Helene Fischer einmal Anders

Die sympathische Hälfte von Modern Talking singt wieder - jetzt auf Deutsch. Nach mehr als 125 Millionen verkauften Tonträgern konfrontiert Thomas Anders seine Fans mit einem gewagten Richtungswechsel

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Nostalgie - Helene Fischer einmal Anders

Über 147.539.560 Klicks hat "You're My Heart, You're My Soul" auf Youtube. Modern Talking lukrierte 420 Gold- und Platinschallplatten. Dazu spielt Thomas Anders alljährlich Konzerte in Metropolen wie Los Angeles, Santiago de Chile, Hanoi oder Dubai vor 250.000 Zuschauern, um betagtes Liedgut aufleben zu lassen. Unglaublicherweise funktionieren Falsettstimmchen, übermotivierte Nebeleffekte, Schminke und Föhnwelle wie vor 30 Jahren. Weil Thomas Anders den Thrill sucht, singt er jetzt in seiner Muttersprache. 1980 ist das schiefgegangen, seine deutschen Singles floppten - diesmal will es der 54-Jährige genau wissen. Für seine Texte hat er unter anderem denselben Songschreiber engagiert, der sich auch lebensbejahende Metaphern für Helene Fischer rausschwitzt. Will er eine männliche Version des blonden Singvögelchens werden? Darüber muss er erst nachdenken.

Haben Sie sich nach Jahrzehnten im Musikgeschäft denn nicht irgendwann gedacht: "Ich häng das Singen an den Nagel und werde Florist"?
Das nicht. Aber es hat nach Modern Talking eine Zeit gegeben, wo ich gesagt habe: Ich mach jetzt mal gar nichts. Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin richtig müde. Dieser Erfolg war so enorm, das musste man erst mal verkraften.

Wo lag das Problem?
Das ist von der Natur ein bisschen ungerecht verteilt: Als junger Mensch ist man physisch auf dem Höhepunkt seiner Kraft, mental aber erst viel später. Dann macht allerdings die Physis nicht mehr so mit. Es gibt also keinen Punkt, wo alles hundertprozentig passt. Trotzdem wollte ich meinen Job nie aufgeben.

Machen Sie deshalb weiter, weil es Ihnen fehlt, bejubelt zu werden?
Auf der Bühne zu stehen, ist für mich etwas Tolles. In meinem Fall geht es nicht darum, bejubelt zu werden.

Sondern? Um den Energieaustausch?
Ja. Es beflügelt. Man produziert Adrenalin. Egal wie anstrengend eine Tournee war, ich komme motiviert zurück.

Trotz Jetlag und der Tatsache, dass man seelisch oft nicht so schnell ankommt?
Das sagt meine Frau immer! Wenn ich nach Hause komme und sie fragt mich Sachen und ich antworte: "Ich weiß es nicht. Ich kann dir darauf jetzt keine Antwort geben", sagt sie nur: "Okay, der Körper ist da. Die Seele fliegt noch." Ich antworte dann immer: "Danke. Dann gib ihr doch so viel Zeit, dass sie landen kann." Weil ich viel im Ausland bin, macht mir die Zeitverschiebung ziemlich zu schaffen. Wenn ich irgendwo auf der Welt um fünf Uhr morgens deutscher Zeit auf der Bühne stehe und dann zwei Stunden Programm mache, das zehrt am Körper.

Bei Ihrem Konzert in Los Angeles war Ihr Sohn Alexander anwesend.
Er hat mich jetzt auch zu einem Konzert nach London begleitet. Da hatte er Ferien. Wenn die Location passt, kommt er gerne mit, und ich hänge ein paar Tage dran. Aber mein Sohn muss nicht dieses Tourleben mitbekommen, denn das ist für Außenstehende langweilig.

Ihr Sohn ist bald 15 Jahre alt. Was sagt er denn zur Ihrer Musik?
Mit den alten Sachen ist er ja groß geworden. Er kennt mich mit diesen Songs und nicht anders. Bei den Aufnahmen zu den neuen Songs war er ab und zu im Studio dabei. Aber, sind wir ganz ehrlich: Würde er mit knapp 15 sagen, er findet die Musik gut, würde ich mir mehr Sorgen machen, als wenn er momentan Kanye West hört.

Sie singen auf Ihrem neuen Album "Pures Leben" über "einfach nur fühlen","aufs Herz hören". Waren Sie ein Kopfmensch, der jetzt mehr seinem Bauch vertraut?
Grundsätzlich ist meine Einstellung, man sollte viel mehr Bauchmensch sein.

Warum?
Weil der Bauch und das Unterbewusstsein Dinge aufnehmen und empfinden können, die unsere Ratio nicht hat.

Auf Ihrem neuen Album hat ein Songschreiber von Helene Fischer mitgewirkt. Mein Bauch sagt mir, Sie wollen die männliche Version von Helene Fischer werden.
Das hab ich mir nicht überlegt. Das steht nicht zur Diskussion. Tobias Reitz schreibt ja nicht nur für Helene Fischer, sondern auch für andere Künstler.

Eigentlich könnten Sie sich ja auf Ihren Lorbeeren ausruhen ...
Ich arbeite gern kreativ. Ich habe in meinem Leben 24 oder 25 Alben gemacht. Man muss sich einfach weiterentwickeln. Immer nur das Gleiche? Das wäre, als würde man jeden Tag Wiener Schnitzel essen. Man muss sich einfach ausprobieren - auch wenn man dabei Niederlagen erlebt.

»Man muss die alten Hits nicht ausgraben, man darf sie ausgraben: Das ist ein Adelsschlag«

Stichwort Niederlage: Nervt es manchmal, wenn Sie neue Songs promoten wollen und das Publikum verlangt nach den Hits aus den Achtzigern?
Man muss sie nicht ausgraben. Man darf sie ausgraben! Ist es nicht die Königsklasse für jeden Interpreten, wenn er Songs hat, die Menschen Jahrzehnte später noch hören wollen? Das ist ein Adelsschlag. Besser geht's nicht. Gestern hat ein Radiomoderator zu mir gesagt: "Sie haben etwas mit Paul Mc-Cartney gemeinsam. Egal wo er hinkommt, die erste Zeit muss er einmal über die Beatles reden." Ich finde, wenn man so eine Karriere hatte, darf man sich nicht negativ angesprochen fühlen. Modern Talking ist ein Teil meines Lebens.

Wie erklären Sie sich diese anhaltende Beliebtheit? Sind die alten Songs so gut, oder leiden viele Leute an einer Achtzigerjahre-Nostalgie? Und: Hübscher waren wir da ja alle auch nicht.
Diese Frage überspringen wir jetzt aber bitte.

Ich hab sonst keine.
Es ist wohl ein Zwischending. In der heutigen Zeit ist die Musik zu konstruiert. Das war damals nicht so. Da waren das noch Melodien, die man hatte. Nehmen Sie große Hits aus den Achtzigern. Die können Sie mit einer Wandergitarre am Lagerfeuer spielen, und die Menschen haben Freude. Nehmen Sie sich einen Hit von unseren DJs oder wie sie alle heißen, nehmen Sie eine Wandergitarre - kriegen Sie gar nicht hin! Funktioniert überhaupt nicht! Jetzt gibt es Ware, die groß gemacht und durchgeschleust wird und dann wieder verpufft.

Haben Sie noch Kontakt zu Dieter Bohlen?
Es gibt sehr lockeren Kontakt. Er hat mir vor zwei Monaten gemailt. Aber ganz easy. Sehr neutral.

Verfolgt man aus der Ferne, was der andere so treibt?
Nur wenn man es mitbekommt. Ich geh jetzt nicht ins Netz und recherchiere, was Dieter Bohlen macht.

Freundschaft ist ein Thema auf Ihrem neuen Album. Was war ein schöner Freundschaftsbeweis von einem lieben Menschen, an den Sie gerne denken?
Die Essenz von Freundschaften zeigt sich ja meistens in schwierigen Situationen. Wenn man einmal einen Durchhänger hat und es einem nicht so gut geht, dann finde ich das wichtig, dass der Freund sich nicht aufdrängt, sondern einfach nur mitteilt: "Ich bin da, wenn du mich brauchst, jederzeit." Denn Freundschaften können sehr anstrengend sein, wenn das Gegenüber anfängt, einen zu pushen, so auf die Art: "Ich muss dich mal aus deinem Loch rausholen." Das kann ja auch ziemlich nach hinten losgehen. Oft reicht es ja schon, zu wissen, der andere ist da, und man mobilisiert wieder ganz eigene Kräfte und kommt auch wieder aus dem Problem, aus der Traurigkeit.

Schätzen Sie die Höhepunkte Ihres Lebens mehr, weil Sie auch Tiefpunkte kennengelernt haben?
Man braucht beides. Es ist ein Ausgleich. Nur top sein, ist falsch. Nur am Boden liegen, macht auch keine Lebensfreude. Wenn beides in regelmäßigen Abständen kommt, ist das gut für die Demut.

Sie waren 22, als der Hype um Modern Talking losging. Haben Sie damals merkbar die Bodenhaftung verloren?
Das ist schwer zu beantworten, denn wenn man die Bodenhaftung verloren hat, dann weiß man nicht, dass man die Bodenhaftung verloren hat. Es gibt aber bestimmt einige Dinge in meinem Leben, die ich habe oder die ich tue, die für viele Menschen ein Indiz dafür wären, dass ich die Bodenhaftung verloren habe. Aber ich finde, solange man Empathie hat und mit seinem Umfeld respektvoll umgeht, ist man geerdet. Wie oft hört man den Satz "Mein Gott, ist der arrogant oder eingebildet"? Das kann aber verschiedene Ursachen haben.

»Oft unterstellen Menschen, die unsicher sind, dem Künstler, er sei arrogant«

Unsicherheit?
Oft ist es so, dass Menschen, die unsicher sind und sich an andere nicht rantrauen, dann lieber dem Künstler unterstellen, er sei arrogant, nur weil sie sich nicht trauen. Kommt ganz oft vor. Das darf nicht zu meinem Problem werden, aber da passieren schon Ungerechtigkeiten. Bodenhaftung verlieren ist für mich in dem Moment gegeben, wenn ich mich über andere Menschen stelle. Und das muss definitiv verhindert werden. Ich glaube, von mir sagen zu können, dass ich das nie gemacht habe.

Gibt es bei Ihnen Momente der Unsicherheit? Überlegen Sie, ob Ihre Fans den musikalischen Richtungswechsel mitmachen werden?
Das ist ja keine tiefe persönliche Unsicherheit, sondern ein Nichtwissen, ob das Produkt verkauft. Das kann ich trennen. Wenn es nicht erfolgreich wird, dann heißt es, aufstehen, Krone richten und weiter geht's. Die andere Unsicherheit, die tief in einem steckt, empfinde ich gar nicht so. Natürlich gibt es Momente, in denen man sich nicht wohlfühlt auf dem Terrain, auf dem man sich bewegt. Aber ich bin so weltoffen und lebe kosmopolitisch, dass das alles Dinge sind, die mich nicht unsicher machen.

Was liegt in Ihrem CD-Player?
Im Auto höre ich mein Album, weil ich da am besten Texte lernen kann. Wenn ich sie dann kann, kommt die CD auch wieder raus. Weil ich nämlich nicht permanent meine Musik hören muss.

Zur Person:

Thomas Anders, bürgerlich Bernd Weidung, geboren 1963, war eine Hälfte des Kultduos Modern Talking. In Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken hat die Band bis heute Kultstatus. Nach der Ankündigung von "Glasnost" Anfang 1986 durften die beiden als erste westliche Musiker ihre Alben offiziell in der Sowjetunion verkaufen, weil sie komplett unpolitisch waren. Der Sänger liebt Experimente: Anders nahm später ein Swing-Album sowie Songs auf Spanisch auf.

Neues Album
Das erste deutschsprachige Album von Thomas Anders heißt "Pures Leben" und bietet 13 neue Songs. Mit der Single-Auskopplung "Der beste Tag meines Lebens" erklärt Thomas Anders, was zählt, ist nur das Heute.

Thomas Anders im Wordrap:

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