Veit Heinichsens Triest - eine Stadt für Entdecker und Flaneure

Als der deutsche Schriftsteller Veit Heinichen vor 41 Jahren die Hafenstadt Triest betrat, war das wie ein Nachhausekommen. Zum Erscheinen des elften Proteo-Laurenti-Krimis führt der Literaturstar für News vom Zentrum in die Landschaft des Karsts.

von Reisen - Veit Heinichsens Triest - eine Stadt für Entdecker und Flaneure © Bild: Shutterstock.com

Als ich vor 41 Jahren zum ersten Mal nach Triest kam, hatte ich in den drei Tagen, die ich mir dort gönnte, begriffen, dass ich hier so schnell nichts begreifen würde. Für mich war das eine Aufforderung, zurückzukommen. Immer und immer wieder. Ich wurde zum Pendler zwischen Berlin und dieser für mich noch rätselhaften, aber faszinierenden Hafenstadt an der Adria. Bis ich in den Neunzigerjahren schließlich hier mein Zuhause fand. Triest ist die Stadt, in der ich, nach 13 Umzügen in vier europäischen Ländern, länger verweile als an jedem Ort zuvor. Triest wurde mein Schicksal, erwies sich als idealer Schauplatz meiner Romane -mein Commissario Proteo Laurenti ermittelt schon im zwanzigsten Jahr. Wir beide sind fasziniert von der Triestiner Vielfalt. Etwas davon finde ich auch auf meiner Identitätskarte wieder -sie ist zweisprachig, italienisch und slowenisch.

Vielfalt und Normalität

Es war die pure Neugier auf eine Stadt, deren Namen man in der ganzen Welt kannte, die mich hergeführt hatte. Als nördlichste Hafenstadt der Adria und als politischer Brennpunkt im Kalten Krieg und im Zentrum der Spannungen, in dem es nicht weniger an Spionen wimmelte als in Wien, Berlin oder Istanbul. Ich wollte mehr erfahren über dieses Triest. Nicht zuletzt ist es eine der wahren Metropolen der Weltliteratur, die hier stets in vielen unterschiedlichen Sprachen geschaffen wurde. James Joyce hatte hier seinen gigantischen Roman "Ulysses" begonnen, die Franzosen Stendhal und Jules Verne ließen sich hier inspirieren, auch der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić. Srečko Kosovel, Italo Svevo und Umberto Saba stammen von hier. Thomas Mann ließ sich nach Palästina für die Recherchen an seinem Roman "Joseph und seine Brüder" einschiffen. Und er ließ seinen Gustav von Aschenbach in der Novelle "Tod in Venedig" von Triest abfahren. Auch heute wird hier Literatur geschaffen von Autoren aus ganz Europa, aus Indien oder Südamerika.

© Veit Heinichen

Ginge es nach mir, würde ich das Ortsschild mit "Einheit der Vielfalt" überschreiben. Die Hauptstadt von Friaul-Julisch Venetien ist mit Sicherheit der komplexeste Ort auf unserem Kontinent. In dieser Stadt ist Europa zu Hause.

In den Straßen hört man unterschiedlichste Sprachen, viele Menschen haben deutsche Nachnamen, sprechen es aber nicht. Der Beitrag der bedeutenden griechischen Gemeinde zum Wachstum war enorm. In der sogenannten Balkan-Town vereint sich halb Osteuropa. Einwanderer aus Serbien siedelten sich schon nach der Ernennung zum Freihafen durch Karl VI. an, später, als sie dem Kommunismus entflohen sind, und schließlich um vor der Balkankrise Zuflucht zu finden.

Das Buch "Entfernte Verwandte: Commissario Laurenti ahnt Böses"* finden Sie hier.

Jede Religion hat ihren eigenen Tempel, die Synagoge ist die größte in Westeuropa, das hübsche romanische Kirchlein San Silvestro aus dem elften Jahrhundert gehört heute den helvetischen Waldensern. Die griechisch-orthodoxe Kirche ist ein Schmuckstück an den Rive neben dem Caffè Tommaseo von 1832. Meine Leser werden bei einer katholischen Kirche neben der Kathedrale von San Giusto wahrscheinlich auch an Sant'Antonio Taumaturgo im Borgo Teresiano denken, in jenem Viertel, das von Maria Theresia von Österreich erbaut worden ist. Eine Tafel an einem Palazzo gedenkt ihrer in den sieben offiziellen Sprachen ihres Reiches. Wer hier jedoch dieses viel zitierte altösterreichische K.-u.-k.-Flair sucht, wird vergeblich Ausschau halten. Gäbe es das noch, wäre diese Stadt ein Museum, ganz abgesehen davon, dass auch dieses Reich mit Millionen Toten in Dekadenz zugrunde gegangen ist.

© Butterfly media/Shutterstock Bis 1914 war das Schloss Miaramare die Sommerresidenz der Habsburger

Der Grund, warum Triest und nicht Venedig heute die Hauptstadt an der oberen Adria ist, liegt in seiner geostrategischen Position und seiner geschäftigen Normalität. Es prosperiert nicht durch die künstliche Beatmung durch Touristen, sondern durch seine eigene Leistung. Dreizehn Prozent der Bevölkerung arbeiten oder studieren an der Universität. Es ist das größte Forschungszentrum Italiens, weltweit renommierte Institutionen sind angesiedelt. Wussten Sie, dass Sigmund Freud in dieser Stadt seine erste wissenschaftliche Arbeit verfasst hat?

Hohe Dichte an Bars und Cafés

Triest ist eine Stadt für Entdecker. Ein Tummelplatz für Flaneure. Erkunden Sie sie so weit wie möglich zu Fuß. Niemand muss Angst haben, hier zu verdursten. Die Dichte an Bars und Cafés ist höher als in jeder anderen Stadt, und das nicht nur im Zentrum, auch in den Außenbezirken. Man muss nur den Blick heben, um die Vielfalt zu erkennen. Diese Stadt lebt von ihren Kontrasten. Setzen sie sich auf die Piazza dell'Unità d'Italia ins Caffè degli Specchi und schauen Sie sich um. Ein Kaffeehausbesuch muss sein, zumal es einer der wichtigsten Umschlagplätze für die braunen Bohnen ist. Qualität und Vielfalt sind hoch (nachzulesen in: "Keine Frage des Geschmacks", Proteo Laurentis siebter Fall, Anm.). Auch das Caffè San Marco, das eine sehr gute Buchhandlung hat, ist nicht zu versäumen.

Den besten Einblick ins Triestiner Leben bietet die Gran Malabar (das Stammlokal von Commissario Proteo Laurenti, Anm.) auf der Piazza San Giovanni. Sie liegt zwar nicht am Meer, ist aber ein Schnittpunkt für Triestiner aus allen Schichten und Vierteln, man kann jeden sozialen Aspekt betrachten und hat auch noch den Vorteil, dass man in der besten Enothek der Stadt ist. Das Team von Walter und Mario &Co wartet mit den besten Weinen und sehr gutem Kaffee auf.

© Marino Sterle

Setzen Sie Ihren Weg von der Malabar durch die Fußgängerzone in die Viale XX Settembre fort. Denken Sie aber stets daran, die Hausfassaden der neoklassizistischen Paläste im Blick zu haben. Auf nicht wenigen sind zwei antike Gottheiten zu finden. Merkur und Apoll. Der Gott des Handels zusammen mit dem Gott der Poesie und Kultur: Die großen Unternehmer wussten schon früher genau, dass das eine ohne das andere nicht existieren kann. Die Dichter Italo Svevo und Umberto Saba, an deren Statuen man in der Fußgängerzone vorbeikommt, lebten das vor, denn sie waren beide Unternehmer. In einer Viertelstunde lässt sich von der Gran Malabar das Museo Revoltella in der Via Armando Diaz erreichen. Der Erbauer, Baron Pasquale Revoltella, war als vierjähriger Sohn eines venezianischen Metzgers gekommen, in Ägypten brachte er es bis zum Finanzminister, brannte aber mit der Hälfte es Staatsschatzes durch, kam in den Genuss der Amnestie für reiche Straftäter und investierte sein Vermögen in die Realisierung des Suezkanals und in die Stadt. Er gründete eine Schule für angehende Kaufleute, ein Vorläufer der Universität, und ließ seinen Palast als künftiges Museum konzipieren, das er der Stadt vermachte.

Das Buch "Triest: Stadt der Winde"* finden Sie hier.

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Wir nähern uns dem Meer. Wer Lust auf einen Sprung ins Wasser bekommt, kann mitten in der Stadt baden gehen. Zwei alte Bäder, das Ausonia und das Lanterna, werden gerne von den Triestern frequentiert. In letzterem sind Frauen und Männer getrennt. Und ein paar Meter weiter Richtung Miramare oder vor der Steilküste liegen noch viele andere Badeanstalten. Das Meer ist wunderbar sauber.

Der steinerne Gürtel

Ein wichtiger Teil der Stadt aber liegt außerhalb, ist ein Stück Natur. Der Karst, ein Hochplateau 300 Meter über dem Meeresspiegel, umgibt Triest wie ein steinerner Gürtel. Die Stadt wäre ohne den Karst und der Karst ohne die Stadt nicht denkbar. Er versorgt sie mit Lebensmitteln und Arbeitskräften. Die Großstädter nutzen den Karst heute vor allem für einen Ausflug in eine Osmiza, das ist eine Buschenschank, die bis zu sechs Wochen im Jahr geöffnet haben darf und wo nur lokale Speisen und Getränke angeboten werden. Exzellent sind die Olivenöle und die Weine aus dem Karst. Kein maschineller Anbau und wirklich naturrein, weil sie wegen des Windes kaum gegen Krankheiten und Ungeziefer behandelt werden müssen. In einer Osmiza kann man sich völlig gesund betrinken. Schon die dritte Frau des römischen Kaisers Augustus soll diesem Karstwein, dem Vino Pucinum, zugesprochen haben und sehr alt geworden sein. Und wir genießen den Luxus, uns im Restaurant täglich zwischen Speisen aus dem Meer oder vom Land entscheiden zu müssen. Diversität ist Reichtum. Vorher aber wollen wir noch die unzähligen Vorzüge unserer Stadt erkunden. Dokumentiert von Susanne Zobl

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 31+32/2021.