Die Zeit der Schnäppchen ist vorbei

Die Tourismusbranche gibt sich trotz Teuerungswelle, Ukraine-Krieg und Pandemienachwirkungen optimistisch für die heurige Sommersaison. Doch die Hoffnung könnte eine trügerische sein - denn Österreich muss sich mit Kroatien oder Italien um jeden Urlaubsgast matchen. Überhaupt will im Sommer nur jeder Zweite verreisen, wie eine Exklusivumfrage für News zeigt

von Urlaub See © Bild: iStockphoto

Staus auf den Stadtausfahrten, volle Autobahnen, Traumwetter und Fotos von Urlaubermassen in Lignano über das Pfingstwochenende -die Reiselust nach zweieinhalb Jahren Pandemie scheint enorm. Und seit Monaten schon übertreffen sich die heimischen Touristiker in ihren optimistischen Einschätzungen für die kommende Sommersaison. Dennoch mehren sich die Zweifel, ob dieser Optimismus nicht doch etwas übertrieben und möglicherweise der Wunsch der Vater des Gedankens sein könnte. Denn der anhaltende Ukraine- Krieg und die damit verbundene Teuerungswelle trüben die Aussichten für den kommenden Sommer zunehmend ein. Viele Österreicherinnen und Österreicher überlegen sich derzeit, ob sie überhaupt verreisen sollen - oder angesichts drohender neuer Belastungen lieber nicht.

Balkonien und kürzere Urlaube

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) plant heuer nämlich nur knapp die Hälfte der Bevölkerung einen Sommerurlaub -konkret 48 Prozent. 49 Prozent planen einen solchen dezidiert nicht. Nur drei Prozent sind sich noch unschlüssig.

Sieht man sich die Ergebnisse näher an, zeigt sich, dass Männer mit 52 Prozent reisefreudiger sind als Frauen (44 Prozent) und bis zu 30-Jährige mit 56 Prozent am meisten mit Ja antworten. Am ernüchternden Gesamtergebnis ändert das freilich wenig. Besonders alarmierend für die heimische Tourismusbranche muss jedoch sein, dass von jenen, die einen Urlaub planen, lediglich 28 Prozent diesen in Österreich verbringen wollen. Satte 69 Prozent, also mehr als zwei Drittel, dagegen im Ausland: vorzugsweise in Italien und Kroatien, gefolgt von Griechenland bzw. einem Trip in eine europäische Stadt. Eines bestätigt die Umfrage ebenfalls: Die Dauer der Urlaubsaufenthalte wird immer kürzer. Nur 26 Prozent wollen sich eine Auszeit von 14 Tagen oder länger nehmen, 53 Prozent dagegen lediglich eine Woche, und immerhin 36 Prozent planen einen Kurzurlaub von einigen Tagen.

Das Thema Aufenthaltsdauer beschäftigt die Branche schon seit Längerem, dennoch scheint die Tatsache, dass Urlauber immer kürzer bleiben, durch die akute Teuerungswelle einen neuerlichen Push zu erhalten, erklärt IFDD-Chef Christoph Haselmayer: "Dass nur die Hälfte der Befragten einen Sommerurlaub plant oder viele überhaupt nur für einige Tage vereisen wollen, ist sicherlich den massiven Preissteigerungen der letzten Zeit geschuldet. Und wenn sie doch wegfahren, dann wollen die meisten dorthin, wohin sie während Corona nicht konnten - nämlich ans Meer. Und bleiben dann statt wie bisher zwei Wochen vielleicht nur noch eine."

Schlechtere Wettbewerbsfähigkeit

Dass die Sehnsucht nach einem südlichen Strandurlaub oder dem Besuch einer ausländischen Metropole pandemiebedingt zugenommen hat, ist die eine Seite. Die andere ist, dass der heimische Tourismus in den vergangenen zweieinhalb Jahren im internationalen Vergleich deutlich an Konkurrenzfähigkeit verloren hat - vor allem in preislicher Hinsicht. Wer 30 Euro oder mehr für zwei Aperol Spritz und eine Hauslimo ausgeben will, braucht nicht auf die Malediven oder nach New York zu fliegen -der Wörthersee tut es auch.

"Im Vergleich mit wichtigen Mitbewerbern hat sich das Preis-Leistungs-Verhältnis in der österreichischen Gastronomie und Hotellerie in den vergangenen zwei Jahren deutlich verschlechtert", sagt Tourismusexperte Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anhand der Entwicklung des harmonisierten Verbraucherpreisindexes in den Jahren 2015 bis 2021 lässt sich erkennen, dass die Preise in Lokalen, Restaurants und Beherbergungsbetrieben hierzulande generell am stärksten gestiegen sind -seit 2019 gar überproportional (siehe Grafik rechts unten).

So ist das Preisniveau in Griechenland in der Gastronomie in den zwei Jahren fast gleich geblieben und in der Beherbergung sogar gesunken. In Kroatien und Italien ist die Entwicklung ähnlich, ebenso in der Schweiz. Am konträrsten ist die Situation in der von Wirtschaftskrise und Währungsverfall gebeutelten Türkei: Dort haben sich die Preise in der Gastronomie um rund ein Drittel und die in der Hotellerie um fast die Hälfte reduziert. Ein enormer Preisvorteil, der die Türkei für einkommensschwache Personen und Familien aktuell sehr attraktiv macht.

"Meer und Strand werden heuer sicher ein starkes Argument für die Urlaubswahl sein", so Wifo-Experte Fritz. "Fraglich, ob vor diesem Hintergrund der verkündete Optimismus der heimischen Touristiker heuer tatsächlich auch so zutreffen wird."

Run aufs Mittelmeer


Verkehrsbüro-Vorständin Helga Freund kennt beide Perspektiven des Geschäfts - outgoing und incoming: Als Chefin der Reisebürokette Ruefa weiß sie, welche Auslandsziele gefragt sind, als Chefin des Veranstalters Eurotours (Hofer Reisen) die beliebtesten Inlandsdestinationen. Mittelmeerurlaube seien von den Österreichern "sehr gut nachgefragt" - vor allem Griechenland, Spanien, Italien, aber auch die Türkei und Ägypten -und als Fernziel die Malediven, so Freund: "Es gibt einen regelrechten Run aufs Mittelmeer. Bei den Buchungseingängen liegen wir derzeit zweistellig über dem 2019er-Niveau und viel höher als 2020 und 2021." Und was den Urlaub in Österreich betreffe, würden Tirol, Salzburg und die Steiermark am häufigsten gebucht -Kärnten bislang etwas weniger. Insgesamt -i nklusive der wichtigen deutschen Gäste - liege man da um 25 Prozent unter dem Stand von 2019. Bei den Österreichern, die im Inland urlauben, sind es immerhin noch zwölf Prozent. An den heimischen Seen gebe es noch ausreichend Kapazitäten, sagt Freund: "Ich mache mir da schon ein bisschen Sorgen."

Die Ausgangslage für den Sommer hat sich grundsätzlich geändert: Viele Gäste, die in den vergangenen zwei Jahren in Österreich Urlaub gemacht haben, fahren diesmal woanders hin. In der Branche spricht man im Kontext von "geliehenen Gästen".

Gästetausch in Kärnten

Das spürt etwa Kärnten, das in den Vorjahren für viele Inländer als Meerersatz fungierte. Kärntens Tourismus-Chef Christian Kresse ist sich dessen bewusst und berichtet von "zurückhaltenderen Vorausbuchungen als im Vorjahr". Es werde heuer wohl zu einem "Gästeaustausch" kommen, man sei dennoch zuversichtlich, weil der Angebotsmix aus Natur, Sport und Kulinarik stimme und die Gäste diesen schätzten. Kresse erwartet jedenfalls "ein Match um jeden Gast", bei dem Spontanität der entscheidende Faktor sein werde: "Es ist alles sehr volatil und kurzfristig."

In der Wirtschaftskammer ist man indes weiter um Optimismus bemüht, ein größerer Buchungseinbruch sei nicht zu erwarten: Über mögliche noch bevorstehende Preissteigerungen redet man dort nicht so gerne. Tourismus-Spartenobmann Robert Seeber glaubt, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis nach wie vor in Ordnung sei -zumindest in ländlichen Regionen bzw. Bundesländern wie Oberösterreich: "Da sind viele Betriebe noch um einiges günstiger als in den touristischen Hotspots." Die Reiselust sei weiter da und gegebenenfalls würden die Gäste wohl den Aufenthalt verkürzen, eine niedrigere Unterkunftskategorie wählen oder bei den Nebenkosten sparen.

Auch die Geschäftsführerin der Österreich Werbung (ÖW), Lisa Weddig, geht nach wie vor von einem "guten Sommer" aus: Urlaubsanfragen kämen zwar "sehr kurzfristig", was aber "sehr gute Chancen" eröffne, "für den Sommer die Unentschlossenen zu gewinnen". Besonders gut sei die Nachfrage aus Südeuropa, den Niederlanden und den arabischen Ländern. Weshalb die ÖW-Sommerkampagne jüngst auch in Dubai ausgerollt worden sei.

Auch wenn Weddig die "Rücknahme von Lockdown-Maßnahmen in China" als positives Signal für den Städtetourismus sieht, hat es dieser weiter schwer. Er hat während Corona besonders gelitten, weil die internationalen Gäste fehlten. Wiens Tourismus-Chef Norbert Kettner sagt, er habe "bisher nicht in die Jubelchöre eingestimmt" und werde "das auch jetzt nicht tun". Im April lagen die Buchungen in der Bundeshauptstadt bei 66 Prozent des Vorkrisenniveaus und es gehe weiter aufwärts. Die Gäste würden wieder zurückkommen, vor allem die Deutschen. Prognosen seien aber "Kaffeesudleserei", sagt Kettner: "Die Devise lautet: jetzt so viel Geschäft machen wie möglich -denn keiner weiß, was im Herbst sein wird."

Weiter steigende Preise

Und wie geht es bei den Preisen für Reisen weiter? Da würden Pauschalurlauber davon profitieren, dass die Veranstalter angebotene Leistungen noch im Vorjahr eingekauft hätten, künftig sei jedoch von steigenden Tarifen auszugehen, so Ruefa-Chefin Freund: "Das ist logisch, Tourismusbetriebe haben ja selbst steigende Kosten bei Energie, Treibstoffen und Lebensmitteln."

Die Zeit der Schnäppchen, so wie es sie früher gegeben hat, ist definitiv vorbei. Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, rechnet damit, dass der Urlaub um rund zehn Prozent teurer werden wird. Und Wiens Gastronomie-Obmann Peter Dobcak geht von Preiserhöhungen in Restaurants und Bars von 15 bis 20 Prozent bis Jahresende aus. Erhöhungen, die sich zwangsläufig in der Gästefrequenz und der Höhe der Konsumationen auswirken werden: Eine jüngst in News publizierte IFDD-Umfrage ergab, dass sich schon jetzt 19 Prozent der Bevölkerung am stärksten bei Lokalbesuchen einschränken.

und fehlendes Personal

Auch was das Urlaubserlebnis vor Ort angeht, könnte es für die Gäste heuer die eine oder andere Ernüchterung geben: Vielen Betrieben fehlen nämlich die dringend benötigten Mitarbeiter -und trotz verzweifelter Suche können sie oft keine finden (siehe auch Artikel auf Seite 24). Viele Hotels und Lokale haben Schwierigkeiten, die letzten 20 Prozent der Stellen zu besetzen. Manche Saisonbetriebe hätten noch nicht einmal die Hälfte der Mitarbeiter, die sie brauchen, so die neue Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler jüngst. Die Folge: reduzierte Speisekarten und Essenszeiten, heruntergefahrene Dienstleistungen sowie häufigere Schließtage.

Der heurige Sommer wird also definitiv ein herausfordernder -sowohl für die Betriebe als auch für die Gäste. Und einer wie damals, wie ihn die Berufsoptimisten in der Tourismusbranche nach wie vor erhoffen, wird er mit Sicherheit nicht.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 23/2022.