Twitter-Novice im Facebook-Schatten

Seit seiner Angelobung zum Bundeskanzler ist Alexander Schallenberg auf Twitter. Unterdessen betreibt Vorgänger Sebastian Kurz die mächtigste Politik-Propaganda-Maschine Österreichs - mit Tweets sowie auf Facebook, Instagram und TikTok.

von Medien & Menschen - Twitter-Novice im Facebook-Schatten © Bild: Gleissfoto

Die Scheu des Diplomaten vor Social Media ist verständlich. Denn politische Nutzung von Plattformen wie Twitter und Facebook steht spätestens seit Donald Trump und Heinz-Christian Strache im Zwielicht der Polarisierung. Obwohl Könner wie Barack Obama und Alexander Van der Bellen zeigen, wie integrativ diese digitalen Netzwerke nutzbar sind. Erst seit seiner Angelobung als Bundeskanzler am 11. Oktober - dem 13. Todestag des Ausnahmekommunikators Jörg Haider - ist auch Alexander Schallenberg auf Twitter. Darauf haben so viele gewartet, dass er schon nach 70 Stunden mehr als 10.000 Follower hatte. Doch seitdem stagniert der Zulauf. Am Nationalfeiertag waren es 12.500. Das wäre keine weitere Bemerkung wert, wenn damit nicht das Rad der Kanzlerkommunikation auf den Stand von 2016 zurückgeschraubt würde. Werner Faymann stand mit den Werkzeugen auf Kriegsfuß, die den Aufstieg von Sebastian Kurz mitbegründet haben - und zwar vor allem im Jahr der vielen Präsidentschaftswahlen. Anfang 2016 hatte er 90.000 Follower auf Twitter und 100.000 Abonnenten auf Facebook, wo Strache mit der dreifachen Zahl als uneinholbar galt. Unterdessen waren Irmgard Griss und Van der Bellen per Social- Media-Videos angetreten, während ÖVP und SPÖ mit ihrer altbackenen Begleitung von Rudolf Hundstorfer (  2019) und Andreas Khol alle Chancen auf einen Hofburg-Einzug verspielten. In diesem Windschatten und dem der Trump-Wahl verdreifachte Kurz seine Facebook-Gemeinde und erhöhte die Zahl seiner Tweet- Empfänger um 50 Prozent.

Spätestens seit der rot-schwarzen Niederlage und der Vorbereitung der türkisen Übernahme gelten Social Media hierzulande auch bei den einstigen Großparteien als unverzichtbar im politischen Spitzengeschäft. Als Strache 2019 gehen musste, lag er auf Facebook mit 800.000 Abonnenten gleichauf mit Kurz. Der hat dort heute eine Million Abos, fast halb so viele Follower auf Twitter, 370.000 auf Instagram und 130.000 auf TikTok. Der mutmaßliche Schattenkanzler befolgt Obamas einstiges Erfolgsrezept, möglichst viele digitale Kanäle mit ihren unterschiedlichen Zielgruppen zu bespielen. Alexander Schallenberg hingegen beschränkt sich auf die kleinste der genannten Plattformen. Twitter nutzen in Österreich nur vier Prozent der Bevölkerung täglich, Facebook immer noch zehnmal so viel (laut einer Untersuchung im Auftrag von Teletest und der Medienaufsicht RTR).

Der Kurznachrichtendienst entspricht wohl auch am ehesten dem neuen Kanzler. Tweets sind ungeachtet ihrer Trump'schen Imageschädigung global "State of the Art" für die Kommunikation von operativen wie repräsentativen Staatschefs. Auch Van der Bellen folgt eine Viertelmillion auf Twitter -dazu kommen aber noch 330.000 bzw. 175.000 Abos auf Facebook und Instagram. Schallenberg hat aufgrund seines Amtes die Chance, auf all diesen Plattformen rasant aufzuholen. Wie gut das gelingt, hängt lediglich davon ab, ob er in seinen Postings schneller und mit mehr Neuigkeitswert kommuniziert als über den herkömmlichen Medien-(Um-)Weg. Bisher scheint er aber keine solche Strategie zu verfolgen. Deshalb auch das vorerst rasch nachlassende Interesse an seinem Twitter-Auftritt.

Kurz hingegen verfügt mit seinen Accounts über die mächtigste Propagandamaschine Österreichs. Wie einst Strache aus der Opposition könnte er ein Parallel- Infoversum zur journalistisch gefilterten Medienkommunikation aufziehen. Dass er dies nach Kaperung der ÖVP nicht fortgesetzt hat, liegt nur an seiner schnellen Kanzler-Werdung. Dadurch hatte er Status und Mittel für ein aufwändiges Doppelspiel via Social Media und Nachrichtenmedien. Diese Ressourcen sind nun viel geringer. Aber anders als Trump wird Kurz nicht von Twitter und Facebook gesperrt werden. Und anders als Strache wird ihm seine Partei die Accounts nicht wegnehmen - solange er ihr Obmann ist. Doch Facebook & Co. sind Kurz' Tools, um das zu bleiben. Sie werden zusehends vom Vorteil zum Problem der ÖVP.