"Es rattert in meinem Hinterkopf"

Als Vera Russwurm erstmals im ORF moderierte, hatte die SPÖ noch die Absolute und Peter Alexander einen Fixplatz in der Hitparade. Nach 37 Jahren im Showgeschäft schrieb sie nun einen Roman über ihre Erfahrungen - und erzählt, wie sie überlebte

von Fernsehen - "Es rattert in meinem Hinterkopf" © Bild: www.sebastianreich.com

Frau Russwurm, wenn man wie Sie hauptberuflich Fragen stellt - wie schwierig ist es dann, selbst Fragen vorbehaltlos zu beantworten und nicht überall gleich versteckte Fallen zu wittern?
Na sicher hat man da meist im Hinterkopf: Worauf will mein Gegenüber jetzt hinaus? Wenn es sich um ein Interview mit klar abgestecktem Fragenkatalog handelt, wo eine Frage nach der anderen abgehakt wird, dann rattert es in meinem Gehirn schon ab und zu mit. Um einen Menschen - und das gilt auch für mich - zu öffnen, muss man versuchen, ein Gespräch zu führen, und auf das, was er sagt, auch wirklich eingehen. Gerade in der Politik ist es leider oft so, dass sich kein richtiges Gespräch entwickelt, weshalb sich sehr oft nur Standardantworten ergeben.

War das der Grund, weshalb Sie die Politik ausgelassen haben? Sie könnten heute immerhin Gesundheitsministerin sein.
Oder vielleicht schon lange nicht mehr. Dieses Angebot ist ja jetzt doch schon eine Zeit lang her.

2007 machte Ihnen die ÖVP das Angebot, Maria Rauch-Kallat als Gesundheitsministerin zu beerben.
Und ich habe abgesagt, weil die Zeit mit meinen Kindern für mich unverzichtbar war. Wenn du in der Bundespolitik tätig bist, kannst du deine Familie vergessen. Das war sicher die richtige Entscheidung.

Die Kinder sind mittlerweile groß, und Sie sind nach wie vor das, wofür man Sie seinerzeit castete: nämlich die Vorzeige-Bürgerliche.
Na ja, also ich weiß nicht, Vorzeige-Bürgerliche? Aber die Frage stellt sich nicht, weil keiner mit mir gesprochen hat.

Würden Sie also apodiktisch sagen: "Die Politik interessiert mich nicht mehr?"
So, und genau jetzt rattert es in meinem Hinterkopf. Denn im nächsten Interview würde man mich dann festzunageln versuchen, so nach dem alten Motto: "Frau Russwurm, aber Sie haben doch in News gesagt " Dennoch, was ich jetzt sage, gilt: Ich bin aufgeschlossen für Neues und eine Überlegung kann man ja immer anstellen, Punkt. Ich kann nicht sagen, dass Politik für mich unspannend geworden ist, denn das würde einfach nicht stimmen, Politik war und ist ein interessantes Feld. Aber wenn ich jetzt dazu noch mehr sagen würde, so bekäme meine Antwort eine Bedeutung, die ihr faktisch nicht zukommt.

Sind Sie zynisch?
Kann ich so nicht sagen. Vielleicht manchmal. Aber eher nicht.

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Immerhin sind Sie seit fast vier Jahrzehnten im Mediengeschäft. Wie schafft man es, die Zynismen dieser Branche für so lange Zeit von sich fernzuhalten?
Wahrscheinlich dadurch, dass ich eine Familie mit drei Kindern habe. Wenn jemand ausschließlich in seiner Berufswelt lebt, empfindet er dort eine ganz andere Intensität und lässt diese Welt näher, manchmal vielleicht zu nahe, an sich herankommen. Und das ist der Unterschied zu mir: Ich verbringe mehr als 50 Prozent meiner Zeit in meiner ganz privaten Kinder-und Hausfrauenwelt. Außerdem habe ich gelernt, zu delegieren - und mit meinen Kommunikationsmitteln so umzugehen, dass sie mich nicht auffressen. Ich bin kein Kontrollfreak, der alles nachcheckt, man muss anderen auch vertrauen können. Statt tagelang im Schneideraum zu sitzen, mache ich lieber etwas mit meinen Kindern oder meinem Mann. Außerdem war ich, so altmodisch das klingt, immer demütig. Selbst während der größten Stressphasen muss ich nur kurz in die Welt hinausschauen, und schon bin ich dankbar für mein Lebensglück. Nein, ich sudere mich nicht durch den Tag, und das Gesudere der anderen geht mir oft wahnsinnig auf den Geist.

Im Vorwort zu Ihrem Erstlingsroman "Der Ameisenhaufen" behaupten Sie, die Fernsehwelt sei "Seelen verschlingend".
Ja, sie ist Seelen verschlingend. Ich sage Ihnen etwas: Ich hatte für meine Formate mehrere Chefredakteure, einer ist mit 48 an Alkoholismus gestorben, ein anderer durch Suizid. Man kniet sich oft so intensiv in die Geschichten hinein, dieser Job ist ein Faszinosum, und diejenigen, die wirklich gut sind, machen ihn auch mit Leidenschaft. Das ist kein Beruf, den man nur ausübt, um Geld zu verdienen, deswegen werden Kränkungen auch viel tiefer wahrgenommen - etwa wenn man irgendwo übergangen wird oder Konzepte nicht durchbringt. Ich habe in dieser Branche vielfach mitbekommen, wie sehr Menschen enttäuscht werden.

Sie und Peter Hofbauer sind seit drei Jahrzehnten verheiratet. Wie schafft man es, sich in dieser Branche nicht scheiden zu lassen?
Ganz genau 32 Jahre. In diesen Zeiten und in dieser Branche ist das eine Ewigkeit.

"Vera - der Jungbrunnen meiner Liebe", das wäre doch ein gutes Talk-Thema: Wie würden Sie Ihre Beziehung dem Publikum erklären, wenn Sie selbst Gast in einer Fernsehtalkshow wären?
Also gut: Man sucht sich zunächst einmal gezielt einen Mann, der um einiges älter ist und schon über sehr viel Erfahrung verfügt, und nicht einen jungen Hupfer. Aber jetzt im Ernst: Wenn man mit 16 seine erste große Liebe trifft und mit 20 zu heiraten beschließt, dann sind die Chancen doch recht hoch, dass es mit 25 bereits Brösel gibt.

»Ich wollte heiraten, um nicht als Betthaserl zu gelten«

Sie haben immerhin auch schon mit 24 geheiratet.
Ja - und ich war auch diejenige, die auf die Hochzeit drängte, obwohl mein Mann das Leben als Junggeselle eigentlich ganz gut fand und ursprünglich gar nicht heiraten wollte. Doch ich wollte, weil ich das Gefühl hatte, das ist der Richtige. Aber da war noch etwas: Er war 38 und Manager beim ORF und ich die junge, aufstrebende Moderatorin. Na bitte, die zwei zusammen - was schließt man denn daraus? Um es einmal ganz klar auszusprechen: Ich wollte nie als Betthaserl gelten. Mir war das ernst, und dieses Getuschel hätte ich nicht ausgehalten: Die reißt sich wen auf, um Karriere zu machen, hätte es da wohl rasch geheißen. Wir heirateten also mir zuliebe, auf seinen Heiratsantrag warte ich bis heute noch. Aber man sieht, es hat trotzdem gehalten.

Sie haben ihm also einen Antrag gemacht?
Ich gebe zu, ich habe sanften Druck gemacht, aber mein entschiedenes "Ich will!" war auch kein echter Heiratsantrag. Aber es war vom Gefühl her offenbar auch für ihn das Richtige, und er wurde ein total lieber Ehemann und Papa. Natürlich gibt es auch bei uns wie in jeder Ehe Aufs und Abs, aber nie nach außen hin.

Ist es eigentlich schwierig, in einer Zeit, in der die sozialen Medien quasi über Nacht neue Stars produzieren, kein neues Gesicht mehr zu sein? "Boah, schon wieder die!" - Kennen Sie das?
Nein, denn das, was ich jetzt mache, könnte ich mit 25 wirklich nicht machen. Ich bin froh, in einer Zeit groß geworden zu sein, wo man noch groß werden konnte. Zudem denke ich, dass ich über ein gewisses Bildungsniveau verfüge, eine reine Gameshow kannst du ja auch ohne große Bildung machen. Aber bei all dem, was ich mache, musst du immer wissbegierig bleiben, empathisch und fair, sonst kannst du dich in so einem kleinen Land nicht so lange halten.

Und Sie sind tatsächlich nie einen Schritt zu weit gegangen?
Doch, einmal: Ein Pärchen hat mir geschrieben, dass es so oft Sex hat, dass es die in unmittelbarer Nachbarschaft lebende Mutter mitkriegte - und die gab ihnen den Rat, aus dem ganzen einen Job zu machen und Pornos zu drehen. Das erschien uns so skurril, dass wir das Pärchen und die Mutter einluden, eine unglaubliche Geschichte! Dennoch würde ich sie heute nicht mehr bringen, das ist eine Imagefrage.

Apropos Image: Formate wie "Promi Big Brother" oder "Dschungelcamp" - sind die für Sie igitt?
Mich würde es nicht interessieren, meine Energie in eine Kakerlakensendung zu stecken, aber das muss jeder für sich entscheiden. Vielleicht finden es manche Kollegen nicht unspannend, den Busen der Cathy Lugner zu sehen, ich weiß es nicht. Aber um eines klarzustellen: Jede Form des moralischen Zeigefingers ist da in Zeiten des Internets völlig unangebracht. Man braucht sich nichts vorzumachen, es ist das Internet, das die Kindheit verkürzt, nicht das Fernsehen. Die Verantwortung, die Kinder zu Menschen zu erziehen, die solche Programme gar nicht wirklich interessieren, liegt bei uns Eltern. Früher hat es Sinn gemacht, darüber zu diskutieren, ob man nackte Menschen oder Softpornos im Fernsehen zeigen darf, doch bekanntlich gibt es im Internet mittlerweile auch pornografisch alles frei Haus - was ist also daran verwerflich, wenn Sender zeigen, wie sich beispielsweise nackte Menschen im Dreck wälzen. Jetzt zu sagen, pfui, weg damit, das Privatfernsehen darf das nicht zeigen, das wäre scheinheilig. Für solche Igitt-Formate wird es immer einen Bedarf geben. Es ist nicht die Aufgabe eines Privatsenders, zu sagen: Das spielen wir nicht.

Sie erwähnten Cathy Lugner. Haben Sie als Talkmasterin nicht auch das Gefühl, es geht uns die Prominenz aus?
Echte Stars gibt es sehr wohl noch, etwa den Waltz, den Ruzowitzky oder den Lauda.

Aber von dem weiß man doch schon alles.
Aber geh, gerade der Niki Lauda liefert immer wieder etwas Neues nach. Zuerst war da die Hochzeit, dann kamen die Zwillinge, dann der Megaerfolg mit Mercedes, da kommt schon alle zwei, drei Jahre etwas. Nein, wir haben sie schon noch, die ganz Großen. Aber es sind, wenn man die Politiker auslässt, in ganz Österreich keine hundert.

Welcher Politiker hätte denn genug Sexappeal für 45 Minuten Talk?
Rein theoretisch Sebastian Kurz. Er und seine Eltern, er und seine Freundin, das wäre durchaus interessant. Aber er hält sein Privatleben aus gutem Grund bedeckt. Im Übrigen hat sich die Frage so nie gestellt, denn die Auflage für "Vera bei" war stets: keine Politiker. Beim ORF ist das klar aufgeteilt.

Stört Sie dieses Schubladendenken?
Na ja, ich würde schon gerne einmal etwas im Stil von "Im Zentrum" machen. Aber: einmal Unterhaltung, immer Unterhaltung. Es denkt halt keiner daran, da einmal durchzumischen, so ergäben sich automatisch ganz andere, neue Fragen.

Die Privatsender würden Ihnen doch den roten Teppich ausrollen, oder?
Da ist mir mein Heimathafen schon wichtiger. Aber ich habe auch noch nie versucht, dem ORF ein Politikformat anzubieten, vielleicht sollte ich das ja wirklich einmal wagen, ehe ich es so kategorisch ausschließe.

Rattert es jetzt wieder in Ihrem Hinterkopf mit?
Oh ja, jetzt rattert es sogar schon ziemlich laut.


Vera Russwurm

Die TV-Moderatorin wurde am 7. November 1959 in Wien geboren. Russwurm, die studierte Medizinerin, arbeitet seit 1979 beim ORF: Ihre TV-Premiere feierte sie als "Tritsch-Tratsch-Girl", danach moderierte sie "Okay". In weiterer Folge entwickelte sie für den ORF zahlreiche Talk-Formate, die sie stets selbst moderierte. Sie ist mit dem Produzenten Peter Hofbauer verheiratet und hat drei Kinder.

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