Tobias Moretti im Interview

Der neue "Jedermann" im Gespräch über seine neue Rolle bei den Salzburger Festspielen

Tobias Moretti ist Salzburgs neuer "Jedermann". Ab dem Sommer 2017 wird der Schauspieler am Domplatz in Hofmannsthals Traditionsstück als Nachfolger von Cornelius Obonya die Titelrolle spielen. Im Interview spricht der Schauspiel-Star über seine neue Rolle und deren Bedeutung.

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Theater - Tobias Moretti im Interview

Herr Moretti, haben Sie sich, so wie viele Kollegen, den Jedermann seit Langem gewünscht?
Gar nicht, weder seit Langem noch seit Kurzem. Ich wäre nicht einmal in Ansätzen darauf gekommen, mir das zu wünschen, weder was die Figur selbst noch was ihren Status betrifft. Ja, seinerzeit den Teufel zu spielen, das war eine wunderbare Geschichte. Beim Jedermann war’s anders. Zwar habe ich einmal damit spekuliert, weil meine mittlerweile verstorbene Agentin Erna Baumbauer vage etwas ins Rollen gebracht hatte, aber dann war’s doch so, dass ich mich zweimal rausgenommen habe.

Wann wurde er Ihnen denn angeboten?
Zuerst für 2009, da war eine Neuinszenierung im Gespräch, die aber nicht kam. Und dann 2013, bei der nächsten Neuinszenierung, der aktuellen. Aber da hatte ich den Kopf woanders, da war ich in der Vorbereitung für die Paris-Dakar--Rallye. Und bei der dritten Anfrage dachte ich, eigentlich ist es mir zu früh, aber beim nächsten Mal ist es zu spät.

Aber wie konnte Ihnen denn der Jedermann so wenig bedeuten?
Das hat damit nichts zu tun, das muss nur überlegt sein. Da die Bedeutung, die dieser Figur zugemessen wird, auch überschätzt wird. Vielleicht war das in den Sechziger-, Siebziger-, Achtzigerjahren so was wie eine Lebensrolle. Wenn man das gespielt hatte, war man sozusagen geadelt. Aber das ist heute Geschichte, obwohl wir Weltmeister im Selbstzelebrieren und Hochhalten unserer Tradition sind.

Welcher Jedermann hat Sie denn besonders beeindruckt? Die Palette geht ja von den schmalen Intellektuellen, von Voss und Lohner, bis zum virilen Attila Hörbiger.
Das kann man so nicht sagen, das geht von faszinierend bis befremdlich. Und im besten Fall waren die auch prototypisch für den Geist der Zeit. Hörbiger hat’s vorm Krieg gespielt, wir wissen alle, welcher Gesinnung Hörbiger angehört hat, und nach dem Krieg hat er’s anders gespielt, mit einer verinnerten Sicht. Curd Jürgens, eine Gewalt auf der Bühne und mit männerspielender Wucht im Stil der Sechzigerjahre. Tukur und Voss zynisch, Brandauer war als Jedermann der klassische Repräsentant seiner Zeit. Und, und, und … Ich muss die Figur für mich erst einmal nehmen, als wäre sie ganz neu. Da ist der erste Bogen: ein egozentrischer, schwerreicher Lebemann, ein unangenehmer Typ, der keinen Blick für die Konsequenzen seines Handelns hat. Ein Partytiger, der sich halb blasphemisch produziert, und dann der große Moment der Erkenntnis, der momentane Bruch, als ihm der Tod begegnet. Von da an geht es ihm nur noch larmoyant darum, dass ihn einer begleitet, es drohen ein paar Stunden Befindlichkeitsschreien. Das Peinlichkeitspotenzial des Stückes kann hoch sein, auch was die Beziehung zur Buhlschaft betrifft. Es muss doch einen anderen Grund geben, warum für so eine Figur der Höllenofen angefeuert wird.

Zum Beispiel?
Die Zentralfrage unserer Zeit: Der Glaube ist im Stück die erlösende Figur. Vor 15 Jahren war das kein Thema, damals war die gesellschaftliche Situation eine ganz andere. Der Glaube war nicht wie heute Brennpunkt der Weltperspektive.

Sie meinen das Vordringen des Islam?
Nicht nur. Momentan ist das die Veränderung schlechthin. Wir stehen mitten in einem Glaubenskrieg, der die Welt in Brand gesetzt hat. Was ist denn Glaube in der heutigen Zeit? Für niemanden von uns, auch wenn er ein religiöser Mensch ist, steht in seiner realen Lebenswelt die Religion im Vordergrund. Das ist nun einmal so. Sie erscheint maximal als Empfindung von Dankbarkeit oder als kurze Reflexion. Und dann wird in diesem Stück plötzlich erzählt, dass man sich mit guten Werken und Glauben für das nächste Leben empfiehlt. Während die Welt in Glaubenskriegen brennt.

War es nicht immer lebensgefährlich, wenn Religion und Staat einander zu nahe kamen?
Natürlich. Wir haben das bis vor Kurzem nicht mehr gekannt, und jetzt stehen wir davor. Der Punkt ist aber ein anderer: Weder eine säkularisierte noch eine religiös geprägte Gesellschaft kommen ohne Kultur aus. Wenn dann zwei Welten kulturlos aufeinanderprallen, weil es keine Analysen, keinen Diskurs, keine Haltung in der philosophischen Perspektive gibt, dann wird es gefährlich, denn dann verselbstständigen sich die Dinge. Und dann brennt es, und wir nehmen es immer noch nicht zur Kenntnis. Insofern ist dieses Stück, das zwischen zwei Weltkriegen nach Salzburg kam, doch sehr heutig.

Sind Sie selbst religiös erzogen worden? Und wie ist das mit Ihren Kindern? Sind sie getauft, werden sie entsprechend eingewiesen?
„Eingewiesen“ gehört weder in mein pädagogisches noch in mein alltägliches Vokabular. Ich bin froh, dass ich in einem Weltbild erzogen worden bin, das geprägt war von unserer Gesellschaftskultur, von unserer Auffassung von Moral, vor allem, was den Blick auf sich selbst betrifft. Von Unfehlbarkeit kann ja gar nicht die Rede sein, wir sind ja alles Menschen, aber zumindest weiß ich die Richtlinie, wann ich Scheiße baue. Es ist einfach eine Selbstverständlichkeit, dass ich mir für das, was ich tue, die Frage stelle, ob das in Ordnung ist, ohne die psychologische Skrupelmaschine anzuwerfen. Und das versuche ich irgendwie, den Kindern vorzuleben, und das befreit mich gleichzeitig von dem Gruppenzwang der Konfession. Meine Anarchie ist genauso ein Teil von meinem Weltbild wie mein Glaube.
Das Stück handelt ja auch davon, dass es über Nacht mit der Sicherheit vorbei sein kann. Hätte der Literaturstar Hugo von Hofmannsthal etwas länger gelebt, wäre er als Jude an Leib und Leben bedroht gewesen.

Kennen Sie selbst die Sorge, dass einem im Leben alles einstürzen kann?
Da muss man jetzt schon ein bissl die Kirche im Dorf lassen. Wenn einem selber was einstürzt, und selbst wenn es ein Leben ist oder seine Existenz, hat das noch einmal eine andere Dimension als der brutale Einsturz dieser ganzen Epoche. Was mich betrifft, bin ich vom Glück des Irdischen beseelt, in vielen Belangen, und es wäre dummdreist, zu glauben, es ginge immer so weiter. Die Endlichkeit ist ein Teil von unserem Leben, auch von unserem Beruf. Das macht ihn ja so spannend, und das macht uns letztlich reicher als das ganze Drumherum.

Der Jedermann ist die Metapher für den Tod, vor dem man so verdrängend dahinlebt, und dann? Beunruhigt Sie das Gefühl, selbst ein Stück über der Lebensmitte zu stehen?
Ja, schon, und es gibt nur ein Mittel: seine Sache so gut machen, wie man kann. Ich bin dankbar, dass ich über meinen Beruf und mein Leben immer wieder angetrieben werde. Aber ich bin auch in einer Alterskategorie, wo Menschen in nahem Umkreis von grausamen Schicksalen heimgesucht werden. Es ist das Normale in unserem Alter, dass einem die Endlichkeit öfter begegnet. Wie Gert Voss gestorben ist, und Monate später seine Frau, das war so ein Beispiel, das hat mich sehr getroffen. Wenn man es allerdings dauernd vor Augen hat, kann man sich gleich erschießen. Joachim Ringelnatz hat den treffendsten Satz dazu geschrieben: „Lebe gut, lache gut, mache deine Sache gut.“ Der Punkt ist, dass man reflektiert und daraus seine Schlüsse zieht und dann vielleicht eine andere Ökonomie für sich findet. Die Frage ist nur: Will man das?

Wollen Sie denn? Sie sind gerade eine Motorradrallye in Sardinien gefahren, das zeugt nicht von Ruhebedürfnis.
Eine Rallye ist wie unsere Arbeit: eine ständige Herausforderung, ein ständiges Nach- vorne-Schauen und Sich-nach- vorne-Definieren. Das Spannende an beidem ist die Mischung zwischen Konzentration und Hasardeursakt mit dem Resultat des Überfliegens. Tricksen geht da nicht.

Kann es sein, dass Sie sich mit solchen Abenteuern Jugend erzwingen wollen?
Nein, das hat mit Jugend nichts zu tun, außerdem fährt mir die Jugend eh um die Ohren in dieser Liga. Aber das ist ja wurscht. Das Entscheidende ist die mentale Stärke. Dieser Sport, so brutal er auch sein mag, zwingt, sich zu konzentrieren und zwei Ecken weiterzudenken: Dann hat die Angst keine Zeit mehr. Auch die psychische Situation ist ganz ähnlich wie beim Theater: diese Unbefindlichkeit einer ganz anderen Realität des Hier und Jetzt. In einer Sekunde kann es aus sein, wenn du nicht aufpasst. Im Theater schmeißt man sich mit demselben Kraftaufwand, mit demselben Wahnsinn und mit derselben Kühle hinein, sonst hat man verloren. Aber wenn es einen nicht schmeißt, trägt es einen dahin.

Sie drehen enorm viel und suchen Herausforderungen im Sport. Sind Sie zur Ruhe unbegabt?
Nein, im Gegenteil. Ruhe ist ein wichtiger Ankerpunkt meines Lebens. Ich lese, zwar viel zu wenig, aber daheim ist eine andere Realität, die mich hält, aber auch nicht bremst. Auch kommen da absurde Ideen.

Welche denn?
Den Jedermann anzunehmen, zum Beispiel. Im Ernst, es scheint, als würde man so viel drehen, in Wirklichkeit ist die öffentliche Wahrnehmung versetzt: Man dreht zwei, drei Filme im Jahr, und im nächsten wieder einige, und dann kommen im dritten Jahr eben mehrere dieser Projekte gleichzeitig heraus.

Kehren wir zum Jedermann zurück: Ist er nicht überholt? Nur noch dazu da, die anderen Produktionen zu finanzieren?
Nein, diesem Spektakel wohnt immer noch ein Zauber inne. Die Wirkung ist ungebrochen, es funktioniert, egal, welche Epoche es gerade bedient. In mir selbst löst es aber trotzdem eine gewisse Schizophrenie aus.

Wie darf man sich die vorstellen?
Ein Unbehagen hinsichtlich seiner einfach gestrickten Weltanschauung, dass am Ende mit Gottvertrauen alles gut ausgeht. Und trotzdem fasziniert es mich auch. Da jammert einer, dass er ja noch gar nicht gelebt hat, und die Antwort lautet: Doch, du hast gelebt, aber falsch. Shit happens! Da gibt es eine Diskrepanz zwischen dem schlichten Erklärungsmuster und dem, was wir alle von uns selber kennen. Wenn man sich dem stellt, muss man so etwas ja mit voller Überzeugung mittragen, und das kann ich erst jetzt, nach langen Gesprächen, die schon im Frühjahr begonnen haben. Auch der Aufbruch der neuen Festspielintendanz unter Markus Hinterhäuser und Bettina Hering, die dramaturgischen Verbindungen zwischen Musik und Schauspiel, haben mich letztlich überzeugt. Dabei war klar, dass die Inszenierung bleibt, aber einfach in etwas einzusteigen kam auch nicht infrage. Also habe ich die Regisseure Julian Crouch und Brian Mertes in New York getroffen. Wir haben vieles angerissen, und der Eindruck blieb, dass es für sie eine Herausforderung ist, sich mit neuen Impulsen diesem Stück neu zu nähern oder weiter daran zu arbeiten. Und wir haben eine Art Neubeginn vereinbart. Es ist also eine Chance für beide, solche Weiterentwicklungen bringen ja manchmal Überraschungen – wie die „Don Giovanni“-Inszenierung von Claus Guth, die er selber mindestens dreimal auf den Kopf gestellt und weitergesponnen hat. Wobei wir jetzt noch gar nicht wissen, in welche Richtung das geht und wie man es knackt.

Gibt es denn da überhaupt etwas? Zwischen dem Stück und der Kritik herrscht ja praktisch Urfeindschaft.
Ja, auch mit Recht. Dieses Stück hat sich irgendwie auch immer mehr vom Ursprung entfernt, Hofmannsthal hat die Figur immer mehr idealisiert, das heißt: in ein allegorisches Schwarz- Weiß-Muster. Als es 1911 in -Berlin uraufgeführt wurde, in einem Zirkus nämlich, waren die Verhältnisse vollkommen anders als 1920, im Jahr der ersten Salzburger Aufführung. Der Regisseur Max Reinhardt wollte später noch mal etwas Neues in New York damit beginnen. Dazwischen lagen der Erste Weltkrieg und der Untergang unserer Monarchie. Ein Spalt hatte sich aufgetan, die Welt war in ein Fest des Todes gestürzt, und dann kam es noch schlimmer. Es war die Zeit des Aufbruchs ins Nichts, das zentrale Thema des 20. Jahrhunderts. Dem hat Hofmannsthal seinen wachsenden Konservativismus entgegengesetzt und seinen Protagonisten immer mehr vereinfacht. Deshalb wirkt das Stück aus der heutigen Perspektive auch so befremdlich. Da herumzugraben und herumzusuchen und herumzustierln ist auch eine gewaltige Herausforderung, um es aus der Apathie der Aufführungstradition ein bisschen herauszukitzeln. Ein großer Schauspieler hatte dem nächsten großen Schauspieler die Tradition des Immergleichen weiterzugeben. Eine der Figur innewohnende Verpflichtung, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt.

Kann man aus dem Jedermann-Engagement schließen, dass Sie sich wieder mehr in Richtung Bühne entwickeln?
Ich mache alle ein oder zwei Jahre etwas für die Bühne, zuletzt die „Dreigroschenoper“ im Theater an der Wien. Die Bühne bleibt also der Beruf.

Jetzt wäre das Burgtheater angesagt. Man möchte Sie dort dringend, höre ich das richtig?
Es gibt interessante Aussichten, und das Burgtheater ist immer reizvoll, von den Stoffen, den Kollegen, den Regisseuren her. Wir sind da noch dran, aber sicher nicht vor 2018/19. Da könnte sich was ergeben. Würde mich freuen.

Nun werden Sie Mittelpunkt der Salzburger Begehrlichkeiten, die Adabeis werden Sie im Lokal Triangel belauern. Freut Sie das wirklich?
Ob ich als Jedermann, als König Ottokar, als Teufel oder als Moretti am Triangel vorbeigehe, ist dasselbe, da ändert diese Entscheidung ja nichts dran. Oder meinen Sie, dass ich dereinst mit weißem Schal und Hut im Café Bazar oder im Tomaselli sitzen werde und herumblicke?

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