Van der Bellen in Weißrussland

Eine NS-Vernichtungsstätte in Weißrussland spielt eine wichtige Rolle im Dialog zwischen Minsk und Wien

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Österreich und Weißrussland haben historische Verbindungen: Im Holocaust hatten die Nazis mehr als 10.000 österreichische Juden an den Stadtrand von Minsk deportiert und dort in einem benachbarten Wald ermordet. Bundespräsident Alexander Van der Bellen legt am Freitag den Grundstein für ein österreichisches Denkmal für die Opfer.

Jahrzehntelang erinnerte nichts an dieses Verbrechen des Jahres 1942. 2014 eröffnete Weißrussland eine Gedenkstätte. Der damalige Bundespräsident Heinz Fischer bedankte sich aus diesem Anlass bei Präsident Alexander Lukaschenko. "Die Großmutter meiner Gattin, die Schwester meines Schwiegervaters und andere Familienangehörige wurden dort getötet und wir sind sehr interessiert daran, dass es diesen Erinnerungsort gibt", erklärte Fischer in Bezug auf Maly Trostenez gegenüber seinem weißrussischen Amtskollegen Lukaschenko im September 2014 bei einem Treffen am Rande der UNO-Generalversammlung in New York.

Staatliche Medien in Weißrussland verwiesen seit damals wiederholt auf den Gedenkkomplex als Ort des internationalen Dialogs, an dem sich das weißrussische Regime derzeit sehr interessiert zeigt.

Bei Maly Trostenez handelt es sich um eine dieser typischen Geschichten des Holocaust auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Bereits 1941 und 1942 hatten die Nazis mit Vorliebe an den Rändern großer sowjetischer Städte Hunderttausende Juden getötet.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee hüllten die kommunistischen Machthaber jedoch den Mantel des Schweigens über diese konkreten Verbrechen - über eine besondere Betroffenheit des jüdischen Volkes durch den NS-Terror sollte nicht eigens gesprochen werden, es galt die Leiden der sowjetischen Bevölkerung insgesamt zu unterstreichen. Von Juden, die aus dem Ausland auf sowjetisches Territorium verschleppt und dort getötet wurden, war vor Ort zunächst gar keine Rede.

Vielfach machten daher Anrainer und Zeitzeugen erst während Gorbatschows Glasnost in den späten 1980er-Jahren auf konkrete Stätten der NS-Gräuel in der Sowjetunion aufmerksam, an manchen Orten entstanden in den Jahren danach auch Gedenkstätten.

Nicht so zunächst in Maly Trostenez, einem Vorort im Südosten der weißrussischen Hauptstadt, in dessen Nähe jahrzehntelang nur ein sowjetischer Obelisk an die Exekution von 201.500 Zivilisten, Partisanen und Kriegsgefangenen aus den Reihen der Roten Armee erinnerte. Keine Rede war jedoch von jüdischen Opfern, auch nicht von den Tausenden an diesen Ort deportierten österreichischen Juden.

Als Privatinitiative begann die Wienerin Waltraud Barton diese Leerstelle ab 2010 zu füllen. In Erinnerung an vor Ort ermordete Verwandte brachte sie an Bäumen im Wald Blagowschtschina nahe dem ehemaligen NS-Lager Namensschilder an - just hier war es seinerzeit zu Massenerschießungen gekommen. Barton gründete zudem den Verein "IM-MER", der diese Gedenkarbeit in den folgenden Jahren intensivierte.

Lokale postsowjetische Versuche einen Gedenkort zu installieren, waren zuvor an einer heiklen Vorgeschichte gescheitert: Denn bevor die Nazis den betreffenden Wald für Massenexekutionen verwendeten, hatten auch die Sowjets an genau diesem Ort gemordet. Nach der Befreiung Minsks sollte gerade auch dieser Umstand verschwiegen werden. Die grausame Stätte wurde in Folge zur Müllhalde umfunktioniert.

Seit 2014 ist nunmehr auf "Anweisung des Präsidenten der Republik Weißrussland, Alexander Lukaschenko", wie es auf einer Tafel heißt, eine Gedenkstätte am ehemaligen Lagergelände entstanden, das nach 1945 landwirtschaftlich verwendet worden war. Im Juni 2015, anlässlich des 74. Jahrestages des Beginns des "Großen Vaterländischen Krieges", eröffnete der weißrussische Präsident den Komplex. Im Zentrum des Areals befindet sich die imposante Skulptur "Tor der Erinnerung", die leidende KZ-Insassen an einem Stacheldrahtzahn zeigt. Obwohl der verantwortliche Bildhauer Konstantin Kostjutschenko noch keine 40 Jahre alt ist, erinnert seine Bildsprache an jene Darstellungen menschlichen Leids, die in der späten Sowjetunion üblich waren.

Mit Ausnahme von zwei deutschen Eisenbahnwaggons, die auf die Deportationen aus Mitteleuropa nach Maly Trostenez verweisen, bleibt aber auch der restliche Komplex in seiner bisherigen Realisierung sowjetischen Traditionen verhaftet. In der Hauptallee, die zur Skulptur führt, finden sich Granitsteine, auf denen alle NS-Vernichtungslager Weißrusslands aufgezählt werden. Der Begriff "Holocaust" und eine explizite Erwähnung der jüdischen Opfergruppe fehlte in dieser sogenannten ersten Ausbaustufe des Gedenkkomplexes Trostenez zunächst.

Mit der Grundsteinlegung für eine österreichische Gedenkstätte durch Bundespräsident Van der Bellen wird sich dies nun ändern: Das vom Wiener Architekten Daniel Sanwald konzipierte Denkmal, das in den nächsten Monaten unweit des "Tors der Erinnerung" am ehemaligen Lagergelände errichtet werden soll, wird explizit auf die österreichischen Opfer von Maly Trostenez verwiesen. Ursprüngliche Pläne, sie alle namentlich anzuführen, scheiterten am Einspruch von weißrussischer Seite. Auf dem zu realisierenden Denkmal werden jedoch Vornamen zu lesen sein.

Abgesehen von dieser Grundsteinlegung wird am Freitag aber insbesondere die zweite Ausbaustufe des Gedenkkomplexes Trostenez eröffnet, die sich knapp zwei Kilometer nördlich im Wald Blagowschtschina befindet. Neben Weißrusslands Präsidenten Alexander Lukaschenko und Bundespräsident Van der Bellen nimmt auch das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier an der Zeremonie teil.

Nach Plänen des 2014 verstorbenen Minsker Architekten Leonid Lewin, der als Veteran der sowjetischen Denkmalarchitektur galt, wurde ein monumentaler Gedenkpfad gelegt, der entlang von betonierten Viehwaggons zum historischen Erschießungsort führt. Verweise auf ermordete Österreicher werden aber auch hier nicht zu übersehen sein: Auf vielen Bäumen dieses Waldes finden sich gelbe Schilder mit den Namen österreichischer Opfer, die die Aktivistin Barton und ihre Mitstreiter hier in den letzten Jahren angebracht haben.

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