Von Einem, der
wusste, worauf es ankommt

"Der Besuch der alten Dame" würdigt den Musikdramatiker Gottfried von Einem am Theater an der Wien

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Theaterkritik - Von Einem, der
wusste, worauf es ankommt © Bild: Werner Kmetitsch

Zuweilen sind Jubiläen doch für etwas gut: Sie zeigen, dass manche Werke zu Unrecht nur selten aufgeführt werden. Gottfried von Einems Vertonung von Friedrich Dürrenmatts Drama „Der Besuch der alten Dame“ ist so ein Fall. Der Schweizer Dramatiker stand dem Unternehmen, sein Stück als Oper auf die Bühne zu bringen, zunächst skeptisch gegenüber. Von Einems Vertonung von Georg Büchners „Dantons Tod“, die er an der Wiener Staatsoper gesehen hatte, überzeugte so sehr, dass er sogar selbst das Libretto verfasste. Musik und Text vervollkommneten einander wie Keith Warners Regie und Michael Boders präzises Dirigat am Pult des vortrefflichen ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. David Fielding zeigt auf der Bühne die verarmte Kleinstadt Güllen zunächst in tristem Schwarz-Grau. Vom Besuch der Milliardärin Claire Zachanassian erwartet man sich eine beträchtliche finanzielle Zuwendung. Sie hat die Stadt verlassen, als sie ein Teenager war. Wie, daran will man sich nicht erinnern, ebenso wenig, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen ist. Dass diese Frau Rache will, ahnt man zunächst nicht. Denn der Kaufmann Alfred Ill hat sie geschwängert, sie musste vor dem Spott der Bewohner fliehen. Eine Milliarde bietet sie der Gemeinde für Ills Tod.

© Werner Kmetitsch

Wie sich eine scheinbar rechtschaffene Gesellschaft in eine Horde, die nach Wohlstand giert, wandelt zeigt Keith Warner und auf David Fieldings detailliert ausgestatteter Bühne brillant. Jede einzelne der Figuren ist penibel geführt. Ill wird minutiös zum schuldigen Opfer degradiert. Warner lässt dabei nichts aus, er blickt in seelische Abgründe und zeigt deutlich: es geht um mehr als nur Rache: es geht um eine große Liebe, die enttäuscht wurde. Michael Boder bringt mit dem RSO jede Finesse des Musikdramatikers von Einem, der mit jeder Phrase das Spektrum menschlicher Befindlichkeiten und Abgründe erfasste. Diverse Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts sind da mit kurzen romantischen Zitaten kombiniert.

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Wo die Partitur ganze Kraft verlangt, spielt Boder diese auch aus. Da passt alles. Bei den Sängern setzte man nicht auf große, imposante Stimmen, sondern auf formidable Singschauspieler. Und das funktionierte ausgezeichnet. Katarina Karneus ist eine dämonische, intensive Claire Zachanassian. Russell Braun ist ihr als Alfred Ill ein idealer Partner, dem man den ehemaligen Liebhaber, der sich jeder Verantwortung entzieht, glaubt. Adrian Eröd überzeugt als Lehrer, Markus Butter als Pfarrer. Raymond Very müht sich redlich als Bürgermeister, Mark Milhofer ist ein bescheidener Butler. Die kleineren Partien sind alle stimmlich ordentlich besetzt. Ein Clou ist Markus Hinterhausers Panther-Darstellung. Der Arnold Schönberg Chor agiert und singt kongenial. Diese Aufführung ist ein stichhaltiges Plädoyer, den Opernkomponisten Gottfried von Einem, ins Standard-Repertoire aufzunehmen.

© Werner Kmetitsch