit noch viel höher. Das zeigt, dass kürzere Arbeitszeiten funktionieren", sagt der OÖ-AK-Präsident.

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Gespaltene Politik

Die Politik zeigt sich in Sachen verkürzte Arbeitszeit gespalten: SPÖ-Chefin Rendi-Wagner plädiert schon seit längerem für eine 4-Tage-Woche. Es sei eine "Win-Win-Win-Situation" für Arbeitnehmer, Unternehmer und Staat - und koste nur ein Fünftel der jetzigen Kurzarbeit, wie sie argumentierte. Gegenwind kam 2020 sogar aus der eigenen Partei. In einem Interview sagte Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil damals: "Wenn man nach Deutschland schaut: Da haben 30 Prozent prekäre Arbeitsverhältnisse, die Leute brauchen einen zweiten, dritten Job. Wenn dort die Sozialdemokratie eine kürzere Arbeitszeit fordert, ist das polemisch und kurzsichtig. Aus meiner Sicht kann die Antwort der Sozialdemokratie nur der Mindestlohn sein. Wenn ich mit den Löhnen immer weiter runtergehe, bin ich wie in Deutschland irgendwann bei Hartz IV statt Mindestsicherung. Wer das macht, ruiniert die Sozialdemokratie. Darum sind die Sozialdemokraten in Deutschland, wo sie sind. Und wir, wo wir jetzt in den Umfragen sind."

Die ÖVP sieht die Debatte sowieso ganz anders: Sie hat schließlich 2018 die Arbeitszeitregelung durchgesetzt, die das Arbeiten von zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche erlaubt.