Van der Bellens Albtraum

Für den Bundespräsidenten ist es schwieriger geworden, bei der Wahl im Oktober klar im Amt bestätigt zu werden. Zu schaffen machen könnte ihm auch die Sache mit der Wien Energie.

von Politische Analyse - Van der Bellens Albtraum © Bild: Privat

ANALYSE

Es ist keine g'mahte Wies 'n", sagt Alexander Van der Bellen mit Blick auf die Bundespräsidentenwahl in einem Monat. Natürlich: Er muss es sagen. Der 78-Jährige gilt zwar als haushoher Favorit. Die Leute, die wollen, dass er im Amt bleibt, müssen aber erst wählen gehen. Und das tun sie eher nur, wenn sie finden, dass es auch auf ihre Stimme ankommt. Sonst könnten sie zu Hause bleiben und es sich gemütlich machen - mit dem Ergebnis, dass es am Wahlabend eine böse Überraschung für Van der Bellen gibt.

Nicht sicher ist eine klare Wiederwahl in der ersten Runde am 9. Oktober aber aus mehreren Gründen. Vor sechs Jahren konnte sich Van der Bellen durchsetzen, weil es Bürgerlichen bis weit in die Mitte des politischen Spektrums hinein ein Anliegen war, seinen Mitbewerber Norbert Hofer (FPÖ) als Bundespräsidenten zu verhindern. Grüne und Sozialdemokraten allein hätten dazu nicht ausgereicht.

Unterschätzte Gegner

Dieses Momentum fehlt Van der Bellen heute: Er hat sechs Gegenkandidaten, keiner scheint jedoch Chancen zu haben, ihn zu schlagen. Sie werden eher unterschätzt. Möglich ist vieles. Tassilo Wallentin beispielsweise wird ziemlich offen unterstützt von der "Kronen Zeitung", für die er bis zuletzt als Kolumnist geschrieben hat. Mit ihrer Hilfe habe er "die Privatisierung unseres Wassers verhindert", machte das Blatt jüngst Werbung für ihn.

© IMAGO/SEPA.Media Van der Bellen meidet direkte Auseinandersetzung mit Gegenkandidaten. Das ist riskant

In seiner bisherigen Amtszeit hat Van der Bellen nicht nur geschwiegen, wie Kritiker behaupten. Mehrfach ist er deutlich geworden. Auch vor wenigen Tagen, nachdem sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) geweigert hatte, ein Höchstgerichtsurteil zu respektieren. Im Sinne einer schon von seinen Vorgängern gelebten Praxis hat er sich aber mit der Regierung arrangiert, die noch immer über eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene verfügt. Damit macht er sich nach Überzeugung seiner rechten Herausforderer angreifbar: Walter Rosenkranz (FPÖ) und Co. setzen darauf, dass diese Regierung in der Bevölkerung unten durch ist, und versprechen, sie zu entlassen.

Gefährliche Unzufriedenheit

Mehr und mehr Wähler sind unzufrieden mit dem Führungspersonal. Bisher war das eher nur gegen Türkise und Grüne gerichtet. Jetzt, infolge der Sache mit der Wien Energie, droht es auch Sozialdemokraten zu erwischen. Das ist eine Gefahr für Van der Bellen: Von seinen größten Gegnern wird er mit Regierenden gleichgesetzt bzw. mit einem System oder Establishment, das in all den Krisen versage.

Im Wahlkampf 2016 boten ihm TV-Duelle eine unbezahlbare Gelegenheit, solche Bilder vor einem Millionenpublikum zu korrigieren. Heute wäre der Bedarf dafür vielleicht sogar größer. Als amtierender Bundespräsident stellt sich Van der Bellen aber keinen TV-Duellen mehr.

ZAHL

Wien ist abhängig

Die SPÖ-dominierte Bundeshauptstadt wäre mehr denn je auf ein gutes Einvernehmen mit der ÖVP-geführten Bundesregierung angewiesen. Umso verhängnisvoller sind die Konflikte um die Wien Energie, die parteipolitisch aufgeladen sind. Selbst Anhängern einer Großen Koalition, wie Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ), scheint die Lust auf eine solche vergangen zu sein.

Das Problem ist, dass aufziehende Krisen die Zwei-Millionen-Stadt treffen wie kein anderes Bundesland und schon gar keine Gemeinde. Hier leben zwei Drittel der Mindestsicherungsbezieher, 40 Prozent der Arbeitslosen und die meisten Armutsgefährdeten österreichweit. Diese Leute konnten Wohn- und Energiekosten schon bisher nicht allein schultern.

Unter Sebastian Kurz stellte die Volkspartei das gern als Versagen der roten Stadtpolitik dar und forderte Leistungskürzungen sowie einen "Zuwanderungsstopp ins Wiener Sozialsystem". Soeben von der Tageszeitung "Der Standard" veröffentlichte Chats verdeutlichen, dass die Genossen auf kommunaler Ebene das nicht auf die leichte Schulter nehmen konnten: Der damalige Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid (ÖVP), habe in Erwartung eines Wahlsieges 2017 dem Kurz-Vertrauten Bernhard Bonelli geschrieben, dass man türkise Politik mit "Änderungen" in SPÖ-Hochburgen finanzieren werde, "wo viel zu holen ist".

Nach Übernahme der Kanzlerschaft durch Karl Nehammer (ÖVP) hatten sich die Beziehungen normalisiert. Bis zum Krach um die Wien Energie: Im Rathaus geht die Sorge um, dass es auch darüber hinaus wieder zu einem verhängnisvollen Konfrontationskurs kommt. Immerhin führt hier Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) das Wort, der die Hand am Geldhahn hat, über den Steuermittel unter anderem auch an die Stadt Wien fließen, wo sie zur Krisenbekämpfung dringend benötigt werden.

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BERICHT

Fragwürdiges Notrecht

Es ist immer wieder das Gleiche: In der Pandemie hieß es, dass der Bundesstaat reformiert werden müsse, damit derartige Herausforderungen besser bewältigt werden können. Das war jedoch bald vergessen. Nur eine kurze Debatte gab es zuletzt auch über die Notkompetenz, die Wiens Bürgermeister, Michael Ludwig (SPÖ), zweimal nützte, um unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Einbindung des Gemeinderats jeweils 700 Millionen Euro zur Absicherung der Wien Energie freizugeben. Bisher war diese Kompetenz lediglich Insidern bekannt. Die Aufregung war nun umso größer, hat sich aber schnell wieder gelegt.

Auch der Bundespräsident verfügt über eine solche Kompetenz, das Notverordnungsrecht. Es ist etwas anders geregelt, aber ebenfalls reformbedürftig. Zunächst ist die Anwendung nur vage bestimmt. "Zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit" beispielsweise, wenn der Nationalrat nicht rechtzeitig zusammentreten kann. Würde man die sieben Präsidentschaftskandidaten fragen, welchen Anlass sie sich vorstellen könnten, man würde sieben verschiedene Antworten erhalten. Das ist das eine. Das andere: Es lässt sich immer behaupten, dass es der Nationalrat nicht schaffe, zeitgerecht eine Sitzung abzuhalten; zum Beispiel im tagungsfreien Sommer. Reizt ein Bundespräsident das aus, wird es kritisch. Das könnte man sich ersparen: Im 21. Jahrhundert könnte man Abgeordneten jederzeit eine Sitzung ermöglichen, allenfalls eben eine virtuelle. Man müsste es nur regeln wollen.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at