Austria not very good

Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen.

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Private Bilder aus Traiskirchen © Bild: Thomas Reitmayer, Judith Moser

Traiskirchen ist ein kleines Kaff zwanzig Kilometer von Wien entfernt, gleich hinter der Shopping City Süd, nicht sehr auffällig. Als meine Frau und ich hinfahren, wirkt es besonders verschlafen, brav, bieder, sauber. Gleich nach der Ortseinfahrt ist eine Tankstelle, ein paar Gasthäuser. Ein paar hundert Meter weiter sieht man die ersten Flüchtlinge in kleinen Gruppen herumspazieren.

Niemand ist laut, im Gegenteil, es herrscht eine Mischung aus Höflichkeit und Lethargie. Langweile kann so unglaublich an den Nerven zehren. Einmal noch um die Ecke fahren, und dann kommt der erste Schock wie ein Faustschlag: Menschen sitzen in der prallen Hitze am Gehsteig mit Plastiksackerln und dem, was sie am Leib tragen. Mir schnürt es den Hals zu und die Tränen steigen hoch.

Wir parken und sofort bildet sich eine Menschentraube um uns. Niemand wirkt gefährlich oder bedrohlich, ist laut. Mir kommt der Gedanke, dass ich mir in der U-Bahn mehr Sorgen um meine Schlüssel und meine Geldbörse mache als hier. Sofort sind helfende Hände da, packen mit an. Jemand fragt nach Wasser, ich hab einen Sechserträger Mineralwasser in der Hand und will ihn ihm geben. "No, only one. Only for me", winkt er ab.

»In der U-Bahn mache ich mir mehr Sorgen um meine Geldbörse als hier.«

Im Lager gibt es kaum Schatten, kein Gras, kaum Bäume. Außerhalb des Lagers liegt kaum Müll. Es ist sehr sauber in Traiskirchen. Auf jedem Festival gibt es mehr Müll, und das bei fast 4000 Menschen. Auf jedem Festival gibt es allerdings auch saubere Klos, ausreichend Duschen, ärztliche Versorgung, Zelte mit Boden, Essen, Wasser. Hier nicht. Hier gibt es nicht mal Privatsphäre.

Private Bilder aus Traiskirchen
© Thomas Reitmayer, Judith Moser

Eine Frau aus Somalia wühlt in einer Kiste mit Kleidung, findet eine kleine Spielzeug-Eidechse aus Plastik und erschrickt kurz. Ich muss lachen. Sie auch. Sie strahlt mich an. Wir können kein Wort wechseln, aber wir verstehen uns. Ein kleiner Bub stupst mich schüchtern an und zeigt auf das Sackerl mit Stofftieren. Er bekommt eines und auch er strahlt mich glücklich an. In diesem Moment realisiere ich zum ersten Mal so richtig, wo ich bin. Ich möchte ihn am liebsten hochnehmen.

Nachdem sich der erste Ansturm gelegt hat, gehe ich ein paar Schritte und kämpfe mit den Tränen. Ein junger Mann aus Afghanistan fragt mich nach meinem Namen und meiner Herkunft. "Ah, Austria, very good", sagt er in gebrochenem Englisch. Nein, nicht so, denke ich mir. "Austria" ist nur "very good" für die, die auf der richtigen Seite des Zauns geboren sind. "Austria" ist "very good" zu mir, weil ich mich nicht entscheiden muss, ob ich mich bei der Schlange bei der Essensausgabe anstelle oder bei der beim Arzt. Ich kann beides haben, rund um die Uhr.

  • Private Bilder aus Traiskirchen
    Bild 1 von 11 © Bild: Thomas Reitmayer, Judith Moser

    Bilder vor dem Flüchtlingslager Traiskirchen

    "Auf einmal bildet sich eine Menschenmenge. Es wird getrommelt, gesungen, getanzt. Ein junger Mann aus Afghanistan grinst mich an: "Would you like to dance with me?"

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    Bild 2 von 11 © Bild: Thomas Reitmayer, Judith Moser

    Bilder vor dem Flüchtlingslager Traiskirchen

    Sie könnte vorbeifahren, aber sie will mitten durch. Türen werden mal sicherheitshalber geöffnet, der Ton wird strenger.

Ich brauche nur einen Termin. Wer hier einen solchen verpasst, fällt aus der Grundversorgung. Auch wenn sie nichts davon wussten. Sie verpassen ihn, weil sie die Sprache/n nicht verstehen. So simpel, so bürokratisch. Keine Grundversorgung bedeutet dann: Kein Klo. Kein Schlafplatz. Kein Arzt. Kein Wasser. Kein Essen. Kein Geld. Nichts. Einfach nichts.

»Kein Klo. Kein Schlafplatz.«

Meine Frau und ich unterhalten uns mit einer somalischen Mutter. Ihre Tochter ist drei, vier und strahlt wie eine Prinzessin, als sie rosa Kinderkleidung von uns bekommt. Meine Frau schenkt der Mutter ihre Sonnenbrille. Ich liebe sie gleich noch mehr dafür, und gleichzeitig schäme ich mich ein kleines bisschen, dass ich meine nicht auch hergebe. Ich will nicht, dass mich diese Menschen dort beim Weinen sehen. Das ist so ziemlich das allerletzte, das sie nötig haben. Ich bin nur ein paar Stunden dort, ich kann nachher wieder nach Hause, in ein Bett, in eine Badewanne, zu einem vollen Kühlschrank.

» Ich will nicht, dass mich diese Menschen dort beim Weinen sehen.«

Es fällt auf, wie viele Kinder im Lager sind. Eine afghanische Familie hat ein Kind mit vier Monaten. Der Vater beherrscht etwas Deutsch, wir können uns aber verständigen. Die Mutter wirkt apathisch, depressiv, erledigt. Ich bin hin- und hergerissen zwischen extremen Emotionen: Auf der einen Seite diese tiefe, ehrliche, echte Freude der Flüchtlinge über jede Kleinigkeit und über jedes Lächeln, auf der anderen gnadenlose Wut auf diejenigen, die immer wieder die gleichen abscheulichen Lügen verbreiten: Es würden nur junge Männer nach Österreich kommen, alle Wirtschaftsflüchtlinge, jeder hat alles, Markenkleidung und Smartphones. Nichts davon stimmt, kein einziges Wort.

Private Bilder aus Traiskirchen
© Thomas Reitmayer, Judith Moser

Ein Mann trägt ein Shirt auf dem "Gspusi" steht, ein anderer eines mit einem Lebkuchenherz-Aufdruck. Ich ertappe mich beim Gedanken, dass ich froh bin, dass viele noch nicht Deutsch können. Die tägliche Hetze muss einfach unerträglich sein. Hier sind Menschen, die mit dem nackten Leben davongekommen sind. Sie haben kein Zuhause mehr: in ihrem Heimatland herrscht Krieg, hier will sie niemand. Sie können nur warten. Doch worauf eigentlich? Es gibt kein Ziel. Es gibt keine Hoffnung, nicht mal den geringsten Lichtblick, keine Möglichkeit, dass es irgendwann, irgendwo einmal besser wird.

Ich hab immer noch nicht geweint. Ich kann es einfach nicht. Die Zeit der Kerzerlmärsche ist vorbei.

Thomas Reitmayer (41) aus Simmering ist Künstler und ist letzte Woche zusammen mit seiner Frau und Freunden nach Traiskirchen gefahren, um Sachspenden abzugeben. Seinen persönlichen Erfahrungsbericht hat er auf seiner Facebook-Seite gepostet. Was ihn am meisten in Rage versetzt: In einem Land zu leben, das darauf zählt, dass Privatpersonen sich schon irgendwie um die Aufgaben kümmern werden, der die Regierung nicht nachkommen will.

Kommentare

Urlauber2620

Na, Herr Reitmayer. Was haben sie denn geraucht? In welcher Welt leben denn sie? Wohnen sie in Traiskirchen? Oder geht es ihnen vielleicht nur um Werbung in eigener Sache und sie starten ihren PR-Gag um mit der Mitleidstour am Kuchen mitzunaschen? Dann sollten sie sich schämen und sich ihre Tränen sonst wohin tun.

Austria not very good,-dann geh weiter!

Praetorianer
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es kann jeder wieder gehen wenn ihm etwas nicht passt....das hier nicht das Gold auf der Straße liegt sollen die ruhig wissen. Unsere Urväter und Mütter haben diese Land aufgebaut mit ihren Hände 2Kriege überstanden damit wir und unsere Nachkommen ein schönes Land und Heimat haben. Sollen Sie auch zu Hause von wo sie kommen um ihre Freiheit kämpfen.

Rainer Schutz
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unsere vaeter haben das land aufgebaut dass unsere grossvaeter kaputtgehauen haben (und halb europa mit dazu)..

freud0815 melden

was mich nervt ist, dass man mittlerweise weiss, was die leute an ihre schlepper bezahlten.....die armen sind immer noch dort wo die not gross ist. DA sollten die leute hinfahren und berichten woher die das geld haben-4k zum hertuckern und dann rumjammern

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