Thomas Glavinic:
Dichter im Widerstand

Erstaunliches Sachbuch über Selbstverteidigung: vom Boxen bis zur Mentalstrategie

Dass Thomas Glavinic in zumindest einer Kampftechnik den Schwarzen Gürtel verdient, wissen Menschen, die ihm sorgenvoll verbunden sind, seit Langem: Ein herausragender Schriftsteller kämpft da gegen den inneren Feind, einen Meister der Zerstörung. Beide haben Riesenkräfte, und der Ausgang ist ungewiss. In der Öffentlichkeit hat man den Sohn einer Österreicherin und eines früh abhanden gekommenen jugoslawischen Gastarbeiters lang nicht gesehen. Selbstzweifel bis zur Depression bekannte er stets ein, ebenso den "finanziell ungünstigen Lebenswandel. Durchhalten und warten, dass man durch die Nacht kommt", benannte er News gegenüber die Strategie.

von Neues Buch - Thomas Glavinic:
Dichter im Widerstand © Bild: News Vukovits Martin

Die jüngste, beinahe unbemerkt gebliebene Neuerscheinung des 45-jährigen steirischen Radikalpoeten erstaunt allerdings auch Glavinic-Kundige: "Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung" behandelt Kampftechniken, die Glavinic zum Teil schon als Kind ausübte: Boxen, Karate Judo, Jiu Jitsu, bis zum Wing Tsun, der vom Autor favorisierten Bündelung aller Konzentrations-und Geschmeidigkeitsübungen. Wenn auch das nicht mehr hilft, biete man dem Schläger den Kopf oberhalb der Stirn: Dort ist der Schädel so hart, dass der Angreifer eine ernstliche Handblessur riskiert. Auch das ist bei Glavinic nachzulesen, samt praktikablen Anleitungen zum geglückten Faustkampf.

Die wichtigsten Passagen des Buchs beziehen sich allerdings auf auch mentale Widerstandstechniken. Klarerweise gehe es ihm nicht darum, möglichst effi ziente Verprügelungsstrategien zu vermitteln, sagt Glavinic. Beabsichtigt sei "ein Buch für Männer und Frauen, das auch jemandem nützt, der im Büro drangsaliert wird".

Speziell in den Alltagspassagen ist das Werk brillant. Die erste Anweisung lautet: den Kampf vermeiden, solange es möglich ist. Ist er aber unvermeidlich, so muss man als Erster zuschlagen. Und das gilt auch im übertragenen Sinn, im Umgang mit einem zur mentalen Gewalt neigenden Chef.

"Gewaltige Waffen"

"Lernen Sie, so aufzutreten, als könnten Sie zum Täter werden", lautet die Empfehlung. Glavinic verweist auf eine alternative Volksschule, in der sein Sohn angewiesen wurde, eine empfangene Ohrfeige nicht zu retournieren, sondern den Täter bei der Lehrerin zu melden. Die ermahnte den grinsenden Täter dann zur Friedfertigkeit. Glavinic: "Ich erklärte ihm, dass es nur eine Möglichkeit gebe, die Gewaltfrage in der Schule zu klären. Bei der nächsten Ohrfeige müsse mein Sohn zurückhauen, sonst würde ich mir überlegen, ihm das Taschengeld zu kürzen."

Speziell im harten Erwachsenenleben wäre es der größte Fehler, die eigenen, "gewaltigen" Waffen zu unterschätzen, fügt Glavinic hinzu: den Verstand und den Körper. Ein noch so zierlicher Frauenarm könne in einer Gewalttätervisage beeindruckende Spuren hinterlassen. Das, so empfiehlt Glavinic, möge man "dem unglücklich zusammengesetzten Zellhaufen" kommunizieren. "Die Notaufnahmen sind voll von Menschen, die von einer kleinen, schwachen Frau einen Aschenbecher ins Gesicht oder ein Küchenmesser in den Bauch bekommen haben."

Steht man aber einer eindeutig hoffnungslosen Übermacht gegenüber? Da empfiehlt Glavinic den strategischen Gesichtsverlust: "Wenn wir uns kleinmachen, unserem Angreifer schmeicheln, dann stimmen wir ihn milde." Dann will einem sogar der "Lianenschwinger" auf die Beine helfen. Wobei auch hier eine Technik zu beachten ist: Sagen, dass man Angst hat, schmeichelt dem Neandertaler. Es zeigen, weckt hingegen seinen Schlägerinstinkt. Das gilt womöglich auch für das Schicksal, das den Autor drangsaliert.

Info:
Thomas Glavinic
Gebrauchsanweisung zur Selbstverteidigung
Wie man körperlichen und mentalen Schlägen wirksam begegnet
Piper, € 15,50