Hurra, Thielemann ist frei für Wien!

Die großen Operndirigenten sind rar wie nie, und Dresdner und Salzburger Unverstand treibt uns einen der allergrößten zu. Die Chance sollte ohne Verzug genutzt werden.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Eine Dame namens Barbara Klepsch, Zusatz in Klammern: CDU, Spezifizierung: sächsische Kulturministerin, setzt eine vergängliche, aber doch peinliche Markierung in die jüngere Kulturgeschichte ab. "Der Vertrag von Christian Thielemann (62) als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden", so teilt die Dame mit, werde "nach Ende der Spielzeit 2023/2024 nicht verlängert". Sie würde sich aber freuen, "Thielemann mit seinem weltweit geachteten Profil" an der örtlichen Semper-Oper wiederzusehen. Nun liegt es außerhalb meiner Interessen, mich in innersächsische Kabalen einzumengen. Und doch verdient die Sache Beachtung: Sie ist bedrohlich, weil sie symptomatisch für die Machtergreifung der Kniehohen in der Kunst ist. Gewinner nämlich ist ein gewisser Peter Theiler, Schweizer und als Intendant der Semper-Oper im Amt verbleibend. Mit ihm hatte Thielemann zu Zeiten der Theaterschließungen einen Konflikt: Der Dirigent, der zur nämlichen Zeit mit einer Hundertschaft an Wiener Philharmonikern einen Bruckner-Zyklus im Musikverein aufnahm, wollte in Dresden mit der Staatskapelle proben. Dies wurde ihm vom Theiler, der unter dem Bruchstrich der Musikwelt kein Zähler ist, untersagt.

Und jetzt geht also Thielemann, während Theiler bleibt. Das ist so widersinnig, als fiele die Entscheidung zwischen Schloss Belvedere und einem Gartencenter zugunsten des letztgenannten. Oder zwischen Thielemann und Klaus "Nikolaus" Bachler zugunsten Bachlers. So ist es aber in der Tat bei den Salzburger Osterfestspielen gekommen, und das macht die Dresdner Malaise auch für uns interessant. Denn Thielemann hat es an sich, das Mittelmaß gegen sich aufzubringen. Da das Mittelmaß aber fast immer entscheidungsbefugt ist (oder kennen Sie derzeit einen charismatischen, visionären Kulturpolitiker, wie Rudolf Scholten, Ursula Pasterk und zuletzt Erwin Pröll es waren?), bilden sich verhängnisvolle Seilschaften, die intellektuell zwar über das Basislager nicht hinausgelangen, dort aber ihre Diktaturen errichten und damit Begabteren das Erreichen höherliegender Ziele verwehren.

»Thielemann hat es an sich, das Mittelmaß gegen sich aufzubringen«

Es gab Zeiten, da war es die einzige Aufgabe mehrerer Garnituren von Salzburger Festspiel-Intendanten, vom einfachen Direktoriumsmitglied Karajan jeden Windhauch des Widerspruchs fernzuhalten. Hätte einer der Aufgabe nicht genügt, hätte ihn die Salzburger Provinzpolitik im verdienstvollen Wissen um den eigenen Horizont still aus dem Weg geschafft. Mit Gerard Mortier und der aktuell amtierenden, idealtypischen Festspielführung haben kompliziertere Parameter zu greifen begonnen. Aber immer ging und geht es um das Außerordentliche, mit anderen Worten: um die Kunst. An den Osterfestspielen hingegen (und in Dresden) kann man sich hochrechnen, wohin der Weg der Kunst künftig führt. Als reichte es nicht, dass Compliance- und Quotendiktate (welch hässliches Kauderwelsch) die Qualitätskriterien, die einzig zu gelten haben, außer Kraft setzen.

Nun kann man, einem Gemeinplatz zur Pandemie folgend, in der anlassgebenden Malaise auch eine Chance erblicken. Es gibt nämlich fast keine großen Operndirigenten mehr. Muti ist rar und Barenboim unabkömmlich, und als Petrenko zu den Berliner Philharmonikern berufen wurde, ergriff Bachler, seiner Kompetenz ledig, eilends die Flucht aus München. Bleiben Welser-Möst, Thielemann und Philippe Jordan, der in seinen neun Monaten als Musikdirektor die Staatsoper ein prächtiges Stück vorwärts gebracht hat. Er hat einen wunderschönen "Figaro", einen übertrefflichen "Rosenkavalier" und einen hoch respektablen "Parsifal" dirigiert. Wobei ich von Welser-Möst und Thielemann zwar keinen besseren Mozart, aber allerallermindestens gleichrangige Wagner- und Richard-Strauss-Dirigate erlebt habe. Beide werden von den Philharmonikern adoriert und haben sich dem Haus mit aufführungshistorischen Resultaten verbunden. An Jordan ist es jetzt, Format auch jenseits des Pults zu zeigen und das Chefrepertoire unter Augenhohen zu teilen. Im Herbst 2025 tritt, wenn nicht derweil ein bildungsferner Vandale das Kunstministerium besetzt, Bogdan Roscic seine zweite Amtszeit an. Ein Jahr vorher schon ist Thielemann frei, und den Schluss dieser Kolumne würde ich gern bald in den Zeitungen lesen.