"Man muss Grenzen anerkennen"

Ursula Strauss, Präsidentin der Akademie des österreichischen Films, ist Ansprechperson für Betroffene sexueller Übergriffe. Mit News spricht die Schauspielerin über die Metoo-Debatte und die Unterschiede zwischen den USA und Österreich.

von Film - "Man muss Grenzen anerkennen" © Bild: News/Sebastian Reich

Die Akademie des österreichischen Films hat eine Anlaufstelle gegründet, bei der Betroffene sexuelle Übergriffe melden können. Sie sind neben Birgit Hutter und Karl Markovics eine der Ansprechpersonen. Wie sehen Sie als Präsidentin der Filmakademie die Situation in Österreich?
Wir beginnen erst mit unserer Arbeit. Wir sehen uns als erste Anlaufstelle, wollen den Betroffenen vermitteln, dass sie sich an jemanden wenden können ,dass sie mit ihrer Situation nicht alleine sind. Wir sind keine Psychologen, aber wir kennen die Branche, ihre berufsspezifischen Schwierigkeiten und Machtgefüge und können so versuchen, gemeinsam mit den Betroffenen die nächsten Maßnahmen zu treffen.

Haben sich schon Betroffene gemeldet?
Darüber kann ich natürlich nicht sprechen, das würde ja meine Position als Vertrauensperson ad absurdum führen. Es ist sehr schwer, die Grenzen zwischen einem sinnlichen Umgang der Geschlechter und Sinnesfeindlichkeit zu ziehen. Auch verbale Übergriffe und psychische Gewalt können so stark werden, dass man sie nicht übersehen darf. Jedes Schicksal ist individuell, und das macht den Umgang damit so schwer. Es gibt nur eine Möglichkeit: respektvoll miteinander umzugehen. Der Schmerz eines Opfers verjährt nämlich nicht. Wer einmal erlebt hat, wie sehr sich ein sexueller Übergriff in die Seele frisst, der versteht, was es heißt, solche Dinge ein Leben lang mit sich herumzuschleppen. Wir alle miteinander, Männer und Frauen, müssen die Grenzen anderer erkennen und anerkennen lernen. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass wir uns als gleichwertige Wesen auf Augenhöhe begegnen.

Waren Sie schon Belästigungen ausgesetzt?
Ich bin eine Frau, und genau wie ein erschreckend hoher Prozentsatz meiner Geschlechtsgenossinnen habe auch ich Belästigungen und Übergriffe erfahren - allerdings niemals in der Filmbranche.

Verzerrt die Metoo-Debatte den Blick auf Qualität?
Das amerikanische System neigt zur Übertreibung, und das in verschiedenen Bereichen. Ich kann das nun eigentlich nicht beurteilen, denn ich lebe nicht in diesem Land. Es gab aber in Amerika zum Beispiel einen Fall, wo ein siebenjähriger Bub von der Polizei abgeführt worden ist, weil er seiner Schwester beim Pinkeln geholfen hat. Das ist nichts anderes als pervertierte Prüderie.

Michael Haneke nannte die Metoo-Debatte eine "Hexenjagd". Wie sehen Sie das?
Es ist absurd, in der Metoo-Debatte von "Hexenjagd" zu sprechen, denn Hexen wurden im Mittelalter verbrannt. Da wäre ein anderer Begriff passender, bei dem es nicht um Frauen geht, die aufgrund ihrer Sinnlichkeit oder männlicher Allmachtsfantasien auf dem Scheiterhaufen gelandet sind. Jetzt haben Frauen bei uns eine lautere Stimme, und die muss gehört werden. Gerade im Umgang mit sexuellen Übergriffen ist sehr differenzierte Aufarbeitung nötig.

»Wo körperliche Nähe im Spiel entstehen muss, ist der Übergang oft fließend«

Anschuldigungen zerstören Karrieren wie jene von Kevin Spacey. Ist das fair?
Gerade in unserem Beruf, wo körperliche Nähe im Spiel entstehen muss, ist der Übergang oft fließend. Das ist eine Gratwanderung - man arbeitet mit seinem Körper, das ganze Leben ist quasi unsere Bühne. Wenn es nun um Sexualität geht, hat jeder eine andere Grenze. Obwohl die Grenze immer gleich ist, nämlich da, wo der Spielraum aufhört und die Worte "Nein" oder "Stop" fallen, wo die Grenze eines Menschen überschritten wird. Oft ist es ja so, dass das Nein einfach ignoriert oder anders interpretiert wird. Jeder kennt doch den Satz: "Na geh, wenn sie Nein sagen, meinen sie eigentlich Ja."

Ist es in Österreich einfacher, Nein zu sagen, als in Amerika?
Das ist so eine Sache mit dem "Neinsagen". Ich zum Beispiel musste erst mühsam lernen, dass es mir auch als Frau gestattet ist, mich abzugrenzen, also Nein zu sagen, Grenzen zu ziehen. Es ist ein großes Glück, sich solche Lernprozesse leisten zu können. Dieses Glück ist leider nicht jeder Frau vergönnt.

Burgschauspieler haben im Zuge der Metoo-Debatte einen offenen Brief gegen den angeblich diktatorischen Umgang des ehemaligen Direktors Matthias Hartmann erhoben. Fällt das noch in den Bereich von Metoo?
Im Moment sprechen alle über Machtmissbrauch, und das ist gut so. Man muss aber auseinanderhalten. Ich kann die Situation am Burgtheater nicht beurteilen. Ich wundere mich nur manchmal über den undifferenzierten Umgang. Es wird alles rasch in einen Topf geworfen und gemeinsam darin gekocht. Dann kommt ein Brei heraus, der keine Farbe mehr hat und von dem man nicht mehr weiß, wonach er schmeckt.

Schauspieler weigern sich, mit Woody Allen zu arbeiten, weil er angeblich seine Stieftochter missbraucht hat. Können Sie das nachvollziehen?
Woody Allen wurde meines Wissens noch nicht verurteilt, und deshalb maße ich mir kein Urteil an. Ich würde mir aber nie Filme von einem Mann ansehen, von dem man weiß, dass er Frauen und oder Kinder vergewaltigt und missbraucht hat. Und natürlich würde ich auch nie mit jemandem zusammenarbeiten, von dem ich weiß, dass er solche Dinge tut.

Soll man das Werk eines Künstlers auslöschen, der sich schuldig gemacht hat?
Die Kunst - auch wenn sie noch so gut ist - entschuldigt ja niemals und auf keinen Fall das Verbrechen.