Achtung, der
junge Held kommt!

Claus Guth inszenierte Händel Oratorium „Saul“ als packendes Psychogramm

Er rast, er wütet, er tötet, gar den eigenen Sohn: Saul. Er war der erste König der Israeliten, von Gott selbst zur Führung seines Volks auserkoren und von allen geachtet. Doch er hat ein Problem, eigentlich zwei: er wird mit seinen Feinden, den Philistern, nicht fertig und dann kommt auch ein junger, kraftstrotzender Jüngling daher und stiehlt ihm die Show: David. Der hat den Goliath erlegt legt dessen Haupt auf die Familientafel in Sauls Haus und reiht sich in die Familie ein. Bald aber sieht Saul in dem strahlenden, jungen Held was er, Saul, einmal war und nicht mehr ist und nie wieder werden kann. Alter und Unvermögen treiben ihn in den Wahn.

von Theaterkritik - Achtung, der
junge Held kommt! © Bild: Monika Rittershaus

Das erzählt Georg Friedrich Händel in seinem 1739 in London uraufgeführten Oratorium mit packender Musik. Ob der Komponist darin selbst eigene Krisen aufgearbeitet hat, mag Spekulation bleiben. Gründe dafür gibt es. Händel war ein Star in London. Mit „Alcina“, „Ariodante“ und „Orlando“ hatte er die bedeutendsten Opern seiner Zeit geschaffen. Doch die Konkurrenz an der Adelsoper setzte auf leichte Unterhaltung wie die Musik von Nicola Antonio Porpora und auf Stars wie den Kastraten Farinelli und das kostete Publikum. Doch Händel entwickelte Neues: das englische Oratorium als Gegensatz zur herkömmlichen Oper.

Claus Guth, der bereits Händels „Messias“ am Theater an der Wien 2009 szenisch umgesetzt hat, zeigt mit „Saul“ ein faszinierendes Psychogramm eines Herrschers, der erkennt, dass er einer jüngeren Generation weichen muss. Diesen verkörpert Florian Boesch. Und der ist als Singdarsteller ein Gigant: stimmlich wie darstellerisch. Minutiös führt er vor, wie Neid und das Unvermögen zu Altern einen Mann in den Wahn treiben. Dafür hat ihn Guth mit einem Wotan-Speer ausgestattet, der seinen jugendlichen Nachfolger am liebsten töten würde. Das könnte auch der Wanderer aus Richard Wagners „Ring“ sein, der dem jungen Siegfried den Weg zu Brünnhilde verwehren will.

Christian Schmidt hat mit einer praktikablen Drehbühne, die einen kahlen, weiß gekachelten Raum, eine düstere Wüstengegend und einen noblen Speisesaal aus dem 18. Jahrhundert zeigt, das ideale Ambiente für die Musik- und Seelenanalytiker Guth und Boesch geschaffen. Regisseur und Darsteller setzen präzise um, was Händel vorgibt, da stimmt jede Sequenz. Wie auch beim ganzen Ensemble. Jake Arditti gibt David als hintersinnigen, naiven Verführer, setzt mehr auf die Geschmeidigkeit seines Countertenors als auf stimmliche Höhenflüge. Eine heutige Frau zeigt Anna Prohaska mit Sauls Tochter Merab und überzeugt auch stimmlich, trotz Indisponiertheit in der zweiten Vorstellung. Giulia Semenzato ist eine dynamische, kleine Schwester Michal und erfüllt die Koloraturen mit Ausdruck und Sinn. Der junge Brite Andrew Staples, der über einen dunklen schön gefärbten Tenor verfügt, verkörpert als Jonathan jenen Typus eines jungen Mannes, der unter seinem starken Vater leidet. Guth lässt ihn Zuflucht in der Liebe zu David finden. Das funktioniert alles hervorragend, Familienaufstellung inklusive. In jeder Hinsicht virtuos agiert der wortdeutliche Arnold Schönberg Chor. Für fulminanten Händel Sound sorgt das Freiburger Barockorchester unter Laurence Cummings. Prächtige Farben, vor allem bei den Steichern und den Naturhörnern, Orgelklang und Glockenspiel zeigen, wozu Musik fähig ist. Das ist Operntheater, wo alles stimmt.