Warum sich Paare vermehrt nach dem Sommerurlaub trennen

Statistisch gesehen trennen sich besonders viele Paare nach dem Urlaub. Was ein verpatzter Sommerurlaub und eine viel zu hohe Erwartungshaltung mit dieser Tendenz zu tun haben - und wie der gemeinsame Urlaub nicht zur Trennungsfalle wird

von Trennung © Bild: istockphoto

Eigentlich sollte es die schönste Zeit des Jahres werden: der gemeinsame Sommerurlaub. Einfach mal abhängen, das süße Nichtstun genießen, die Seele baumeln lassen Alles könnte so schön sein, wäre da nicht der Partner, der selbst ganz andere Vorstellungen vom perfekten Traumurlaub hat.

Die Rechtsanwältin für Ehe-und Familienrecht Susanna Perl-Lippitsch weiß: "Der September ist für gewöhnlich einer der stärksten Monate an Neuanfragen bei Gärner Perl Rechtsanwälte. Aber auch in der Zeit nach den Weihnachtsferien ist unsere Kanzlei immer voll besetzt. In der Regel wird zwar nicht gleich nach dem Urlaub die Scheidung eingereicht, zumindest aber die Weichen gestellt."

Trennungsfalle Urlaub

Die Scheidungsexpertin erklärt: "Nach dem Urlaub ist oft vor der Scheidung. Bereits bestehende Eheprobleme und schwelende Konflikte kommen im Urlaub besonders hoch, wenn das Paar rund um die Uhr zusammen ist. Wer sich im Alltag schon nicht mehr viel zu sagen hat, dem fällt es im Urlaub noch schwerer, interessante Gespräche zu führen. Störende Angewohnheiten, die im stressigen Alltag untergehen, stören einen im Urlaub am Partner noch mehr. Der Stress der vergangen Wochen und so manche Missstimmung sollen im Urlaub wiedergutgemacht werden. Doch die hohen Erwartungen werden oft enttäuscht und die ungewohnte Nähe sorgt erst recht für Spannungen."

Diese Tendenz bestätigt auch eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2016 der Studienautoren Julie Brines und Brian Serafini, in der ein Zusammenhang zwischen verpatzten Sommer-wie Winterferien und Scheidungsraten festgestellt werden konnte. Die Studie legt nahe: Die Zeit um Weihnachten und nach dem Sommerurlaub kann zu dramatischen Wendepunkten in Beziehungen werden, mit höheren Scheidungsraten als Folge.

Geplante Enttäuschungen

Der Berliner Paartherapeut Holger Kuntze weiß um dieses Problem Bescheid und welche oftmals überzogenen Erwartungen seine Klienten mit der Sommerzeit verbinden. Auch er bemerkt einen saisonalen Effekt und den deutlich höheren Bedarf an therapeutischer Begleitung nach den Sommerferien sowie Anfang Januar im Vergleich zum Rest des Jahres.

"Sommerurlaube und Weihnachtsferien sind Auszeiten vom Alltag. Gleichzeitig sind Sommerurlaub und Weihnachten aber in unserer Gesellschaft mit den allerhöchsten Erwartungen verknüpft. Wir sagen uns dann: 'Auch wenn die vergangenen Monate oder das ganze Jahr anstrengend war, zumindest im Sommerurlaub oder zum Weihnachtsfest werden wir es schön haben!' Und diese Erwartung kann dann nur enttäuscht werden." Wir malen uns romantische Traumurlaube aus oder das perfekte harmonische Weihnachtsfest, doch in der Realität, so Kuntze, kommt dann doch immer alles anders: "Wir sprechen dann von einer relativen Erwartungsenttäuschung. Egal, wie die Ferien oder das Weihnachtsfest objektiv waren, wir hatten uns die Zeit schöner vorgestellt." Man könnte also behaupten: Unrealistische Erwartungshaltungen sind gewissermaßen geplante Enttäuschungen.

Von Romantik zu Streit

Besonders groß ist die Enttäuschung bei Paaren, die zu Beginn ihrer Beziehung grundsätzlich recht gute Erfahrungen mit gemeinsamen Sommerurlauben gemacht haben, erklärt der Therapeut.

"In der Regel laufen bei verliebten und zukunftsfähigen Paaren die ersten Urlaube sehr harmonisch. Man ist einander immer noch ein wenig fremd, der Urlaub schafft sowohl einen Freiheitsraum als auch einen neuen sozialen Ort, in dem man den Partner wieder neu zu sehen lernt. Nach einigen Jahren in einer Partnerschaft nehmen die meisten Menschen aber all ihre Verletzungen und Enttäuschungen mit in den Urlaub und erwarten gleichzeitig, meist unausgesprochen, eine Unterbrechung genau jener Muster, die uns im Alltag aufregen und verletzen."

Unser Radar, so Kuntze, reagiert dann sensibler und es kommt vermehrt zum Streit. "Gestritten wird deshalb, weil Paare zu selten und zu wenig aktiv den Urlaub in seiner Andersartigkeit vom Alltag gestalten, was aber unbedingt notwendig ist, um gemeinsam einen schönen Urlaub zu haben."

Kann man dieser drohenden Eskalation im Urlaub vorbeugen? Kuntze rät: "Vereinbaren Sie ab heute und für den Rest Ihres Urlaubs, dass jeweils ein Partner einen Tag und seine Gestaltung komplett bestimmen darf und der andere sich verpflichtet, ohne Kritik oder Beschwerde positiv an diesen Vorschlägen teilnimmt."

Der spielerische, offene, freie Aspekt des Miteinanders muss unbedingt im Vordergrund stehen, so der Therapeut. "Genau diese Aspekte gehen uns im Alltag verloren und deshalb ist es so wichtig, diese im Urlaub bestmöglich zu aktivieren und zu leben."

Die Rolle abseits der Beziehung

Paartherapeut Christian Beer empfiehlt, sich der Belastung durch die eigene Rolle in einer Beziehung oder Familie bewusst zu werden: "Einen Großteil unserer Zeit verbringen wir als Erwachsene mit unseren autonomen Rollen, also Arbeit, Job, Sport, Hobbys. Dort sind Leistung, Anstrengung und Struktur gefragt. In einer Intimbeziehung geht es dagegen um die als angenehm empfundene Abhängigkeit ("Bindung") sowie um Lebendigkeit in Form von Sexualität, und beides braucht Nähe und deren Regulation."

Als zu viel empfundene Nähe kann somit genauso viel Stress auslösen wie der Beruf oder andere Verpflichtungen, so der Therapeut. Ein entsprechender Ausgleich durch die Stärkung der eigenen Autonomie in Form von Hobbys oder Zeit für sich selbst ist deshalb unbedingt notwendig für eine gesunde Beziehung, da die partnerschaftliche Nähe sonst schnell mit Stress assoziiert wird -und das kann fatale Folgen haben.

Doch gerade im Urlaub wird Zeit, die man für sich einfordert, häufig kritisch beäugt. Der Therapeut rät dennoch dazu, auch im Urlaub auf ausreichend "Me-Time" zu achten, sei es die morgendliche Laufrunde oder das ungestörte Lesen am Strand. Wichtig ist dann allerdings, zumindest das Handy während gemeinsam verbrachter Zeit beiseitezulegen.

Kuntze ergänzt: "Vergessen Sie nie, dass ein Urlaub für Paare ein Ort der Freude, des Spiels, der Erholung sein soll. Paare sind oftmals gezwungen, ihren Alltag einer strengen Ordnung und vielfältigen Aufgaben in der Familie oder im Beruf zu unterwerfen. Urlaub, Feiertage, gemeinsame Freizeit soll und muss sich davon wesentlich unterscheiden, sonst müssen Sie erst gar nicht in den Urlaub fahren."

Alles auf Anfang

Gemeinsames Fantasieren vom gemeinsamen Traumurlaub kann dabei helfen, schon vor dem Urlaub eine gute Grundstimmung zu schaffen, erklärt Kuntze.

Eine praktische Übung: "Erzählen Sie einander in Vergangenheitsform, wie der perfekte Urlaub für Sie war, obwohl Sie ihn noch gar nicht begonnen haben. Jeder erzählt ein paar Minuten und mit diesem Wissen starten Sie als Paar in den Urlaub. Ganz wichtig: Es gibt keine Diskussion darüber, welche Urlaubswünsche jetzt erfüllt werden oder nicht, also ob Sie jetzt am Strand liegen oder mit dem Mountainbike die Gegend erkunden. Es geht nur darum, dass ein Paar voneinander weiß, wie sich der jeweils andere den perfekten Urlaub vorstellt. Dieses Wissen allein sorgt für einen schöneren, harmonischeren Urlaub, weil wir dadurch innerlich flexibler und offener werden." In einer Beziehung sollten beide Partner ein gewisses Engagement an den Tag legen, wenn Probleme auftreten. "Eine Beziehung, die lange andauert, hat es auch verdient, dass man gemeinsam lange prüft, wie diese zu retten und positiv zu verändern ist", so Kuntze. "Trennen kann sich jeder, das geht schnell. Eine Beziehung retten, braucht Engagement und Ausdauer."

Aufwand, der sich lohnt

Dass eine langjährige monogame Beziehung trotz all der alltäglichen Hindernisse und Herausforderungen für viele Menschen immer noch das Lebensmodell der Wahl ist, zeigte sich in den letzten beiden Jahren besonders deutlich. "In den letzten zwei Jahren hat die Anzahl der Scheidungen nicht drastisch zugenommen. Ich führe das auf den Umstand zurück, dass Ehepaare in unsicheren Zeiten eher zusammenhalten und abwarten", meint Rechtsanwältin Perl-Lippitsch.

Kuntze vermutet, dass sich gerade in Krisenzeiten zeigt, wer wirklich zusammengehört: "Die Zeit seit Anfang 2020 hat die einen Paare auseinander-und andere Paare tiefer und stabiler zusammengebracht. Die, die durch die Pandemie in ihren Arbeits-und Aufgabenroutinen unterbrochen wurden und diese Routinen ursächlich die Partnerschaft belastet haben, sind enger zusammengekommen. Und diejenigen, bei denen solche Routinen nur noch die äußere Hülle einer leeren und freudlosen Partnerschaft waren, standen einander plötzlich sprachlos und lieblos gegenüber."

Dennoch erlebte der Paartherapeut die letzten zwei Jahre als die arbeitsintensivste Zeit seiner über 20-jährigen Praxisarbeit, so der Berliner. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 28/29 2022.