Junge Raucher:
Auf der Kippe

Nirgendwo sonst rauchen mehr Jugendliche als in Österreich

In kaum einem anderen Land rauchen mehr Jugendliche als in Österreich. In keinem anderen EU-Staat ist der Nichtraucherschutz schlechter. Das geplante Rauchverbot in Lokalen könnte diesen Missstand stoppen - wenn es nicht kippt

von Jugendliche rauchen © Bild: Shutterstock.com/Joshua Resnick

Dem Direktor passt es nicht, dass wir hier rauchen", sagt die 19-jährige Sandra. "Im Innenhof dürfen wir aber nicht mehr, also müssen wir hier vor die Schule gehen." Sandra raucht blaue Chesterfield. Sie trägt eine hellblaue, zerrissene Jeans und dazu ein T-Shirt mit Katzenprint. Ihre Cousine Jessica ist 16 und raucht ebenfalls. Seit etwa einem Jahr und "wenig", wie sie sagt. Warum sie trotzdem raucht, kann sie nicht in Worten, sondern nur mit einem Schulterzucken beantworten. Sandra hat jedenfalls mit der Scheidung ihrer Eltern zu rauchen begonnen, "meine Mutter kauft mir die Zigaretten sogar", sagt sie. Die meisten Schüler hier am Wiener Bundesrealgymnasium Henriettenplatz würden schon in der fünften Klasse anfangen, Burschen und Mädchen gleichermaßen, schildern die beiden.

Jeder Fünfte raucht

Sandra und Jessica gehören zu jenen 20 Prozent der österreichischen Jugendlichen, die laut Statistik Austria täglich zum Glimmstängel greifen. Das ist so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land. Bis vor Kurzem galten Österreichs 15-Jährige sogar als "Europameister" im Rauchen -aktuell steht Bulgarien auf dem ersten Platz.

Das verwundert kaum, denn bei der Umsetzung wirksamer Strategien der Tabakkontrolle belegt Österreich europaweit den letzten Platz. Das besagt die sogenannte Tobacco Control Scale, die sich nach Faktoren wie Zigarettenpreisen, Werbeverboten, Informationskampagnen, Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen, Entwöhnungsangeboten und Rauchverboten im öffentlichen Raum richtet.

Gerade Letzteres wäre ein wichtiger Schritt für die Jugendlichen, betont Gesundheitspsychologe Rudolf Schoberberger. "Ein junger Mensch ist anfällig dafür, was andere tun. Wenn in einer Disko geraucht wird, fällt es ihm schwerer, nicht zu rauchen", sagt der Experte. Eigentlich wäre das Thema vom Tisch, da mit Mai 2018 das komplette Rauchverbot in der Gastronomie in Kraft tritt. Eigentlich. Denn die FPÖ möchte es in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP kippen und bei der derzeitigen Regelung bleiben. Heißt: getrennte Raucher-und Nichtraucherbereiche sowie freie Wahlmöglichkeit für Lokale unter 75 Quadratmetern, ob das Rauchen erlaubt ist oder nicht. Petra Gajar vom Fonds Gesundes Österreich hält diese Überlegung für fatal: "Ein generelles Rauchverbot trägt wesentlich dazu bei, dass weniger Jugendliche rauchen. Das belegen viele Studien aus dem Ausland." Dass Raucherlokale umgekehrt zum Qualmen animieren, untermauert eine aktuelle Studie der Uni Graz. Demnach geben 74 Prozent der befragten jugendlichen Raucher an, mehr zu rauchen, sobald sie in einem Raucherlokal sitzen. Für Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung eine logische Schlussfolgerung: "Wenn im sozialen Umfeld geraucht wird, dann rauchen Jugendliche eher, weil die Hemmschwelle niedriger ist." In einem Pizza-und Kebabrestaurant unweit der Schule am Henriettenplatz gibt es einen Raucherraum. Durch die Milchglasfenster dringt nur wenig Licht an diesem sonnigen Novembertag. Es ist düster, ganz so, wie es den vier Jugendlichen passt, die auf der Eckbank lungern. Ein Mädchen und drei Burschen. Der Älteste ist 21 und raucht seit acht Jahren. Der Jüngste ist 17 und heißt David. "Diese sind mit Menthol, diese ohne", sagt er und zeigt auf die zwei Päckchen, die übereinander auf dem Tisch liegen, "ich mag beides". Stress mit der Schule nennt er als Grund, warum er vor etwa einem Jahr mit dem Rauchen angefangen hat. Gesundheitspsychologe Schoberberger hält dieses Argument für unglaubwürdig. "Jugendliche würden nie zugeben, dass sie wegen anderen rauchen. Deshalb nennen sie als Grund Stress, weil es auch die Erwachsenen tun."

Endlich erwachsen

Damit man es anderen nachmachen kann, muss aber irgendwer mit dem Rauchen anfangen. Warum also der Griff zur ersten Zigarette? Was daran ist "cool"? An den heutigen Vorbildern aus Film-, Musik-und Youtube-Szene liege es nicht, erklärt Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung. "Die Jugendidole präsentieren sich heutzutage eher puristisch. Da gilt es schon als arg, wenn man einmal betrunken ist." Vorbei also die Zeiten, als machomäßige Werbefiguren wie der "Marlboro Man" mit Cowboyhut und Zigarette in der Hand zum Qualmen animierten. Auch aus dem einfachen Grund, dass Zigarettenwerbung seit 2007 nur mehr in Trafiken erlaubt ist. Laut Schoberberger liegt der Grund woanders: Zigaretten gelten als Symbol des Erwachsenseins. "So kann man beweisen, dass man kein Kind mehr ist."

Sobald die erste Zigarette geraucht ist, ist der Weg in die Sucht nicht mehr weit. Eine Untersuchung unter Jugendlichen in den USA ergab, dass bereits nach zwei Wochen regelmäßigem Rauchen ein Fünftel abhängig war. "Nikotinabhängigkeit kann sehr rasch und mit wenigen Zigaretten gehen", sagt Schoberberger. Ob man süchtig wird oder nicht, hänge hauptsächlich vom Erbgut ab. "Es geht darum, ob man Nikotinrezeptoren in der Genetik hat oder nicht. Wenn ja, dann springen sie beim Rauchen rasch an, erzeugen Verlangen und eine stoffl iche Abhängigkeit." Ausschlaggebend kann auch sein, ob man in einer Raucherumgebung aufgewachsen ist, "so werden ebenfalls Rezeptoren angelegt". Und drittens sei entscheidend, in welchem Alter man anfängt. Je früher, desto höher das Suchtpotenzial. Deswegen ist Rudolf Schoberberger auch Befürworter eines Rauchverbots unter 18 Jahren. Noch darf man ab 16 Jahren rauchen.

Doch das neue Gesetz ist bereits beschlossen und soll Mitte 2018 kommen. Darauf haben sich die Jugendlandesräte der Bundesländer geeinigt. Das Verbot fällt in den Bereich Jugendschutz und ist Landeskompetenz. Wann genau es kommen soll und wie ein Vergehen betraft wird, hängt demnach vom Bundesland ab.

Fix ist hingegen, dass die Kontrolle des Jugendschutzgesetzes in puncto Rauchen nach wie vor in den Händen der Trafikanten liegt. Anton ist Trafikant in Wien- Leopoldstadt. Er meint, er tue sich beim Schätzen des Alters leicht. Und wenn nicht, frage er nach dem Ausweis. "Es wird uns empfohlen, alle zu kontrollieren, die jünger aussehen als 25", sagt er. Tricks durchschaue er mittlerweile, und dem "älteren Bruder am Telefon" glaube er auch nicht. "Es gibt aber bestimmt viele Jugendliche, die sich Zigaretten ganz einfach von älteren Freunden kaufen lassen oder die Automaten mit abgelaufenen Bankomatkarten bedienen", so der Trafikant. Gänzlich unterbinden lasse sich das mit einer Altersbeschränkung ohnehin nicht.

An der Effizienz des Rauchverbots unter 18 Jahren zweifelt auch Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung. "Ich glaube nicht, dass das eine große Wirkung hat. Die Jugendlichen fangen ja schon viel früher mit dem Rauchen an." Und die hätten auch keine Probleme damit, sich Zigaretten zu besorgen. Zumindest aber hätte es symbolischen Charakter.

Kostenfaktor Tschick

Für viel sinnvoller hält er neben dem Rauchverbot in Lokalen höhere Zigarettenpreise. "Wenn die Tschick so wie in Großbritannien zehn Pfund (ca. elf Euro) kosten würden, wäre das für die Jungen sehr abschreckend." Das glaubt auch Gesundheitspsychologe Schoberberger: "Als die Zigaretten in Australien plötzlich 20 Dollar (ca. 13 Euro) pro Packung kosteten, hatte das große Auswirkungen." Auch bei uns gebe es Untersuchungen, denen zufolge ein Prozent höhere Kosten zu einem halbem Prozent weniger Rauchern führen würden.

Generell sind sich die Experten einig, dass nicht einzelne Maßnahmen zum Ziel führen, sondern eine Kombination vieler. Dazu gehören auch Präventionsinitiativen an den Schulen. So wie "Yolo!". Die Antirauchkampagne wurde vor drei Jahren von der ehemaligen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser und dem Fonds Gesundes Österreich ins Leben gerufen und richtet sich an Zehn-bis 14-Jährige. Die Jugendlichen sollen erreicht werden, bevor sie zu rauchen beginnen. Die Initiative setzt auf mehreren Ebenen an: So gibt es neben Aufklärungsarbeit eine Quiz-App mit Fragen zum Rauchen. Diese kann die Klasse gemeinsam beantworten und damit an einem Wettbewerb teilnehmen. Die Gewinner werden auf Partys gekürt, bei denen Sportler und "Kiddy Contest"-Teilnehmer auftreten. Zudem gibt es ein Whatsapp-Handytool, über das Interviews mit Youtube-Sternchen ausgespielt werden. "Die Initiative kommt sehr gut an, weil sie die neuen Medien nutzt und die Jugendlichen dort abholt, wo sie sich bewegen", sagt Petra Gajar vom Fonds Gesundes Österreich. Da das Thema Gesundheit bei jungen Menschen nicht so attraktiv sei, müsse man mit anderen Argumenten kommen. "Etwa mit Attraktivität. Also wenn ich rauche, bekomme ich hässliche Zähne."


Die Teilnahme an "Yolo!" ist jedoch freiwillig. 160 Klassen sind derzeit dabei. "Es gibt eben Schulen, die sich bemühen, und manche, die es nicht tun", sagt Experte Schoberberger. Wichtig wäre aber eine flächendeckende Kampagne.

"In der HAK rauchen alle"

An der gläsernen Eingangstür der katholischen Privatschule Friesgasse klebt neben Verbotszeichen für Hunde und Rollschuhe auch eines fürs Rauchen. Die beiden 18-Jährigen Paul und Rafael kommen gerade aus dem Englischunterricht. "Bei uns an der AHS rauchen sehr wenige, normalerweise hinten beim Notausgang", sagt Rafael und fährt sich durch die blonden Haare, "in der HAK, dort raucht jeder." Wenn die beiden von ihren Klassenkameraden reden, sprechen sie von "Kindern":"Von 22 in unserer Klasse rauchen gerade einmal drei, in der Parallelklasse sind es nur zwei", sagt Rafael. Sein Schulkollege Paul hat mit 16 Jahren angefangen. "Am Anfang habe ich nur gepafft." Mittlerweile rauche er regelmäßig und "mit Lungenzug", wie er sagt.

Rudolf Schoberberger zufolge schildern die beiden ein verbreitetes Phänomen: "In Schulklassen rauchen entweder fast alle oder fast keiner." Das hänge davon ab, ob der Anführer der Peergroup raucht oder nicht.

Ermahnen bringt nichts

Doch wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind raucht? Sobald sie es merken, sollten sie ein vernünftiges Gespräch suchen, rät Schoberberger. "Dabei sollte man weder dramatisieren noch die Dinge schönreden." Und schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger kommen. "Das ist ganz falsch."

Bei den Argumenten gegen das Rauchen gilt es, auf Themen zu achten, die den Kindern wichtig sind. "Mit Lungenkrebs zu argumentieren, bringt gar nichts. Das ist für sie zu weit weg." Besser wäre es, die erwähnten Argumente Schönheit oder Geld anzusprechen. "Man könnte ihnen sagen: Rauchen ist nicht billig. Um das Geld kannst du dir viele andere Sachen kaufen", sagt Schoberberger. Auch die schnelle Abhängigkeit sollte erwähnt werden. Und natürlich selbst nicht zu rauchen. Vielleicht ermuntern gute Vorbilder nicht nur den Nachwuchs, sondern auch die Politik.