Toni Faber: "Päpste
sind auch nur Menschen"

Dompfarrer Anton Faber über den Film "Die zwei Päpste", über päpstliche Unfehlbarkeit und seine Berufung zum Priester.

von Kirche - Toni Faber: "Päpste
sind auch nur Menschen" © Bild: Ricardo Herrgott

Papst Benedikt XVI., seit 2013 emeritierter Papst, und Franziskus, seit sechs Jahren als Oberhaupt der katholischen Kirche im Amt, sind seit Kurzem Helden eines Hollywoodfilms. Der Schriftsteller, Drehbuchautor und überzeugte Katholik Anthony McCarten hatte sein gleichnamiges Buch ("Die zwei Päpste"*, Diogenes, 24,70 Euro) zu einem packenden Film mit Anthony Hopkins als Benedikt/Joseph Ratzinger und Jonathan Pryce als Franziskus/Jorge Bergoglio verarbeitet.

Dompfarrer Anton Faber kennt Benedikt XVI. persönlich. Für News war der Manager des Stephansdoms im Kino und von McCartens cineastischer Betrachtung der jüngsten Kirchengeschichte beeindruckt: Der Film arbeite die Unterschiede dieser beiden Päpste sehr gut heraus.

Im Film konfrontiert Jorge Bergoglio seinen Chef, Papst Benedikt XVI., mit Argumenten, die den nur staunen lassen. Wie realistisch sind diese Dialoge?
Das ist die Frage. Aber ich kann mir diese Gespräche so gut vorstellen. Diese Dialoge, wie Jorge Bergoglio Benedikt so weit bringt, dass er nichts mehr sagen kann, waren sehr beeindruckend. Ich wäre gern als kleines Mäuschen dabei, wenn sich die beiden den Film gemeinsam ansehen.

Wie authentisch sind diese Päpste dargestellt?
Ich kenne Papst Benedikt XVI. persönlich. In Wirklichkeit ist er viel kleiner als Anthony Hopkins im Film. Er ist nie so herrisch aufgetreten, wie das im Film dargestellt ist. Er war persönlich sehr bescheiden. Er hat gesprochen wie gedruckt und er hatte Humor. Von Papst Franziskus hat mir Kardinal Schönborn erzählt. Er pflegt einen ganz lockeren Umgang mit Menschen. Als Kardinal Schönborn einmal im Vatikan in einen Aufzug einsteigen wollte, wies ihn die Schweizergarde zurück. Papst Franziskus fragte ganz locker, ob er denn ein Aussätziger sei, und ließ den Kardinal einsteigen.

Ist der Blick ins Innerste der Kirche, ins Privatleben eines Papstes, überhaupt zulässig?
Der Film zeigt, dass auch in den höchsten Positionen der Kirche Menschen sitzen, die mit sich ringen, die sündigen, die bereuen. Das ist eine der Stärken dieses Films. Daher könnte man ihn auch missionarisch einsetzen. Man erfährt, dass durch die Bischofs-,die Kardinals-und die Papstwürde der Mensch nicht ausgeschaltet wird. Das zu sehen, tut uns sehr gut. Es war genial, dass der Jahrhundertpapst Benedikt zugegeben hat, dass seine Kräfte nicht reichen, sein Amt auszuführen, und dass er zurücktreten muss. Er hat gezeigt, dass Päpste auch nur Menschen sind.

Werden in Zukunft Päpste, die zu alt und zu schwach sind, ihr Amt auszuüben, zurücktreten?
Das wird nicht mehr anders möglich sein. Wenn jemand keine Kraft mehr hat, wird er zurücktreten müssen. Als Benedikt die Akte über Missbrauchsvorfälle vom Schreibtisch gestohlen wurden, hat er erkannt, dass er die Sache nicht mehr in der Hand hat. Dann hat er abgedankt. Es war grandios, wie er seinen Rücktritt auf Latein bekannt gegeben hat. Papst Franziskus wird am 17. Dezember 83 Jahre. Er sagte bereits, dass er zurücktreten werde, wenn er sich nicht mehr stark genug für das Amt fühlt.

Benedikt war mit einigen Skandalen konfrontiert. Haben diese Vatileaks der Kirche geschadet?
Das hat der Kirche sehr geschadet. Dass es möglich war, dass sich Menschen im innersten Machtzentrum gegenseitig bestehlen, dass dem Papst persönliche Dokumente gestohlen werden können, war eine Erschütterung. Gar nicht zu reden von der Aufdeckung von Kindesmissbrauch. Ich habe erlebt, wie Groër zurücktreten musste. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, was da wirklich passiert ist. Da fragt man sich selbst, bei welchem Verein man da dabei ist. Vor Kurzem aber wurde bekannt, dass es in den Wiener städtischen Kinderheimen mehr Missbrauchsfälle gegeben hat als in den letzten 50 Jahren in der Kirche in Österreich. Jeder Fall in der Kirche ist ein Bombenskandal. Aber in den städtischen Kinderheimen wurde niemand verurteilt. Es gibt Zahlungen, aber keine Beschuldigten.

Anthony McCarten behauptet in seinem Buch zum Film, dass der Rücktritt von Papst Benedikt die päpstliche Unfehlbarkeit in Frage stellt. Ist der Papst unfehlbar?
Die Unfehlbarkeit des Papstes ist ein großes Missverständnis. Die letzten Päpste haben keine einzige unfehlbare Entscheidung getroffen. Johannes Paul II. nicht, Johannes XXIII. nicht.

Gab es eine unfehlbare päpstliche Entscheidung?
Das Mariendogma 1854 (von Pius IX., Anm.) zu Mariä Empfängnis und ein weiteres 1950 zur leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel gelten als unfehlbar. Das waren lehramtliche Entscheidungen, die scheinbar überhaupt nichts mit unserem normalen Leben zu tun haben.

Worum geht es darin?
Dieses Dogma bezieht sich auf Mariä Empfängnis. Der 8. Dezember wird oft als jener Tag angenommen, an dem die Mutter Gottes Jesus vom Heiligen Geist empfangen hat. Tatsächlich aber bezieht sich dieser Feiertag auf jenes Datum, an dem Anna, Marias Mutter, ihre Tochter empfangen hat. Das heißt, Gott hat im Hinblick auf die Geburt und den Erlösertod Jesu schon dessen Großmutter von jeglicher Schuld befreit. Damit wurde Maria ohne Erbschuld geboren. Das klingt sehr konstruiert. Aber die Erbschuld ist etwas, das jeden von uns belastet. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn der Huber-Bauer und sein Nachbar streiten, werden auch die Kinder dieser verfeindeten Nachbarn ein Problem haben.

Im Film sieht Benedikt Fernsehserien wie "Kommissar Rex". Jorge Bergoglio ist Fußballfan. Gemeinsam essen sie Pizza und trinken Fanta. Stimmt das tatsächlich?
Manches war schon bekannt. Man weiß, dass sich Papst Benedikt beim Klavierspielen entspannt und dass er gerne Serien wie "Kommissar Rex" sieht. Dass Franziskus ein Fußballfan ist, war auch bekannt. Und dass er am Tag der Wahl noch einmal geschaut hat, wie die Leute draußen leben, kann man sich gut vorstellen. Johannes XXIII. hat das auch einmal gemacht. Warum soll ein Papst nicht einmal ausbüxen?

© Ricardo Herrgott Anton Faber ist seit mehr als 20 Jahren Dompfarrer im Wiener Stephansdom

In einer Szene überredet Bergoglio den Papst zu ein paar Schritten Tango. Ein tanzender Papst war vor einigen Jahren undenkbar. Wie sehen Sie diese Szene?
Das war kurios, aber sehr liebevoll dargestellt. Aber dass es in der Realität so gewesen ist, bezweifle ich. Es zeigt aber den Unterschied zwischen Benedikt und Franziskus. Der war einmal Tangotänzer und traut sich ein bisschen mehr als Benedikt, der immer hinter den Büchern gesessen ist. Diese Szene illustriert den Unterschied zwischen den beiden. Und sie verweist auf den Reformschub, für den Franziskus steht. Übrigens, auch ich habe einmal den Opernball eröffnet. Da war ich schon Priester.

Sie leben vor, dass Priester auch Menschen sind. Konnten Sie auf diese Weise manche Menschen, die von der Institution Kirche genug haben, mit ihr versöhnen?
Das macht auch Kardinal Schönborn, wenn er von seiner Krankheit spricht. Und wenn jemand zu mir sagt, dass er wieder in die Kirche eintritt, weil er mich so normal, so menschlich findet, ist das für mich das schönste Kompliment. Die Menschen treten normalerweise nicht aus der Kirche aus, weil sie Atheisten werden. Die meisten sind enttäuscht. Manche wollen den Kirchenbeitrag nicht zahlen. Wenn sie wiederkommen, sagen sie, sie hätten sich eine Auszeit genommen. Sie zeigen ihre Unzufriedenheit, sind aber grundgläubig. Seit zehn Jahren konnte ich über 100 Wiedereintritte pro Jahr verbuchen.

Und wie viele Austritte?
Das erfahre ich meistens nicht, denn die meisten treten nicht bei mir aus. Aber ich nehme auch Menschen in die Kirche auf, die nicht in mein Pfarrgebiet gehören. Man kann nur in drei Ländern der Welt aus der Kirche austreten: in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Denn nur in diesen Ländern gibt es einen Kirchenbeitrag. Überall sonst kann man selbst entscheiden, wie nahe man sich der Kirche fühlt. Oft ist es so, dass sich Menschen nach der Firmung davon entfernen. Wenn sie heiraten oder Kinder taufen lassen wollen, kommen sie der Kirche wieder näher. Nur in Polen ist es noch etwas anders. Wenn jemand heiraten oder ein Kind taufen lassen will, müssen alle Familienmitglieder nachweisen, dass sie zumindest im Jahr davor die Beichte abgelegt haben. Da werden sogar Beichtzettel ausgestellt, wenn man den nicht vorweisen kann, gibt es kein Sakrament.

Im Film beichtet sogar der Papst. Muss er das?
Der amtierende Papst muss beichten. Denn die beste Schule, die Beichte abzunehmen, ist, selber zu beichten. Das habe ich im Priesterseminar gelernt. Ich war damals total beeindruckt, als ein Kardinal bei mir beichten war.

Im Film erzählt Bergoglio Papst Benedikt, dass er sich an der Verhaftung zweier Jesuiten in Argentinien durch die Militärdiktatur schuldig fühlt. Was sagt das über ihn aus?
Beide, Benedikt und Franziskus, sprechen ihre Fehler aus. Franziskus hat versucht, seine Jesuiten-Brüder zu schützen. Er ging mit der Militärdiktatur in Argentinien deshalb Kompromisse ein. Zwei Jesuiten wurden gefoltert, weil er sie entlassen hat. Der Film zeigt deutlich das Problem solcher Kompromisse. In Österreich gibt es ein ähnliches Beispiel. Kardinal Innitzer hat Tausenden Juden das Leben gerettet. Aber seinen Brief zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hat er mit "Heil Hitler" unterschrieben. Wenn man so einen dummen Kompromiss macht, fällt der Schatten auf das ganze Leben.

Benedikt wird im Film Nazi genannt. Wie sehen Sie Ratzingers Vergangenheit?
Benedikt ist Jahrgang 1928 wie mein Vater. Als man mich in Interviews auf seine Vergangenheit in Hitler-Deutschland angesprochen hat, hat mir das sehr weh getan. Er wurde, wie mein Vater auch, gezwungen, der Hitlerjugend beizutreten. Die Alternative wäre ein Schicksal als Märtyrer gewesen. Man hat ihm einige Namen gegeben. Aber er war nicht immer konservativ. Ich habe noch während meines Studiums eine Arbeit darüber geschrieben, wie man dem Bischof/Kardinal mit den Theorien des jungen Theologieprofessors Ratzinger widersprechen könne. Auch mir gab man schon allerlei Namen. Einer war der "Society-Padre". Ich ziehe aber die Zuschreibung "Citymissionar" vor.

Der Film zeigt, dass sich der junge Bergoglio direkt von Gott zum Priesteramt berufen gefühlt hat. Wie war das bei Ihnen?
Ich war 17 Jahre, als meine Ärztin mir sagte, dass ich nur noch zwei oder drei Jahre zu leben hätte. Der Grund war ein mögliches Nierenversagen. Das war für mich Anlass, mich gegen Gott aufzulehnen. Ich habe zu Hause beim Beten geweint. Ich wollte das nicht wahrhaben. Ich engagierte mich in der Pfarre als Jungscharführer und war für die Ministranten verantwortlich. In der Schule engagierte ich mich als Klassenund Schulsprecher. Aus meiner Anklage wurde dann eine Suche. Ich wollte wissen, was Gott mit mir vorhat. Ich überlegte, Priester zu werden. Als ich das meiner damaligen Freundin erklärte, hielt sie mich zuerst für verrückt. Ich beschloss, mich ein Jahr lang zu prüfen. Aber schon nach einem halben Jahr bin ich ins Priesterseminar eingetreten.

Haben Sie Ihren Entschluss jemals bereut?
Ich habe einmal für einen Radiosender einen Test mit einem Lügendetektor gemacht. Bei dieser Frage hat die Anzeige nicht ausgeschlagen, als ich sie mit "niemals" beantwortet habe. Aber damals hätte ich mir nie gedacht, dass ich das Glück meines Lebens, dass ich so einen Traumjob an so einem Traumort haben kann.

McCarten schreibt in seinem Buch "Die zwei Päpste", dass die Zahl der Gläubigen immer weiter sinkt. Stimmt das tatsächlich?
Weltweit wächst sie noch. Nur in Europa und Nordamerika geht die Zahl der Kirchenmitglieder zurück. Zum einen durch die Missbrauchsfälle, zum anderen durch die Alterspyramide.

Haben Sie eine Botschaft für Weihnachten?
Das Familienleben ist wieder gefragt. Von meinen Kommunionskindern haben einige zwei bis drei Geschwister. Und es geht uns besser als vor hundert Jahren. Man darf nicht glauben, dass alles schlechter wird.

Anton Faber wurde 1962 in Wien geboren. Mit 22 Jahren wurde er zum Priester geweiht. Nach nur einem Jahr im Amt wurde er erzbischöflicher Zeremoniär. Seit 1999 ist er Dompfarrer von St. Stephan und Dechant im ersten Bezirk in Wien. Seit 2000 ist er Domkapitular.

Dieses Interview erschien ursprünglich im News 50/2019.

Die mit Sternchen (*) gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate-Links. Wenn Sie auf einen Affiliate-Link klicken und über diesen Link einkaufen, bekommen wir von dem betreffenden Online-Shop oder Anbieter eine Provision. Für Sie verändert sich der Preis nicht.