Dubioser Krimi um
den Corona-Hotspot

Die Staatsanwaltschaft Innsbruck leitet nach zwei Strafanzeigen gegen mehr als zehn Verdächtigte aus Tirol Ermittlungen ein. Zwei Drittel der potenziellen Corona-Kläger wurden positiv getestet. 90 Prozent von ihnen haben sich in Ischgl angesteckt. Wussten Verantwortliche aus Unternehmen und Politik gar schon seit Ende Jänner von möglichen Corona-Fällen?

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Tirol - Dubioser Krimi um
den Corona-Hotspot

Die geplante Schadenersatzsammelklage des Verbraucherschützers Peter Kolba im Umfeld der Verbreitung des Coronavirus - Adressaten: das Land Tirol und eine Reihe von Unternehmen -nimmt zusehends konkrete Formen an. Am 24. März hat der Chef des Verbraucherschutzvereins, vormals Obmann der Liste-Pilz, Strafanzeige gegen mehr als zehn verdächtigte Personen bzw. Organisationen bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebracht. Neben dem Land Tirol und dessen für Tourismus zuständigem Landeshauptmann Günther Platter sind das: Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg, die Ischgler Silvrettaseilbahn AG und deren Vorstände, der Bürgermeister von Ischgl, Werner Kurz, die Skigesellschaft Sölden- Hochsölden GmbH und deren Geschäftsführer, der Söldener Bürgermeister und Geschäftsführer der Freizeitarena Sölden, Ernst Schöpf, der Betreiber des Ischgler Après-Ski-Lokals Kuhstall, Peter Z., dem auch die Bar Kitzloch gehört, schließlich Franz Hörl, Obmann der Fachgruppe Seilbahnen und Aufsichtsrat der Bergbahnen Gerlospaß-Königsleiten sowie des Skiliftzentrums Gerlos.

Vorwurf der Gemeingefährdung

Ihnen wirft der Verbraucherschutzverband entsprechend Paragraf 176 StGB bzw. Paragraf 177 StGB vorsätzliche bzw. zumindest fahrlässige Gemeingefährdung vor. Dies "durch die Nichteinleitung unverzüglicher Maßnahmen" zu einem Zeitpunkt, als bereits Corona-Infektionen in den betroffenen Orten bzw. Regionen bekannt gewesen seien. Es sei -aufgrund der medialen Berichterstattung über den Anstieg der Infizierten sowie über die Folgen einer Covid-19-Erkrankung - davon auszugehen, dass "die Nichteinleitung unverzüglicher Maßnahmen für eine größere Anzahl von Menschen eine an sich schwere Gesundheitsschädigung bzw. auch den Tod eines Menschen zur Folge hatte und somit die Qualifikation des Paragraf 176 Abs. 2 StGB gegeben ist", heißt es in der Anzeige. Zudem bestehe "weiters der dringende Verdacht, dass bereits zum Zeitpunkt, in welchem unverzüglich Maßnahmen zu setzen gewesen wären, den handelnden Personen die Gemeingefahr bekannt war".

Eine weitere Strafanzeige wegen Gemeingefährdung bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft hat der Wiener Anwalt Julian A. Motamedi für seinen Mitarbeiter Stefan Rastl wenige Tage zuvor eingebracht. Sie richtet sich ebenfalls gegen das Land Tirol, den Kitzloch-Betreiber Peter Z. sowie gegen unbekannte Tiroler Seilbahnbetreiber und unbekannte Tourismusbetriebe in Ischgl.

Die Anzeigen könnten für die Verdächtigten neben finanziellen auch strafrechtliche Konsequenzen haben: Handelt es sich bei der Gemeingefährdung um Vorsatz nach Paragraf 176 StGB, droht darauf eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, vorausgesetzt, es ist eine größere Zahl von Menschen (zumindest zehn Personen) gefährdet worden. Die Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ist, falls vorsätzlich begangen, entsprechend Paragraf 178 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu ahnden. Fahrlässige Gemeingefährdung wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen bedroht. Für die genannten Personen, Organisationen und Betriebe gilt die Unschuldsvermutung.

Forderung nach Schadenersatz

Die beiden Anzeigen und die durch sie ausgelösten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen die Basis für Schadenersatzklagen betroffener Winterurlauber bilden, bekräftigen sowohl Verbraucherschützer Kolba als auch Anwalt Motamedi.

Die weltweite Pandemie sei zwar höhere Gewalt, und man könne niemanden für erlittene Schäden verantwortlich machen - aber: "Das Offenhalten von Skigebieten, obwohl man von einer Gefahr der massenhaften Ansteckung weiß oder wissen müsste, ist sehr wohl ein Grund, Schadenersatzansprüche zu prüfen", sagt Kolba. Alle Personen, die sich ab 5. März 2020 in den Skigebieten Ischgl, Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden oder Zillertal aufgehalten haben und kurz darauf feststellen mussten, mit dem Corona-Virus infiziert zu sein, hätten - wenn sich Nachlässigkeit durch Berichte oder im Strafverfahren beweisen lassen -Schadenersatzansprüche gegen die Tiroler Behörden und auch gegen die Republik Österreich. Davon ist der Verbraucherschützer überzeugt und fordert Betroffene auf, sich zu melden.

Tausende Infizierte aus aller Welt

Bis Redaktionsschluss am Mittwoch haben das 2.723 Personen getan. Zwei Drittel von ihnen -also etwa 1.800 -seien positiv auf Corona getestet worden, sagt Kolba. Und 89 Prozent der Infizierten seien zuvor in Ischgl bzw. im Paznauntal auf Skiurlaub gewesen. Von den positiv Getesteten befänden sich zwei Prozent im Krankenhaus, ein Prozent befinde sich in Intensivbehandlung. Und zwei Personen, die sich gemeldet hätten, seien inzwischen verstorben, sagt der Verbraucherschützer. 84,3 Prozent der Betroffenen kommen aus Deutschland, 4,3 Prozent aus Österreich (rund die Hälfte davon aus Wien und Niederösterreich), 3,3 Prozent aus der Schweiz.

Der Rest stammt aus 30 weiteren Ländern, von Großbritannien, Belgien, Luxemburg, Rumänien, Norwegen, Schweden oder Finnland bis zu den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und sogar Südafrika und Zimbabwe, so Kolba, der mit weiteren Personen aus dem englischsprachigen Raum und Skandinavien rechnet: "Dort beginnt die Berichterstattung über unsere Initiative gerade erst."

Der Anzeige von Anwalt Motamedi wiederum haben sich mittlerweile mehr als 20 Privatbeteiligte angeschlossen. Auch diese stammen zum Großteil aus Deutschland -einige auch aus Österreich -und sind nach ihrer Rückkehr aus Tirol positiv auf das Coronavirus getestet worden. "Darunter befinden sich etliche Personen, die vor ihrer Anreise nach Ischgl und dem Bekanntwerden des Falls in der Après-Ski-Bar Kitzloch beim Tourismusverband angerufen haben und sich erkundigt haben, ob für sie auch kein Risiko besteht", sagt Motamedi. Nachdem ihnen versichert worden sei, es bestehe keine Gefahr, seien sie vertrauensvoll nach Ischgl gereist und von dort infiziert zurückgekommen, sagt der Anwalt, der sich deshalb "gute Chancen auf Schadenersatz" ausrechnet: "Deshalb vertrete ich die Betroffenen auch auf Erfolgsbasis."

Dass sich das Coronavirus von Tirol, insbesondere aus dem Paznauntal, so weit verbreiten konnte, hat nicht nur damit zu tun, dass Ischgl längst eine internationale Marke wie etwa Ibiza geworden ist, dass Ischgl für tolles Skierlebnis, gehobene Kulinarik, zünftiges Après-Ski und heiße Partynächte steht. Ein Angebot, das Gäste aus vielen Ländern anzieht und dem Tal rund 250 Millionen Euro Umsatz bringt. Viel Geld, das möglicherweise dazu beigetragen haben könnte, Skigebiete und Gastrobetriebe im heiligen Land trotz Verbreitung des Coronavirus länger als vertretbar offenzuhalten -um so die vom Abbruch bedrohte Wintersaison zumindest um ein paar Tage zu verlängern, wie manche Kritiker behaupten. Eine Sicht der Dinge, die von den politisch und wirtschaftlichen Verantwortungsträgern aber vehement zurückgewiesen wird.

Verhängnisvolle Chronologie

Die Vorgänge, die derzeit im Fokus stehen - auch bei den genannten Klagen -erstrecken sich auf den Zeitraum von Anfang März bis 13. März, als für das Paznauntal und St. Anton am Arlberg die Quarantäne ausgerufen wurde. Hier wiederum vor allem um den 7. März, als bekannt wurde, dass ein Barkeeper des Kitzlochs in Ischgl positiv auf Corona getestet wurde. Wurde doch noch am Sonntag, dem 8. März, seitens der Tiroler Landesregierung verlautet, es bestehe "kein Grund zur Beunruhigung". Anita Luckner-Hornischer von der Landessanitätsdirektion Tirol verlautete damals laut Anzeige des Verbraucherschutzverbands: "Für Besucher, die im besagten Zeitraum in der Bar waren und keine Symptome aufweisen, ist keine weitere medizinische Abklärung nötig."

In Norwegen hatte man da bereits 18 Corona-Fälle registriert, zehn davon aus Tirol, weshalb man das Land dort am 9. März auf Liste der Risikogebiete setzte. Nachdem auch in Finnland infizierte Urlauber aus Ischgl festgestellt worden waren, kam Tirol auch dort auf die Risikogebietsliste -ebenso wie in Schweden. Am 10. März wurde Ischgl auch in Dänemark zur No-Go-Aerea erklärt. Und die isländischen Gesundheitsbehörden klassifizieren den Ort schon am 5. März als Risikogebiet, nachdem am 29. Februar bei einem Flug der Icelandair von München nach Reykjavík bei einer Reisegruppe 15 Covid-19-Fälle aufgetreten waren. Sie alle waren zum Skifahren in den Tiroler Touristenort Ischgl gereist.

Laut einer Anzeige des Landes Tirol soll sich zudem Ende Februar eine Mitarbeiterin eines namentlich nicht genannten Ischgler Betriebs mit dem Virus infiziert haben. Der Arbeitgeber schickte sie nach Hause und unterließ es, den Behörden den Fall zu melden. Es ist unklar, ob die Mitarbeiterin, die Symptome zeigte, nur ein Verdachts-oder ein eindeutiger Krankheitsfall war. Die Bezirkshauptmannschaft Landeck ermittelt in dem Fall nach dem Epidemiegesetz.

Erste Fälle ab Ende Jänner?

Und noch schlimmer: Zirkulierte das Virus womöglich schon viel früher in Tirol? Das Bayerische Landesamt für Gesundheit jedenfalls informierte am 30. Jänner die Tiroler Gesundheitsbehörden über eine Corona-erkrankte Frau, die in der Woche davor ihren Urlaub auf einer Hütte in Kühtai verbracht hatte. Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber erklärte daraufhin laut Sachverhaltsdarstellung in den Bezirksblättern: "Wir haben uns umgehend mit der Hüttenwirtin in Verbindung gesetzt, um die 23 engen Kontaktpersonen, die vornehmlich aus Deutschland stammen, zu identifizieren. Sie werden über den Krankheitsfall persönlich informiert und sensibilisiert, ihren Gesundheitszustand in enger Abstimmung mit dem jeweiligen Gesundheitsamt im Auge zu behalten. Sollten sich Krankheitszeichen entwickeln, wird eine Abklärung eingeleitet."

Spätestens ab diesem Zeitpunkt dürfte sich unter Tiroler Tourismusbetrieben die Gefahr möglicher bzw. bereits ausgebrochener Corona-Fälle herumgesprochen haben.

Touristiker wiegeln ab

So erklärt Luis Kröll, Hotelier aus Nauders, gegenüber News, dass "bereits Ende Jänner Gerüchte über erste Corona-Fälle in Tirol im Umlauf gewesen" seien -auch, dass das ein Thema werden könnte: "Das war vielen in der Branche bekannt und auch bewusst -bis hinauf nach ganz oben", sagt der Hotelier. "Ende Februar ist uns das dann um die Ohren geflogen."

»Ende Februar ist uns das dann um die Ohren geflogen«

Freilich habe es damals die verbreitete Einstellung gegeben, dass man auf Grund eines Gerüchts nicht alles stilllegen könne. Man habe auch nicht gewusst, was noch komme, und sich daher entschieden, abzuwarten, so wie es auch in Deutschland später geschehen sei. "Ob das alles richtig gewesen ist, ist, im Nachhinein betrachtet, eine andere Frage", sagt Kröll, der davon ausgeht, dass "die Tragweite dessen, wie die Vorkommnisse abliefen und wie sie gehandhabt wurden, die Branche und das Land noch lange beschäftigen", werde. Die Corona-Krise werde "wirtschaftlich sicher einige Jahre nachhallen", glaubt der Hotelier, erklärt aber auch: "Wir haben Corona nicht erfunden." Täglich seien 40.000 Lkw auf der Nord-Süd-Route über den Brenner unterwegs; in Innsbruck gebe es mehr als 10.000 italienische bzw. Südtiroler Studenten -auch da könne es Übertragungen gegeben haben.

Ähnlich argumentiert der einflussreiche Seilbahnen-Obmann, Hotelier und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl, der in der Anzeige des Verbraucherschutzvereins als Verdächtigter genannt wird. Auch er sagt: "Ischgl hat das Virus nicht erfunden." Zu Gerüchten, die Branche habe frühzeitig vom Virus in Tirol erfahren, erklärt er: "Mitte/Ende Februar ist die Sache auch von Ärzten noch anders beurteilt worden. Als es dann die ersten bestätigten Fälle gab, war es ein Schock. Und als man dann von dramatischen Schilderungen von Krankheitsverläufen hörte, war das weitere Szenario sowieso klar", so Hörl der selbst während der vergangen zwei Wochen wegen eines Corona-Falls im familiären Umkreis in Quarantäne war. Zu den Vorwürfen in der Anzeige schweigt er.

»Im Nachhinein ist man halt immer klüger«

Auch der Bürgermeister von Ischgl, Werner Kurz, hält sich zur Sachverhaltsdarstellung bedeckt, da ihm diese bislang nicht vorliege. Er garantiere jedoch, "dass wir in Ischgl sämtliche Maßnahmen nach Vorgabe und in Absprache mit den Landesund Bundesbehörden getroffen haben". Man sei dabei, ebenso wie die Behörden auf Landes-und Bundesebene, selbstverständlich auf Aussagen und Einschätzungen der Experten angewiesen. Weltweit ändere und erweitere sich das Wissen um das Virus täglich. Und damit würden sich auch die Einschätzungen und Empfehlungen von Experten und Behörden ändern: "Je nach aktueller Entwicklung und Wissenstand der Experten wurden und werden in Ischgl sämtliche Maßnahmen, die von den Behörden empfohlen und/oder angeordnet wurden, sofort umgesetzt." Die Schließung der Gastronomie-und Beherbergungsbetriebe und des gesamten Schigebiets bis zur Abreise von Gästen und der Umsetzung der Quarantäne für Gäste, Mitarbeiter und Einheimische vor Ort seien jeweils nach Vorgabe durch die Landesbehörden veranlasst worden. Kurz: "Sobald uns die Situation bewusst war, haben wir rasch gehandelt. Im Nachhinein ist man halt immer klüger."

Erste Ermittlungen laufen

Unabhängig davon hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck inzwischen das Landeskriminalamt Tirol mit Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten beauftragt, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hansjörg Mayr. Die in den Anzeigen angesprochenen Sachverhaltsdarstellungen würden inhaltlich auf Medienberichten oder auf Informationen vom Hörensagen gründen. Deshalb sei man "bestrebt, zu sachlichen, objektiven und fundierten Informationen zu gelangen", so Mayr: "Die Staatsanwaltschaft hat daher von der Polizei auch einen Bericht dazu angefordert, wer wann worüber in Bezug auf Corona-Fälle informiert war und wie mit diesen Informationen umgegangen wurde; dies insbesondere betreffend Ischgl und Sölden." Dann könne beurteilt werden, ob ein Angangsverdacht vorliege, der weiter aufzuklären sei, sagt der Innsbrucker Staatsanwalt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 14/2020

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