Was jeder über den Ort,
an dem er lebt, wissen sollte

"Die Erkenntnisse über Wohnen und Orte sind in der Zeit der Aufklärung verloren gegangen"

Die meisten Menschen spüren es in sakralen Bauten, auf dem Gipfel eines Berges oder mitten im Wald. Orte haben eine Wirkung auf uns. Doch meist können wir sie schwer zuordnen. Beeinflussen sie auch unser physisches und psychisches Wohlbefinden? Vielleicht sogar unser Schicksal? Wie real ist das alles? Eine Historikerin gibt Antworten.

von Vergessenes Wissen - Was jeder über den Ort,
an dem er lebt, wissen sollte © Bild: istock images
Dr. Roberta Rio ist promovierte Historikerin. Als Gastprofessorin ist sie unter anderem an den Universitäten von Bologna, Wien und Berlin tätig. Sie verfasste zahlreiche wissenschaftliche Artikel und Bücher. Die gebürtige Italienerin lebt in Villach (Kärnten) und in Bayern. Die historisch-intuitive Methode, mit der sie die Wirkung von Orten auf Menschen erforscht, präsentierte sie zum ersten Mal im Jahr 2011 bei einem Vortrag der Universität von Glasgow (Schottland).

Im Auftrag von Städten, Tourismusbetrieben und Privatpersonen geht die promovierte Historikerin Fragen auf den Grund, die naturwissenschaftlich (noch) nicht zu beantworten sind. Sie erforscht die Geschichte und die Wirkung von Orten auf deren Bewohner. In ihrem neuen Buch "Der Topophilia-Effekt" sammelte sie ihre Erkenntnisse und erklärt wie historische Ereignisse auch heute noch nachwirken können.

© lukas beck Roberta Rio sammelt in ihrem Buch Wissen aus der Antike und dem Mittelalter

Sie recherchieren die Geschichte von Gebäuden, Wohnungen oder Grundstücken. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Ein Teil meiner Arbeit findet vor Ort statt. Ich beginne mit der Begehung des Grundstücks oder der Immobilie. Ich rede mit den Menschen, die in der Umgebung wohnen. Ich erkundige mich über die unterschiedlichen Vorbesitzer. Dazu recherchiere ich auch in Stadt-, Gemeinde- oder Kirchenarchiven. Mein Fokus liegt darauf wiederkehrende Muster zu entdecken.

Was genau ist damit gemeint?
Wenn ich auf wiederkehrende Muster stoße, entsteht statistisches Datenmaterial, das ich an meinen Klienten weiterleite. Zum Beispiel: Wenn in einem Ort jede Firma, die dort ansässig war in die Schieflage geraten ist, dann besteht die Möglichkeit, dass sich auch heute noch dieses Muster zeigt. Ein anderes Beispiel, auf das ich im Zuge eines Auftrags gestoßen bin, war ein Wohnhaus, das über Jahrhunderte als Gerichtsgebäude diente. Das heißt: Früher sind die Menschen dort hingekommen, um zu streiten. Ob das Gebäude auch heute noch mit diesem Thema belastet ist, kann jeder selbst für sich entscheiden. Dass es die Information gibt, sehe ich jedoch als Vorteil an.


Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie bei ihren Recherchen Wissen berücksichtigen, das sich oft über Jahrtausende gehalten hat und erst in unserer Zeit, in der Rationalität und logische Nachvollziehbarkeit über allem steht, verlorengegangen ist. Können Sie das näher erklären?
Unsere Vorfahren – egal ob Römer, Etrusker oder frühere Völker - haben nie etwas dem Zufall überlassen. Egal ob bei ihrer Besiedlungsstrategie oder in punkto Gesundheit. Der „Genius Loci“ (Geist des Ortes) stand im Mittelpunkt.

» Ich wünsche mir in unserer rationalen Gesellschaft mehr Demut vor dem Volkswissen«

Von ihm ging eine Wirkung auf ihre Gesundheit, auf ihren beruflichen Erfolg und sogar auf Ihre Beziehungen aus, auf die unsere Vorfahren Wert legten. Mit dem Ergebnis, das sie dort , wo sie sich ansiedelten zurechtkamen. Dieser Teil unseres Wissens, wird heute leider nicht mehr berücksichtigt und manchmal als Aberglaube bezeichnet. Das Wissen ist da, auch wenn manches noch nicht messbar ist.

Was können wir von unseren Ahnen lernen?
Definitiv ihre Intuition. Sie haben sich viel stärker auf ihren ersten Eindruck verlassen. Auch Tiere oder überhaupt die Natur zu beobachten war damals stark verbreitet, um herauszufinden, wo man sich Niederlassen möchte. Dieses Wissen über Wohnen und Orte ist in der Zeit der Aufklärung verloren gegangen.

Durch dieses Bedürfnis nach Rationalität Messbarkeit ist vieles verloren gegangen. Der Zwang zur alleinigen Deutungshoheit der Wissenschaft über die Welt ist - wenn man die Menschheitsgeschichte betrachtet - ein blutjunges Phänomen. Ich wünsche mir in unserer modernen, rationalen Gesellschaft mehr Demut vor dem Volkswissen.

Wie unterscheidet sich ihre Arbeit von Esoterik?
Meine Arbeit hat nichts mit Esoterik zu tun. Ich bin Historikerin und beschäftige mich nur mit Fakten. Mit Geschichte und Statistiken.

Was könnte der moderne Wohnbau von ihren Thesen lernen?
Dieser historische Rückblick „was war davor“ zeigt, welchem ursprünglichen Zweck ein Ort diente. Diese Information kann in der Stadtplanung hilfreich sein und sogar Ideen liefern, in welche Richtung sich ein Ort weiterentwickeln kann.

»Ein ehemaliger Schlachthof ist kein guter Platz, um einen Wohnhausanlage zu errichten«

Zum Beispiel sind ein alter Friedhof oder ein Schlachthof keine guten Plätze, um einen Wohnhausanlage zu errichten. Man könnte dort stattdessen eine Mülldeponie oder eine Kompostierungsanlage bauen. Es gibt keinen Ort, der per se gut oder schlecht ist, wir können ihn nur gut oder schlecht nützen.

Es gibt also keine "schlechten" Orte?
Nein, es gibt nur Orte, die wir schlecht - also für die falschen Zwecke - nützen. Unsere Ahnen zum Beispiel überlegten sich sehr genau, wo sie ihre Friedhöfe anlegten. Die Orte mussten einen dafür geeigneten „Geist“ haben, also, zeitgemäßer formuliert, zum Beispiel Zersetzungsprozesse begünstigen. Wenn wir heute auf einem aufgelassenen Friedhof eine Kompostierungsanlage errichten, dann ist das eine gute Entscheidung, wenn wir dort ein Krankenhaus bauen, wohl eher eine schlechte. Genauso gibt es für Schulen und Kindergärten, für Amtshäuser und Gerichtsgebäude oder für Veranstaltungshallen und Restaurants gute oder schlechte Orte.

An welchen Orten würde Sie niemals wohnen wollen?
Ich vertraue immer auf meinem ersten Eindruck. Der Rest sind persönliche Vorlieben. Ich fühle mich in der Natur am wohlsten. Aus meiner beruflichen Erfahrung und dem daraus resultierenden statischem Datenmaterial kann ich aber sagen dass ich an einem Ort, der früher als Schlachtfeld gedient hat, am Gelände eines aufgelassenen Schlachthofes oder im Gebäude einer ehemaligen Metzgerei nicht wohnen würde. Ich war einmal in einer Wohnung, in der über Generationen hinweg eine Zahnarztpraxis war und das Bett stand genau dort, wo früher der Behandlungsstuhl war. Auch dort würde ich nicht gerne wohnen.

Im Buch geben Sie Anleitungen, wie jeder und jede selbst die Wirkung von Orten erkennen kann. Wie funktioniert das?
Wie schon erwähnt ist der erste Eindruck ganz wichtig. Wenn ich eine Wohnung oder Büro suche, dann ist es sehr wichtig zu beobachten, welche Menschen bereits in dem Gebäude wohnen oder arbeiten. Sind es gesunde, glückliche, erfolgreiche Menschen?

Man kann an ihnen viele Aspekte ablesen und beobachten. Eine Recherche von Vorbesitzern und der Umgebung kann ebenfalls nie schaden. Wenn ein Garten vorhanden ist, kann man auch beobachten welche Pflanzen gut wachsen. Auch Orts- und Straßennamen haben oft eine historische Bedeutung, die man kennen sollte.

Im Anhang ihres Werks findet sich eine Liste mit Tieren und Pflanzen. Erklären Sie, was es damit auf sich hat?
Die Liste stammt vom Österreichischen Verbandes für Radiästhesie & Geobiologie. Dabei geht es um die natürliche Strahlung der Erde – die sogenannte irdische Strahlung. Tiere und Pflanzen suchen oder meiden diese Strahlung, die für uns nicht gut ist. Ameisen etwa bauen ihre Nester dort, wo hohe Strahlenbelastung herrscht. Auch Katzen suchen immer diese Strahlung. Das sind weitere Orientierungsmerkmale, wie Orte auf uns und unseren Organismus wirken.

Wie kam es zu dem Buch?
Ich wollte meine Berufung mit anderen teilen. Ich erzähle darin auch, warum ich – nach dem Tod meiner Mutter - begonnen habe mich so detailliert mit der Wirkung von Orten auseinanderzusetzen. Als Historikerin bin ich natürlich daran interessiert was in den alten Schriften steht und sehe meine Aufgabe als Historikerin altes Wissen für unsere heutige Zeit wieder brauchbar zu machen.

Der Topophilia-Effekt: Wie Orte auf uns wirken*

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Es ist faszinierend herauszufinden, dass Ereignisse an manchen Orten immer wieder passieren und bis in die Gegenwart wirken. Warum das passiert, kann ich nicht sagen. Das ist nicht mein Forschungsgebiet. Das müssten die Naturwissenschaften klären, und ich fände es spannend, wenn sie es tun würden. Ich finde es wäre da eine interdisziplinäre Arbeit nötig. Da wäre ich sofort dabei.

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