Aus der Quarantäne
an die Macht

Martin Kusej reüssiert mit „Das Leben ein Traum“ von Pedro Calderón de la Barca beim Saisonauftakt an der Burg.

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Theaterkritik - Aus der Quarantäne
an die Macht

Die Handlung von Pedro Calderón de la Barcas Drama „Das Leben ein Traum“ ist absurd und doch ganz nah an der Wirklichkeit wie Martin Kusej in seiner Inszenierung am Burgtheater zeigt. Der polnische König Basilius sperrt seinen Sohn Sigismund nach dessen Geburt in einen Turm, weil die Sterne nichts Gutes verheißen. Das Kind soll einmal wie ein Tyrann über das Land herrschen. Wegsperren ist die einzige Lösung. Wie eine Art Kaspar Hauser wächst das Kind abgeschieden von der Welt auf. Die Auswirkungen der jahrelangen Quarantäne sind vorhersehbar. Als der König den zum jungen Mann herangewachsenen Prinzen am Hof das Leben ausprobieren lässt, agiert der wie ein Berserker. Die nächsten Kerkerjahre folgen. Als die Revolution ausbricht, wird der Prinz befreit und mutiert bei Calderón zum gütigen weisen Herrscher. Nicht bei Kusej. Sigismund wird zum kühl kalkulierenden Politiker, erstickt aufkeimende menschliche Gefühle, schließt eine Vernunftehe und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Kusej lässt in seiner Deutung genial alles mitschwingen, was in den vergangenen Monaten Thema war. Lockdown, die Auswirkungen von Quarantäne und das Ausreizen von Macht.

Im Zentrum von Annette Murschetzs düsterer Bühne prangt ein Kohlenhaufen, in einem weißen Zimmer haust Sigismund. Nackt, ausgestreckt liegt er auf einem Tisch, der wie aus der Pathologie anmutet. Wäre das Szenario ein Film, würde man von langen Kameraeinstellungen sprechen. Kusej nimmt sich Zeit, lässt jedes Wort, jede Geste nachwirken. Das kann er, denn sein Ensemble ist erstklassig. Franz Pätzold zeichnet atemberaubend die Studie eines werdenden Machtmenschen. Norman Hacker zeigt einen zwischen Aberglauben, Angst und Machtgier zerrissenen Herrscher. In der Nebenhandlung brilliert Julia Riedler als junge Adelige Rosaura, die sich an Herzog Astolf rächen will, nachdem er sich von ihr abgewandt hat. Famos ist auch der Rest des Ensembles besetzt: Andrea Wenzel als machthungrige Verwandte des Königs, Johannes Zirner als Astolf, Roland Koch als Clotald, Sigismunds Bewacher und Erzieher, Tim Werth als Diener Rosauras.
Das einzige, das man gegen diese sehenswerte Inszenierung einwenden könnte, ist die Länge des ersten Teils. Sollte tatsächlich das Tragen von Mund- und Nasenschutz verpflichtend werden, wären zwei Pausen nicht nur eine Wohltat, sondern würden bei manchen den Blick auf diese denkwürdige Aufführung noch mehr schärfen. Sie hätte es verdient.