Verdammt gutes Fernsehen

David Lynch hat 1990 mit "Twin Peaks" die Art, wie TV-Serien funktionieren, auf den Kopf gestellt. Jetzt haucht er seiner surrealen Kultserie neues Leben ein.

von TV-Serie - Verdammt gutes Fernsehen © Bild: © 2016 Showtime © Showtime / Sky

Ein Zaunkönig auf einem Ast. Ein riesiges Sägewerk. Das Schild "Welcome to Twin Peaks“. Ein imposanter Wasserfall. Und dazu die Gänsehaut erzeugende Musik von Angelo Badalamenti. Es sind nur einige wenige Elemente, die die Eröffnungssequenz von "Twin Peaks“ bilden. Doch diese ergeben schon ein kleines Kunstwerk für sich, das sich tief in die Gehirne jener eingebrannt hat, die die Serie gesehen haben.

Als im April 1990 die erste Episode von "Twin Peaks“ auf dem US-Sender ABC ausgestrahlt wurde, brach im Fernsehen eine neue Ära an. Auch wenn man es damals noch nicht ahnen konnte: Die Zeit des Binge Watchings und Puzzlelösens vorm Schirm hatte begonnen. Unzählige spätere Serien wurden von "Twin Peaks“ mehr oder weniger stark beeinflusst. Das gilt für den Mystery-Hit "Akte X“ genauso wie für "Ally McBeal“ mit seinen skurrilen Nebenfiguren, für "Mad Men“, "Breaking Bad“, "The Wire“ und "Dexter“.

In den Bann gezogen

Heute gelten Serien nicht mehr als schnell konsumiertes mediales Junkfood, sondern als Königsklasse der Erzählkunst, die es mit dem Roman aufnehmen kann. Gute Serien kreieren nicht nur eine bestimmte Stimmung, sie erschaffen glaubwürdig eine eigene Welt, die den Betrachter völlig in ihren Bann zieht. Mithilfe geschickt eingesetzter Dramaturgie, unerwarteter Wendungen und Cliffhanger vermögen sie den Zuseher über einen sehr langen Zeitraum zu fesseln.

© © 2016 Showtime © Showtime / Sky Mädchen Amick (li.) und Peggy Lipton sorgen einmal mehr für "verdammt guten Kaffee"

So betrachtet kam "Twin Peaks“ zu früh, war David Lynch seiner Zeit zu weit voraus. Von Streaming und Konsorten konnte 1990 nämlich noch keine Rede sein, man musste verlässlich zu einer bestimmten Zeit vorm Fernseher sitzen, um nichts zu verpassen. Und leider konnte man immer nur eine Folge auf einmal sehen.

»Ich liebe die 'Twin Peaks'-Welt. Es ist, als würde dich ein Magnet wieder hineinziehen.«

David Lynch, Regisseur und Mastermind der "Twin Peaks"-Folgen

Die erste Staffel der Serie entwickelte sich so zwar zum Straßenfeger. Nach einigen Folgen wurden die Zuseher jedoch ungeduldig. Sie wollten endlich erfahren, wer Laura Palmer getötet hat. Bei einem Treffen soll angeblich sogar der russische Präsident Gorbatschow sein amerikanisches Gegenüber Bush gefragt haben, ob er es ihm stecken könne. ABC kapitulierte, verriet den Mörder vorzeitig - und ließ dem Mix aus Krimi, Horror und Seifenoper damit die Luft aus. An dieser Stelle hätte es vorbei sein können mit dem Hype.

Aber die künstlerische Vision von Regisseur David Lynch und die unheimlichen Bilder, die er zusammen mit Kompagnon Mark Frost schuf, waren stärker. Auch 27 Jahre später ist die Serie immer noch extrem präsent. Wir erinnern uns an die düsteren und an die grellen Momente, an die schöne Sheryl Lee als tote Laura Palmer, an Kyle MacLachlan als ungewöhnlichen Ermittler und seine Vorliebe für - richtig - "verdammt guten Kaffee“. An die mysteriöse Log Lady, der ein Holzscheit Dinge einflüsterte. An den furchterregenden roten Raum, einer Art Vorhölle. Und natürlich an die Figur Bob, der im Serienuniversum das ultimativ Böse verkörperte.

© © 2016 Showtime © Showtime / Sky "Akte X"-Star David Duchovny schlüpft erneut in die Rolle von Undercover-Agent Dennis bzw. Denise Bryson

Keine geplante Sensation

All das hätte sich kein findiger TV-Produzent mit einem Team beflissener Autoren ausdenken können. "Twin Peaks“ war keine geplante Sensation, kein am Reißbrett entworfener Zusehermagnet. Die Serie konnte eigentlich nur einem Ort entspringen - dem Gehirn von David Lynch. Die Welt, die er entworfen hat, war einerseits amerikanisch wie nur was: eine Kleinstadt mit Highschool, Diner und viel Natur rundherum, dazu gottesfürchtige Bewohner und saubere Fassaden, hinter denen sich allerlei Lebenslügen und zerrüttete Familienverhältnisse verbergen.

Lynch handhabte den Stoff aber so frei wie ein europäischer Autorenfilmer. Er ließ sich Zeit damit, die kleinen und größeren Geheimnisse des Plots aufzuklären. Er schweifte auch gern ab, baute minutenlange Dialoge über Kaffee und Kirschkuchen ein. Im Grunde scherte er sich einfach nicht um die Konventionen von TV-Serien. Das Resultat war eine Welt, die zum einen komplett künstlich wirkte, aber trotzdem echter als "normales“ Fernsehen. Nirgendwo sonst, vielleicht mit Ausnahme des gleichfalls faszinierenden Films "Mulholland Drive“, der ursprünglich auch als Serie geplant war, hat David Lynch seinen ureigenen Kosmos so verstörend und süchtig machend schön realisiert wie in "Twin Peaks“.

© © 2016 Showtime © Showtime / Sky Ebenfalls wieder mit an Bord: David Lynch (li.) und Miguel Ferrer

Als Zuseher würde man an manchen Stellen am liebsten in das TV-Gerät steigen, um selbst in der fiktiven Kleinstadt herumgehen zu können. Mit der Neuauflage der Serie kommt man der Erfüllung dieses Wunsches etwas näher. Dass Film und Fernsehen auf bewährte Stoffe setzen, ist ja nichts Neues. Nostalgie dominiert unsere Kultur, von "Star Wars“ bis "Denver Clan“ gibt es kaum etwas, das nicht irgendwann wiederkommen würde.

Keine Kompromisse

Bei "Twin Peaks“ ist allerdings nicht mit einem schalen Aufguss zu rechnen. David Lynch hat noch nie Kompromisse gemacht. Eher schon will er mit der dritten Staffel die verhältnismäßig schwache zweite Staffel vergessen machen, an der viele Regisseure und Autoren mitwirkten. Erst gegen Ende hin nahm sie wieder Schwung auf. Und ganz am Schluss verkündete damals der Geist von Laura Palmer Agent Cooper: "Wir sehen uns in 25 Jahren wieder.“

Leicht verspätet wird dieses Versprechen nun eingelöst. Mit von der Partie sind alte und neue Gesichter: Kyle MacLachlan, Sheryl Lee, Mädchen Amick, aber auch Naomi Watts, David Duchovny oder Monica Bellucci. Was vorab über den Plot durchgesickert ist, lässt sich mit einem Wort umschreiben: nichts. Das schmälert die Euphorie keineswegs. Wir sind gespannt.

© © 2016 Showtime © Showtime / Sky Kyle MacLachlan schlüpft nach 25 Jahren wieder in die Rolle von Special Agent Dale Cooper, der in der Kleinstadt Twin Peaks im Mordfall Laura Palmer ermittelt

Die neue Staffel

Am 21. Mai liefen die ersten beiden von 18 neuen "Twin Peaks“-Folgen im US-Kabelnetzwerk Showtime. Auf Deutsch zeigt sie Sky Atlantic HD seit 25. Mai wöchentlich.