"Biedermann und die Brandstifter" am Volkstheater: Wegschauen schützt nicht

Viktor Bodo zeigt „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch als tiefgründige Farce am Volkstheater

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Theaterkritik - "Biedermann und die Brandstifter" am Volkstheater: Wegschauen schützt nicht

Max Frisch nannte sein Stück „Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre“. Der ungarische Regisseur Viktor Bodo macht den Untertitel zum Programm seiner Inszenierung. Im Zentrum steht ein wohlhabender Unternehmer namens Gottlieb Biedermann. Zeitungsartikel, die von Brandstiftern berichten, die sich in den Bürgerhäusern einnisten, um diese anzuzünden, machen ihm Angst. Biedermann aber will sich selbst täuschen. Er will sich von der grassierenden Massenpanik nicht ergreifen lassen. Er gewährt drei Hausierern Quartier und assistiert bei den Vorbereitungen zum Unheil. Am Ende zünden sie sein Haus an. Frisch verfasste das Drama Ende der Vierziger-, Anfang der Fünfzigerjahre. Uraufgeführt wurde es 1958 in Zürich.

Bodó siedelt die Handlung in der Entstehungszeit des Dramas an. Julia Balász hat dafür einen gutbürgerlichen, fast leergeräumten Salon entworfen, Schiebeglastür, eine schlecht funktionierende Sprechanlage inklusive. Das Szenario wäre ideal in einem Thriller à la Hitchcock, aber auch in einer Salonkomödie von Georges Feydeau einsetzbar. Zwischen diesen Genres, Thriller und Komödie, lässt Bodo seine Interpretation pendeln. Das funktioniert – ohne einen Funken auf der Bühne zu entzünden, denn die sprühen in der Inszenierung. Die punktet durch Musikalität, Rhythmus, akkurate Personenführung und ein sehr gutes Ensemble.

Günter Franzmeier stellt ein scharfes Psychogramm des gutbürgerlichen Unternehmers Gottlieb Biedermann dar. Der hat seinen Mitarbeiter, dem er die Erfindung eines Haarwassers verdankt, entlassen, um sich etwaige Provisionen zu sparen und den Mann in den Selbstmord getrieben. Die Art wie Franzmeier, diesen selbstsüchtigen, Egozentriker, der nur auf einen Vorteil bedacht ist, darstellt, wirft nicht wenige Fragen auf. Und das ist gut so. Weshalb hat er diese Brandstifter in sein Haus gelassen: Um als weltoffener Bürger vor sich selbst dazustehen? Aus Naivität? Oder macht er aus purer Feigheit mit ihnen gemeinsame Sache, um sich und sein Haus zu beschützen?

Jene Fragen, die Bodó und Franzmeier da aufwerfen, sind aus diversen Kapiteln der jüngsten Geschichte bekannt. Bodó erklärt viel, indem er nichts erklärt. Jedweden Deutungsversuch ersetzt er mit absurden Szenen. So etwa lässt er in kurzen Sequenzen Biedermann seine herzkranke Frau ermorden. Andere, knapp angelegte Tanz- und Slapstick-Einlagen verlangen von den Schauspielern ein Höchstmaß Genauigkeit. Die Brandstifter sind erstklassig besetzt: Thomas Frank hüllt den ehemaligen Ringer Schmitz in unheimliche Freundlichkeit. Gábor Biedermann ist ein dämonischer Eisenring. Für Jan Thümer hat Bodó ein Solo eingefügt, bei dem der sich virtuos in einen Theaterkritiker vor einer Schreibmaschine wandelt. Evi Kehrstephan macht aus der Hausangestellten Anna eine mysteriöse Kunstfigur. Steffi Krautz (Babette, Biedermanns Frau) und Claudia Sabitzer (Witwe Knechtling) ergänzen formidabel neben Stefan Suske und Nils Hohenhövel, die als Polizisten auch eine Art Chor stellen.
Vieles mag für manche in diesen 110 Minuten kompakten Schauspiels auf einen ersten Blick komisch anmuten. Bodó aber zeigt kein oberflächliches Entertainment. Er holt die unangenehmen Fragen aus dem Stück: Warum will man drohendes Unheil nicht wahrnehmen? Das ist beklemmend und wirklich starkes Theater.

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