Verfreundete Grenzgänger

Die "Neue Zürcher" ist mit einem Digitalprojekt für Österreich gescheitert. Doch die "Zeit" hat mit Austro-Seiten seit 17 Jahren Erfolg. Nun startet die "Süddeutsche" nach digitalen Tests mit einem papierenen Ösi-Projekt.

von Medien & Menschen - Verfreundete Grenzgänger © Bild: Gleissfoto

Linz liegt auf halber Strecke zwischen München und Wien. Salzburg und Tirol sind dem bayerischen Machtzentrum näher als dem österreichischen. Das gilt nicht nur für die räumliche Entfernung, sondern auch das etwas andere urbane Flair der Voralpen-Metropole. Ungeachtet des aktuellen Transitstreits und der historischen Verwerfungen ist die Mentalität in der Biertrinker-Hochburg den Älplern in vielem ähnlicher als die allfällige Weinseligkeit an der Donau.

Andererseits sieht Alexandra Föderl-Schmid München eher mit Wien verwandt als mit Berlin. Die langjährige Chefredakteurin des "Standard" muss es wissen. Sie war davor Korrespondentin in der deutschen Hauptstadt. Heute ist sie stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ"). Und die erscheint ab März jeden Samstag mit einer Österreich-Seite. Neben "SZ"-Korrespondentin Cathrin Kahlweit wird Hans-Peter Siebenhaar, der frühere "Handelsblatt"-Mann von Wien aus daran mitschreiben. Zumindest geistige Unterstützung garantieren die zwei Dutzend Österreicher und Herzens-Ösis (durch Heirat oder Wohnort) in der Münchner Zentrale von Deutschlands zweitgrößter Tageszeitung nach dem Boulevardriesen "Bild".

Den Vergleich hören sie in der "SZ" aber nicht gerne. Denn die versteht sich als liberaler Bannerträger des Qualitätsjournalismus. Diesen verbreitet sie täglich mit 315.000 verkauften Exemplaren für 1,2 Millionen Deutsche. Das sind jeweils 50 Prozent mehr als ihr konservativer Rivale, die "Frankfurter Allgemeine". Dazu kommen noch 245.000 Digital-Abos, 3,5-mal so viele wie vor der Pandemie. Der Online-Auftritt insgesamt verzeichnet bereits 17 Millionen Nutzer pro Monat. Föderl-Schmid sieht das als Erfolg einer sehr früh und konsequent hochgezogenen Paywall: "Journalismus kostet". Ihr früherer Arbeitgeber "Standard" setzt auf ein geradezu gegenteiliges Konzept.

Die Grenzüberschreitung der "Süddeutschen" ist nicht nur deshalb ein durchaus pikanter Akt der Verfreundung. Denn bis zu einem Wechsel der Gesellschafterstruktur 2008 war der SZ-Verlag eine Dekade lang mit 49 Prozent am "Standard" beteiligt. Die Phase überschnitt sich jedoch nur ein Jahr mit Föderl-Schmid als erster Chefredakteurin einer österreichischen Tageszeitung. Die 51-Jährige ist nun wieder ihren Eltern im Bezirk Rohrbach näher - wenn sie nicht gerade in der "Pressestunde" des ORF Kanzler Karl Nehammer befragt wie vergangenen Sonntag. Ihre Austro-TV-Präsenz hat unter dem Wegzug kaum gelitten. Auch in der "Runde der ChefredakteurInnen" taucht sie immer wieder auf.

Das geht sich aber nur aus, wenn sie nicht gerade "in Charge" ist. Aus dem Quartett der Münchner Chefredaktion leitet immer eine/r eine Woche lang operativ das gesamte Medium; neben der Print-Ausgabe also auch das journalistische Digitalangebot. Dort wurde die papierene Österreich-Offensive bereits 2019 vorweggenommen. Noch länger sondieren die Bayern mit einem Newsletter ihren südöstlichen Leser-Hinterhof. Laut Martin Langeder, einem weiteren Beute-Süddeutschen aus Oberösterreich, waren schon bisher oft 20 Austro-Artikel digital am Wochenende gebündelt.

Die "SZ" ist bereits das dritte deutsche Leitmedium mit eigenem Angebot für den Nachbarmarkt. Der "Spiegel" hat dafür eine Kooperation mit dem "Standard" begonnen. Die ebenfalls in Hamburg residierende "Zeit" kommt bereits seit 2005 mit Austro-Seiten auf eine mittlerweile sechsstellige Leserzahl in Österreich. Die Münchner verzeichnen unterdessen allein durch ihre Ankündigung einen dreistelligen Abo-Zuwachs. Weitere Zielzahlen lässt sich Föderl-Schmid aber nicht entlocken. Wahrscheinlich ist ihr eine Kulturänderung im Umgang mit Journalismus wichtiger: "In eineinhalb Jahren Chefredaktion hat sich bei mir noch kein Politiker über Berichterstattung beschwert."