Tour de Philosophie: Liessmann denkt am Besten beim Radfahren über alles nach

PORTRÄT: Liessmann bedient weites Spektrum

Der Philosoph von heute soll öffentliche Diskussionen um Lebens- und Todesthemen anheizen und Antworten auf brennende Fragen vom Gentechnik-Experiment bis zur Sterbehilfe bringen. Eines jedoch muss er nicht mehr: Im stillen Kämmerlein (oder gar im Fass) sitzen, um zu denken. Konrad Paul Liessmann (53) denkt am Besten beim Radfahren. 8.000 Kilometer im Jahr strampelt sich der vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zum "Wissenschafter des Jahres 2006" Gekürte ab, um einen freien Kopf zu bekommen. Dabei kreiert er Fach- und Populärwerke, bissige Kommentare zur Politik und unübliche Positionen gegenüber aktuellen moralischen und gesellschaftlichen Fragen.

Liessmann ist dem Elfenbeinturm fern wie kaum ein anderer Intellektueller in Österreich: Als scharfzüngig-bissiger Zeitungskommentator tritt der Professor an der Fakultät für Philosophie der Universität Wien ebenso häufig in die Öffentlichkeit wie als stilsicherer Autor, der sich sperriger ebenso wie durchaus populärer Themen annimmt. Von Kitsch bis Kierkegaard, von Marx bis zur Modernen Kunst reicht das weite Spektrum der Publikationen des mehrfach ausgezeichneten Denkers, der u. a. 1996 den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik und 2003 den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln erhielt.

Der am 13. April 1953 in Villach geborene Philosoph und Kulturpublizist richtet sich nicht nur an Wissenschafter, sondern an breite Bevölkerungsschichten, etwa in der Ö1-Radioreihe "Denken und Leben". "Es war in bestimmten Wissenschaftszirkeln lange verpönt, auch in öffentlichen Medien zu publizieren, auch eine einfachere Sprache zu finden. Das hat sich sehr stark geändert", resümiert Liessmann im Gespräch mit der APA. Seiner Auffassung nach heißt "philosophieren immer, sich mit Menschen auseinander setzen" Denn die Philosophie führt "immer wieder zurück zu unseren grundlegenden Fragen".

Und diese Fragen sind - entgegen dem weit verbreiteten Ruf der Philosophie als weltferne Gedankenspielerei - keineswegs abgehoben, sondern "betreffen uns alle": "Was ist ein sinnerfülltes Leben, war es falsch gelogen zu haben, hätte ich meine Wahlversprechen wirklich so abgeben sollen - diese Fragen drängen sich auch dem Nicht-Philosophen alltäglich auf", stichelt Liessmann. Medizinischer Fortschritt, Sterbehilfe und Genforschung, Klimawandel und das "Prinzip Verantwortung" werfen für alle Menschen drängende Probleme auf, betont der Philosoph.

"Der Philosoph versucht, systematischer darüber nachzudenken, die Fragen begrifflich zu schärfen, logisch zu prüfen und zu argumentieren", sagt Liessmann. Und die aktuellen Diskurse "rückzubinden an die vielfältigen Arten und Weisen, in denen über solche Fragen schon nachgedacht wurde." Demnach ist das Hauptgeschäft des Philosophen, Fragen "nicht nur über Emotionalität, Affekte, Weltanschauungen zu klären, sondern durch Argumente."

Aus einem akademischen Umfeld kommt Liessmann nicht - und trotzdem war ihm früh klar, dass sein Interesse der Philosophie gilt. Der Band "Du und die Philosophie" aus einer populärwissenschaftlichen Reihe eröffnete dem 14-jährigen Villacher Gymnasiasten Fragen, die "mich fasziniert haben".

Nach der Matura 1971 studierte Liessmann Philosophie, Germanistik, Geschichte, Psychologie und Soziologie an der Universität Wien. 1976 erlangte er den Magister-Titel, drei Jahre später wurde er zum Dr. phil. promoviert, 1989 folgte seine Habilitation. 1977 begann Liessmann zu unterrichten, 1979 wurde er Assistent. Seit 1995 ist er Professor für Philosophie an der Universität Wien. 1997 rief er das "Philosophicum Lech" ins Leben.

Wie der Alltag eines Philosophen abseits der universitären Verwaltungsarbeit aussieht, ist simpel: "Rein äußerlich unterscheidet sich die Arbeit des Philosophen nicht von der eines anderen Forschers: Er sitzt nämlich vor dem Computer", sagt Liessmann. Die Essenz der Tätigkeit jedoch ist seit Jahrtausenden die selbe: "Philosophen denken nach."

Und dies ist keineswegs eine von den Erfolgen der Naturwissenschaften überholte Herangehensweise: "Die technischen Elite-Institutionen, an denen sich unsere Elite-Uni gerne orientieren würde, wie das MIT oder die ETH Zürich, haben alle große und berühmte philosophische Departments", betont Liessmann.

Zuletzt publizierte Liessmann über die "Theorie der Unbildung" und kann sich derzeit Häme über so manche aktuelle Regierungsansage nicht verkneifen. So sei Alfred Gusenbauers Ansage, wöchentlich Nachhilfe geben zu wollen, "ein echter Gag". Wie überhaupt die Idee, dass Studenten über Nachhilfestunden ihre Studiengebühren abarbeiten können: "Es wird seit Jahren diskutiert, wie schwer didaktische Arbeit ist. Und jetzt soll das plötzlich jeder Zweitsemestrige können? Jeder Bundeskanzler?", fragt Liessmann ironisch. "Es wird für Kabarettisten immer schwieriger, die Realität zu übertreffen." (apa)