EU-Gerichtshof kippt
deutsche Pkw-Maut

"Diese Abgabe ist diskriminierend" - Österreich jubelt

Die deutsche Pkw-Maut - die Vignette für die Benutzung von Bundesfernstraßen durch Personenkraftwagen - verstößt gegen EU-Recht. Dies entschied der EuGH am Dienstag in einem Urteil. Das Urteil sorgte für großen Jubel in Österreich. Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheurer gab an, das Urteil "zu respektieren und zu akzeptieren". Die Maut sei damit in ihrer jetzigen Form vom Tisch.

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Urteil - EU-Gerichtshof kippt
deutsche Pkw-Maut

"Diese Abgabe ist diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt", stellten die EU-Richter fest.

Österreich klagte

Österreich hat damit einen Sieg vor dem EU-Gerichtshof errungen. Österreich hatte vor dem Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland erhoben. Dabei wurde Österreich von den Niederlanden unterstützt, während Deutschland von Dänemark unterstützt wurde.

Österreich ist der Ansicht, dass die kombinierte Wirkung der Infrastrukturabgabe und der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge sowie die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe gegen das EU-Recht, insbesondere das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, verstoßen. Österreich hatte beim EuGH geklagt, nachdem sich die EU-Kommission nicht gegen die deutsche Pkw-Maut geäußert hatte.

Verstoß gegen Grundsätze des freien Warenverkehrs

Der EuGH begründete seine Entscheidung: Eine Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den in Deutschland zugelassenen Fahrzeugbesitzern zugutekommt, stelle eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstoße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs.

Wirtschaftliche Last liege auf Fahrern aus EU-Staaten

Die von deutschen Fahrzeugbesitzern entrichtete Infrastrukturabgabe würde vollständig kompensiert, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Besitzern und Fahrern von in anderen EU-Staaten zugelassenen Fahrzeugen liege.

Maßnahmen geeignet, um Zugang zu behindern

Hinsichtlich des freien Warenverkehrs stellte der Gerichtshof fest, dass die deutsche Pkw-Maut geeignet sei, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Auch stellt der Gerichtshof fest, dass die strittigen Maßnahmen geeignet seien, den Zugang von aus einem anderen EU-Staat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern.

Modalitäten nicht diskriminierend

Dagegen entschieden die EU-Richter, dass die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht diskriminierend seien. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.

Maut-Modell für deutschen Verkehrsminister "vom Tisch"

Damit ist die deutsche Pkw-Maut nach den Worten des deutschen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) in ihrer jetzigen Form "vom Tisch". Das EuGH sei "zu respektieren und zu akzeptieren", sagte Scheuer am Dienstag in München. Das Aus für das deutsche Maut-Modell sei aber keine Absage an die Nutzerfinanzierung, so der CSU-Politiker. Dazu werde man im Herbst noch viele Debatten führen.

Merkel lässt weiteres Vorgehen vorerst offen

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt das weitere Vorgehen vorerst offen. Das Urteil sei zu akzeptieren und zur Kenntnis zu nehmen, sagte sie am Dienstag in Berlin. Natürlich werde Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nun die Situation analysieren. "Und dann werden wir sagen, wie wir weiter vorgehen."

Kapsch: Kein Verlust durch Urteil

Georg Kapsch, Chef von Kapsch TrafficCom sagte Dienstagvormittag zu Beginn der Jahrespressekonferenz des börsenotierten Wiener Unternehmens, er könne zu dem EuGH-Urteil "im Moment gar nichts sagen". Verluste würden dem Mautspezialisten, der gemeinsam mit der deutschen oeticket-Mutter CTS Eventim den Zuschlag für die Einhebung erhalten hatte, nicht entstehen.

"Wir müssen uns das Urteil anschauen, es können Auflagen drinnen sein, die wir noch nicht kennen. Wir haben vertragliche Schutzbestimmungen. Es braucht niemand glauben, dass wir da einen Verlust einfahren", so der Kapsch-TrafficCom-Chef vor Journalisten.

Jubel in Österreich

Das Aus der geplanten Pkw-Maut in Deutschland hat in Österreich großen Jubel auf allen Seiten hervorgerufen. Verkehrsminister Andras Reichhardt zeigte sich zufrieden und auch sein Vorgänger, Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) erklärte, er sei froh, dass die EuGH-Richter der Argumentation Österreichs gefolgt sind. Der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder, frohlockte: "Der EuGH wird heute zum Airbag für die europäischen AutofahrerInnen".

Reichhardt zufrieden: "Unterstützen gerne mit Know-how"

Österreichs Verkehrsminister Andreas Reichhardt hat sich in einer ersten Reaktion zufrieden gezeigt. Er gehe nun davon aus, dass Deutschland die Pläne vom Tisch nimmt oder die Maut massiv ändert, sodass diese dann diskriminierungsfrei ist. "Wir unterstützen hier gerne mit Know-how, wenn das gewünscht ist", sagte Reichhardt am Dienstag vor Journalisten.

"Bemerkenswertes Urteil"

Das Urteil des EuGH sei bemerkenswert und lasse an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, so Reichhardt. Es seien alle Kritikpunkte Österreich anerkannt worden. Es sei daher auch ein wichtiges Signal für andere Bereiche der EU. "Ich möchte mir nicht ausmalen, was das bedeutet hätte, hätte man hier ein Präjudiz geschaffen."

NEOS: "Klares Zeichen für offenes Euorpa"

Die NEOS jubelten über das "klare Zeichen für ein offenes Europa ohne Grenzen". Nun brauche es "gesamteuropäische Verkehrslösungen und nicht ein kleinliches nationalstaatliches Denken, das nur böses Blut und gegenseitige Klagen zur Folge hat. Das gilt auch für ein vernünftiges europäisches Mautsystem der Zukunft, das transparent, fair und effizienter ist", sagte NEOS-Verkehrssprecher Douglas Hoyos.

Aufatmen bei ARBÖ und ÖAMTC

Die Autofahrerklubs ARBÖ und ÖAMTC reagierten ebenfalls erleichtert. "Mit dem Urteil heißt es nun Aufatmen - auch für rund 1,8 Millionen österreichische Autofahrer", erklärte der ÖAMTC. So viele Österreicher hätten nach Schätzungen der Interessensvertretung zumindest einmal pro Jahr eine deutsche Vignette kaufen müssen. Laut ARBÖ wären vor allem die Auto-Pendler in Salzburg, Tirol und Vorarlberg betroffen gewesen. Der ÖAMTC warnte jedoch anlässlich des Aus für die deutsche Pkw-Maut vor einer deutlichen Mehrbelastung für den motorisierten Individualverkehr durch die Aufnahme von Pkw in die EU-Wegekostenrichtlinie.

Auch der Auto-kritische Verkehrsclub VCÖ zeigte sich über das Urteil erfreut, weil das deutsche Mautmodell der europäischen Idee widersprochen hätte. Der VCÖ fordert nun ein diskriminierungsfreies Mautmodell: "Interesse des Klimaschutzes ist es wichtig, dass auch ökonomische Instrumente eingesetzt werden, um Anreize auf den Öffentlichen Verkehr zu setzen."

Hofer betont Standhaftigkeit

Ex-Verkehrsminister und designierter FPÖ-Chef Hofer betonte in seiner Aussendung seine Standhaftigkeit gegenüber Deutschland: "Während meiner Amtszeit als Verkehrsminister habe ich mehrere Gespräche mit meinem deutschen Amtskollegen Andreas Scheuer geführt. Er wollte mich zu einem Rückzug der österreichischen Klage bewegen - ich habe abgelehnt. Das heutige Urteil gibt der österreichischen Position recht", so Hofer.

Die Klage hatte der damalige österreichische Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) im Herbst 2017 eingebracht.

CSU-Ferber für Prüfung von Österreichs Maut

Nach dem EuGH-Urteil hat der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber eine Überprüfung anderer Maut-Regelungen in Europa wie etwa in Österreich gefordert. "Ich erwarte, dass die Kommission dieses Urteil jetzt zum Anlass nimmt, alle europäischen Mautsysteme im Lichte dieses Urteils zu überprüfen", teilte Ferber am Dienstag mit.

"Gerade beim österreichischen Modell habe ich große Zweifel. Hier darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden", sagte der Augsburger.

Der bayerische Freie-Wähler-Chef und CSU-Koalitionspartner Hubert Aiwanger hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs begrüßt. "Die Pkw-Maut war von Anfang an eine Fehlkonzeption", schrieb Aiwanger am Dienstag auf Twitter. Mit gerade einmal sieben Prozent ausländischen Autos sei der Bürokratieaufwand deutlich höher als der Nutzen daraus. Es sei gut, dass die Maut gestoppt worden sei, "bevor noch mehr deutsches Steuergeld versenkt" werde, kommentierte er.

Wie könnte es weitergehen?

Der Europarechtsexperte Walter Obwexer der Uni Innsbruck hält es für möglich, dass Deutschland - in abgewandelter Form - an den Mautplänen festhält. Deutschland müsse aber die beiden Maßnahmen - die Pkw-Maut und die Senkung der Kfz-Steuer - inhaltlich und zeitlich voneinander trennen, sagte Obwexer am Dienstag im Gespräch mit der APA.

"So könnte Deutschland beispielsweise die Infrastrukturabgabe dennoch einführen, dürfte aber die Kraftfahrzeugsteuer nicht genau um so viel senken, wie die Infrastrukturabgabe ausmacht, sondern könnte beispielsweise - vielleicht zeitlich etwas verschoben - eine Ökologisierung der Kraftfahrzeugsteuer einführen, mit der Konsequenz, dass manche deutsche Kfz-Halter dann letztlich mehr zahlen - die mit den großen Autos - und jene die kleine haben, vielleicht weniger als heute", erklärte der Rechtswissenschafter, der für Österreich ein Gutachten gegen die deutsche Pkw-Maut erstellt hatte.

Nach Ansicht von Obwexer wäre es Deutschland durchaus erlaubt, von einem haushaltsfinanzierten zu einem nutzerfinanzierten System umzusteigen. Parallel gebe es auch die Möglichkeit für eine europäische Lösung, indem die sogenannte Wegekostenrichtlinie, wie schon von der EU-Kommission vorgeschlagen, auch auf Pkw ausgeweitet wird und die unterschiedlichen Vignetten der Mitgliedsstaaten ablöst.

»Am bemerkenswertesten ist, dass der Gerichtshof der österreichischen Argumentation gefolgt ist«

"Am bemerkenswertesten ist, dass der Gerichtshof der österreichischen Argumentation gefolgt ist, dass die beiden deutschen Maßnahmen - Infrastrukturabgabe und Kraftfahrzeugsteuer-Senkung - zusammen zu sehen und zusammen zu prüfen sind, der Rest ist eigentlich ständige Rechtsprechung des EuGH betreffend Diskriminierungsverbot, freier Warenverkehr und freier Dienstleistungsverkehr", sagte Obwexer.

"Wo Österreich sich nicht ganz sicher war, war die Frage, ob diese beiden Maßnahmen - die für sich genommen nicht diskriminierend sind - zusammen zu bewerten sind. Das hat der Gerichtshof bestätigt", so Obwexer. Der EuGH habe festgestellt, "dass zwischen beiden nationalen Maßnahmen sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht ein so enger Zusammenhang besteht, dass diese gemeinsam zu prüfen und zu beurteilen sind. Damit war eigentlich klar, was am Ende herauskommt, nämlich dass diese beiden Maßnahmen so nicht erlassen werden können."

Darüber hinaus sei es auch um die Frage gegangen, ob der EuGH bei seiner bisherigen Rechtsprechung bleibt. "Der Generalanwalt des EuGH hätte ja eine andere Lösung vorgeschlagen, dieser wäre von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen, aber der EuGH ist es nicht", sagte Obwexer. Daher habe der Richterspruch auch keine weiteren Auswirkungen auf die EU. "Dieses Urteil von heute ist jetzt abgesehen von der Mautfrage wenig spektakulär. Es bestätigt, wiederholt, bekräftigt die bisherige, durchaus strenge Rechtsprechung zu Diskriminierungsverbot und zu den Grundfreiheiten des Binnenmarktes", so Obwexer.

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