Der tiefe Fall des Helmut Berger

Der österreichische Beitrag der 72. Filmfestspiele von Venedig

von Helmut Berger-Doku © Bild: Andreas Horvath

Der alte Mann räkelt sich mit nacktem Unterkörper in seinem Bett. Als er aufsteht, zoomt die Kamera auf sein faltiges Gesäß. In der nächsten Einstellung sieht man, wie er, immer noch halbnackt und mit wirr abstehenden Haaren, durch seine heruntergekommene und zugemüllte Wohnung wankt und sich eine Zigarette anzündet. Grellbunte Vasen reihen sich da an Heiligenbilder und alte Filmplakate, dazwischen schimmelige Essensreste, überquellende Aschenbecher, leere Weinflaschen. Der, der da auf der Leinwand zu sehen ist, ist kein Geringerer als der ehemalige Schauspielstar Helmut Berger („Dorian Gray“, „Ludwig II.“). Einst, in den 60er und 70er Jahren, galt der Bad Ischler mit den ebenmäßigen Gesichtszügen als der schönste Mann Europas, als Muse von Regielegenden wie seinem ehemaligen Lebensgefährten Luchino Visconti, als Paradiesvogel, der nach eigenen Angaben mit zahlreichen Stars wie Elizabeth Taylor, Mick Jagger und Rudolf Nurejew Affären hatte. Für seine Rolle in „Die Verdammten“ wurde Berger für eine Golden Globe nominiert, er führte ein extravagantes Jetset-Leben voller Drogen und Alkohol, seine Bilder prangten auf den Covern unzähliger Hochglanzmagazine.

Helmut Berger-Doku
© Andreas Horvath

Eine Zeit, die längst vergangen ist: Heute lebt der 71-Jährige vereinsamt und von Sozialhilfe, tingelt durch Reality-Soaps. Einzig die vergilbten Fotos von Romy Schneider und Brigitte Bardot an den Wänden seiner Wohnung erinnern an jene goldenen Zeiten. Einer seiner wenigen Kontakte zur Außenwelt ist seine Haushälterin. Sie kommt ab und an vorbei, bringt ihm Essen, versucht die Wohnung aufzuräumen.

Das ist auch nahezu alles, was der Salzburger Filmemacher Andreas Horvath in seinem aktuell bei den Filmfestspielen von Venedig (in der Nebenschiene „Venezia Classici“) zu sehendem Dokumentarfilm „Helmut Berger, Actor“, der einzige österreichische Venedig-Beitrag, zeigt. Er beobachtet den als Enfant terrible bekannten Künstler in seinem Alltag, der vor allem aus Alkoholtrinken und Nichtstun besteht. Dabei blendet er jedoch Bergers höchst interessante Vergangenheit aus, zeigt als einzige Reminiszenz an jene Ära nur ab und an die alten Fotos in dessen Wohnung und verzichtet darauf (oder scheitert daran), ernsthafte Gespräche zu führen. Ab und an verliert sich Berger bei seinem meist wirren Gerede doch noch in Erinnerungen an Romy Schneider, an Alain Delon, an seine große Liebe Luchino Visconti. Einmal begleitet Horvath Helmut Berger auch nach Saint-Tropez, er feiert dort mit Freunden Silvester, sitzt aber meist wieder nur in seinem Hotelzimmer, leert eine Wodkaflasche nach der anderen, sieht fern. Dazwischen weigert er sich, die wenigen Fragen des Filmers zu beantworten, beginnt ihn zu beschimpfen, nur um ihm in der nächsten Einstellung zu gestehen, dass er ihn liebe und gerne Oralsex mit ihm hätte.

Helmut Berger-Doku
© Andreas Horvath

Wieviel von all dem inszeniert und wieviel echt ist, lässt sich nicht abschätzen, fest steht jedoch: Es ist definitiv zu wenig, um einen 90minütigen Dokumentarfilm zu tragen. Was anfangs als spannende Beobachtung eines abgestürzten Künstlers beginnt, verliert sich zusehends zu einer voyeuristischen beziehungsweise exhibitionistischen, und mit nerviger Horrorfilmmusik unterlegten, Farce bei der man das Gefühl hat, dass der Regisseur auf den Spuren Ulrich Seidls wandeln möchte. Ein Versuch, der jedoch kläglich scheitert, denn spätestens als Helmut Berger am Ende des Films eine quälende Ewigkeit lang beim Onanieren im Bett seiner verstorbenen Mutter zu sehen ist, tut es einem in erster Linie leid um die vergebene Chance eines berührenden Schauspielerportraits.

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