Favoriten - das Grätzel
des Terrorverdächtigen

Eine Reportage aus jenem Wiener Bezirk in dem Lorenz K. radikalisiert wurde

Die Stangen, mit denen Robert, 58, hantiert, sind aus Stahl und gut eineinhalb Meter lang. Er muss sie mit beiden Händen halten, so schwer sind sie. Jedes Fenster hat er mit einer verstärkt, jeden Eingang, auch den zum Hinterhof. Die Fenster sind aus schusssicherem Glas. An der Tür zur Straße sind zusätzlich Eisenstreben über die volle Länge angebracht, alles vergittert. "Wenn das von außen jemand sieht, der muss ja denken, das ist die kriminellste Hüttn hier."

von Favoriten © Bild: Heinz Stephan Tesarek/News

Es ist zwölf Uhr mittags, es riecht nach Schnitzel, und auf jedem Tisch steht ein Bier. An der Decke hängen bunte Faschingsgirlanden und viel zu viel Zigarettenrauch, an den Tresen sind bunte Urlaubspostkarten gepinnt, die Wände längst vergilbt. Robert sagt: "Wir sind diejenigen, die sie ausrotten wollen", und eine Runde älterer Männer nickt zustimmend. "Normalerweise musst du hier mit der Kanone in der Hand spazieren gehen", fügt einer hinzu. Dann nimmt er einen Schluck und widmet sich wieder dem Würfelspiel auf dem Tisch.

Wien-Favoriten Reportage
© Heinz Stephan Tesarek/News Viele Familien ziehen weg. Übrig bleiben ältere Menschen, und es kommen Zuwanderer

Hinter der Barrikade

Es ist kein Bunker in einem Kriegsgebiet, sondern das "Buchenbeisl" in der Karmarschgasse in Wien-Favoriten. Bewahrer der Wiener Wirtshauskultur möchte es sein, ist auf der Internet-Homepage zu lesen. Nur 200 Meter weiter steht das Haus, in dem der 17-jährige albanischstämmige Lorenz K. wohnt, der vor wenigen Tagen als Terrorverdächtiger festgenommen wurde.

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© Heinz Stephan Tesarek/News In der Rotenhofgasse steht das Haus, in dem Lorenz K. seine angeblichen Terrorpläne ausgeheckt haben soll

Die Gäste im Beisl fühlen sich nicht mehr sicher. "Was hier los ist - das steht ja alles nicht in der Zeitung." Täglich gebe es irgendwo einen Polizeieinsatz, allein 13mal sei im Gasthaus eingebrochen worden, und mit der 6er-Straßenbahn, die über die nahe gelegene Quellenstraße führt, könne man nicht mehr fahren. "Im 6er sitzen die größten Stinkviecher", sagt Robert, "die ganze Straße ist eine Tabuzone."

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© Heinz Stephan Tesarek/News Im Beisl am Stammtisch scheint die Welt noch in Ordnung. Doch draußen fühlen sich die Männer nicht mehr zu Hause
»Jeder, der über Rassismus schimpft, soll hierher ziehen, dann red ich mit ihm weiter«

Robert redet sich in Rage, alles bricht aus ihm heraus, seine Stimme wird lauter. "Der Häupl auf seinem Berg kann natürlich mit vollen Hosen runterscheißen." Er zieht an seinem Tschick. Doch, meint er, er wüsste sich schon zu wehren. Mit einem "Scheitl" würde er zuhauen oder ein Messer nehmen. "Jeder, der über Rassismus schimpft, soll hierher ziehen, dann red ich mit ihm weiter."

Eigentlich boomt Favoriten, vor allem rund um den neuen Hauptbahnhof. Neue Grätzel entstehen, wie das Sonnwendviertel oder die "Biotope City" beim Wienerberg. Das Areal um die alte Ankerbrotfabrik entwickelt sich zu einem hippen Quartier für Soziales, Kunst und Kultur. Doch das Triesterviertel zählt zu den Gegenden, in die sich Innenstadtwiener nur noch selten verirren. Fast möchte man glauben, es sei von der Landkarte verschwunden.

Dieses Grätzel im - mit knapp 195.000 Einwohnern - bevölkerungsreichsten Flächenbezirk der Hauptstadt, grenzt zwar unmittelbar an die Nachbarbezirke Meidling und Margareten, aber das Verkehrskreuz am Matzleinsdorfer Platz wirkt wie eine unüberwindbare Barriere, die man nicht nehmen möchte: Sechs Fahrspuren gilt es zu überqueren.

Es ist einer der kältesten Tage seit dreißig Jahren, die Zehen frieren in den Schuhen ein, der Fotograf muss sich extra Thermosocken besorgen. An einer Tankstelle an der Triester Straße, dem östlichen Tor ins Viertel, stehen trotzdem etwa 15 Männer und warten darauf, dass ein Auto anhält und sie mitnimmt. Um sich ein paar Euro bei Bauarbeiten zu verdienen - schwarz natürlich. Im Sommer ist hier der größte "Arbeiterstrich" der ganzen Stadt.

Aus den Kapuzen schauen von Wetter und harter Arbeit zerfurchte Antlitze, aus drei von ihnen blicken Bubengesichter, die steif und fest behaupten, "eh über 18" zu sein. Die meisten stammen aus Serbien und Bulgarien. Nur einer spricht Deutsch. Während der Verkehr vorbeirauscht, erzählt er, dass sie außer sonntags jeden Tag stehen und warten. Wenn ein Auftraggeber vorfährt, gewinnt der, der am schnellsten im Wagen sitzt.

Hinter dem Eissalon

Das Herz des Triesterviertels ist die Quellenstraße, sie ist nicht nur Verbindungsachse, sondern auch Hauptschlagader zwischen Reumannplatz und Triester Straße. Ihre östliche Schranke: der berühmte "Tichy"-Eissalon. Der steht in jedem Touristenführer, doch die Quellenstraße entlangzumarschieren wird nirgends empfohlen. Dabei sind es nur ein paar Schritte, in denen sich Sprachen, Essen und Architektur plötzlich ändern. "Klein-Istanbul", höhnen die Männer im "Buchenbeisl".

Hier gibt es Teppiche zu kaufen, Gemüse, neue Haarschnitte, Handys, Döner und Kaffee. Ein Laden reiht sich an den nächsten, die Fassaden sind bunt vertäfelt, Leuchtreklamen buhlen um Aufmerksamkeit. "Orient Juwelier","Istanbul Friseur" oder "Kebap Palace" heißen die Geschäfte.

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© Heinz Stephan Tesarek/News Samil verliebte sich vor zehn Jahren in eine Österreicherin. Seit Kurzem hat er den Babyshop. Er will zurück nach Istanbul

Aus manchen Schaufenstern blicken Modellpuppen, die bunte Kopftücher tragen. Der Billa ist menschenleer, die türkischen Discounter aber strotzen nur so vor Leben.

Nur ein paar Meter vom Buchenbeisl entfernt führt eine Treppe in ein Kellergeschoß. "Nur für Mitglieder", steht an der Tür. Man gelangt in einen weiten Raum mit schummrigem Licht und leiser, orientalischer Musik. Backsteinbögen spannen sich über die Decke, Stuckverzierungen verschönern die Wände. Überall stehen mit rot gemusterten Teppichen bezogene Sofas um kleine Tischchen. Auch hier liegt ein Geruch in der Luft -ein würzig-süßlicher. Und auch hier wird gewürfelt.

"Wir sind ein Kulturverein, kein Wirtshaus", sagt Haci-Etem Coskuner, 37, und serviert türkischen Tee. Der Sohn türkischer Einwanderer und geprüfte Versicherungsoberinspektor hat vor elf Jahren die Shisha-Bar "Golden Apple" eröffnet, einen Verein für migrantische Jugendliche. Kein Alkohol, keine Kartenspiele, nur drei Kaugummiautomaten. Wer hier eintritt, kommt, um zu plaudern und zu diskutieren. "Wir wollen die Jugendlichen von der Straße holen, weg von Alkohol und Drogen." Und dann sagt Coskuner etwas, das in der Shisha-Bar überraschend anmutet: "Wir wollen sie über den Fußball binden." Er hat einst bei Rapid gespielt, mittlerweile hat er selbst einen Verein gegründet. Die Kampfmannschaft FC Golden Apple liegt aktuell auf Tabellenrang zehn der ersten Klasse. Coskuner seufzt. "Es wird schlimmer." Auch bei ihm wurden die Scheiben eingeworfen und die Fassade beschmiert.

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© Heinz Stephan Tesarek/News "Wir sind ein Kulturverein, kein Wirtshaus", sagt der Betreiber dieser Shisha-Bar. Er will die Jugendlichen weg von der Straße holen. Miteinander reden lautet die oberste Regel

"Das ist nicht gegen mich, das ist einfach Vandalismus. Denen ist fad im Kopf." Während er spricht, laufen auf einem Flachbildschirm auf lautlos gestellte Musikvideos des Senders Dream Türk, in denen sich Frauen im Kreis räkeln. Dass um die Ecke ein möglicher, noch minderjähriger Salafist festgenommen wurde, hat er noch gar nicht mitbekommen.

Hinter dem Schleier

"Ich hab mich an die europäische Kultur anpassen müssen", sagt Coskuner: "Integration fängt bei Erziehung, Kleidung und Sprache an." Seine Mutter trug noch Kopftuch, seine Schwester nicht mehr, seine Kinder sowieso nicht. Doch er beobachtet: Es kommt wieder, stärker als je zuvor. Sie wollen sich nicht anpassen, raunt er leise. Die Message der Verhüllung sei doch klar: Ich bin anders. "Ehrlich gesagt", er kaut auf seiner Lippe, "ich würde mir als Österreicher auch denken: Raus mit denen." Dann setzt er sich zu den anderen, raucht, hört zu, redet. Staatliche Unterstützung für seinen Verein bekommt er nicht.

Ein paar Gassen weiter ist der Hauptsitz der türkisch-islamischen Union ATIB, des mit Abstand größten muslimischen Verbands Österreichs. Er bildet die Dachorganisation für mehr als 60 Moscheevereine und 65 Imame. Die ATIB ist der türkischen Botschaft weisungsgebunden, gilt als Erdoğan-nah, und repräsentiert den sunnitischen, konservativen Islam.

Das Untergeschoß des Gebäudes wurde zu einer Kantine ausgebaut. Über der Essenstheke steht auf einer überdimensionalen Tafel das Wort "Willkommen" in x Sprachen. Lässt man den Blick durch den Raum schweifen, stellt sich der Eindruck ein, dass vielleicht nicht jeder willkommen ist, Frauen zum Beispiel. Keine einzige ist anwesend. Für 7,90 Euro bekommt man das Tagesmenü, jeder Tisch ist besetzt. An einem sitzt Celal, 47. Die Haut seines Gesichtes lässt erahnen, dass er harte Arbeit gewöhnt ist. Er lässt die Haube beim Essen auf. Celal spricht nur sehr wenige Worte Deutsch. Dabei ist er seit 1989 in Wien.

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© Heinz Stephan Tesarek/News Der Hauptsitz der türkisch-islamischen Union in Favoriten versteht sich als "Brückenbauer". In der Kantine speisen nur Männer

Das Gebäude fungiert als eine Art Allround-Service-Amt für die türkischstämmige Bevölkerung. Es beherbergt neben der Mensa eine Moschee, einen Kindergarten, ein Studentenwohnheim, einen Arzt und einen Verwaltungstrakt. Dort befindet sich auch eine Beerdigungsabteilung, welche die Finanzierung von Begräbnissen und die Rückführung in die Türkei regelt.

Yasar Ersoy, 35, leitet diese Abteilung. Unter der strengen Aufsicht von Securitys werden wir in ein Nebenzimmer der Kantine geführt. Ersoy ist ein kleiner Mann mit wachen Augen. Auch er übt Kritik an der Integrationspolitik: "Es kann keine Entweder-oder-Identität geben, es muss doch möglich sein, stolzer Österreicher und Moslem zu sein." Doch die Jugendlichen verlören das Vertrauen in den Staat. Die Politik sei nicht nachhaltig. Lösungsansätze müssten gemeinsam erarbeitet, nicht von oben diktiert werden, meint Ersoy: "Die reden über uns, aber nicht mit uns." Der Gedanke an die Zukunft besorgt ihn: "Wenn ich die vierte, fünfte Generation jetzt nicht gewinnen kann -denn diese Jugendlichen werden bleiben -, dann weiß ich nicht, welche Zukunft das werden soll."

Zurück auf der Straße. Der Großteil der Passanten würde wohl an der schmalen, mit Milchglas verdunkelten Tür vorbeigehen. Wer sich jedoch duckt und öffnet, landet nicht nur im wahrscheinlich nobelsten Boxclub der ganzen Stadt, sondern auch in dem mit den meisten Staatsmeistergürteln des ganzen Landes: Box-Union Favoriten. Seit Jahrzehnten ist das der Trainingsstall von Staranwalt Rudi Mayer. Er kennt das Grätzel und seine Probleme. "Man muss ehrlich sein: Es sind keine Herausforderungen, es sind Schwierigkeiten", sagt er, "und es geht nicht um Gefährder, sondern Gefährdete!" Mayer versinkt fast in einem monströsen Lederfauteuil, als er Analogien zum Boxen zieht: Kampfesmut und -wille seien nichts Schlechtes, im Gegenteil, gerade in einer Leistungsgesellschaft. "Aber wir müssen diese Eigenschaft bei migrantischen Jugendlichen positiv umlegen." Um jeden einzelnen müsse man sich kümmern: "Die soziale Unterstützung in Österreich muss vertausendfacht werden. Wir müssen dafür nicht Millionen, sondern Milliarden in die Hand nehmen!"

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© Heinz Stephan Tesarek/News Anwalt Rudi Mayer trainiert bei der Box-Union Favoriten. Die Probleme im Gätzel kennt er

Noch vor einer Woche kannte fast niemand die Rotenhofgasse und das Haus, in dem Lorenz K. bis zuletzt wohnte. Es ist ein unscheinbarer Sechzigerjahrebau mit grünen Balkonen. Vor dem Haus liegen unzählige Hundstrümmerln und noch viel mehr Tschickstummel. Als wir uns im Treppenhaus orientieren, gesellen sich auch einige Bewohner dazu. So mancher weiß noch immer nicht, dass es bei einem seiner Nachbarn eine Razzia wegen Terrorverdachts gegeben hat. Dabei saßen einige live vorm TV, nur halt jeder vor seinem eigenen. Sie kennen einander nicht, vermutlich haben sie sogar noch nie miteinander gesprochen. Eine junge Studentin sagt: "Arg, man wohnt daneben, Tür an Tür, und kriegt nix mit von den anderen." Im Inneren der Wohnung von K.s Mutter bellt ein Hund, ein paar Mal verrutscht die Linse des Türspions, aber niemand öffnet.

Hinter der Sprachlosigkeit

So verschieden die Kulturen im Triesterviertel auch sind, eigentlich sind sie sich gar nicht so unähnlich. Überall wird geraucht, gewürfelt, Kaffee getrunken. Doch alle, die Immer-da-Gewesenen und die Zugewanderten, eint die Unzufriedenheit. Sie meiden die Straße und schließen sich ein. Und sie sind desillusioniert von der Politik. Das alte SPÖ-Bonmot "Durchs Reden kommen d'Leut zam" geht hier im toten Winkel Favoritens ins Leere. Die Bevölkerungsgruppen reden nicht miteinander, sondern untereinander. Und manchmal nicht einmal mehr das.

Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Im Café "Rendezvous" steht ein Billardtisch neben einer Jukebox auf einem Fliesenboden. Es gibt verstaubte Vasen, vergilbte Rüschenvorhänge, an der Bar baumelt ein Plastikskelett, und ein alter Röhrenfernseher läuft. "Wir sind eh multikulti", sagt die Kellnerin, die seit 13 Jahren hier arbeitet. Solange sie nicht nach draußen muss, habe sie keine Angst. Nur neulich habe ihr ein Gast gedroht: "Paris ist nicht weit." Darüber denkt sie heute noch nach. Im hinteren Teil des Lokals kleben dutzende Sticker, auf einem steht: "Alle Politiker sind Arschlöcher. Überall." Das Café "Rendezvous" nennt die Kellnerin die "letzte Bastion" an der Quellenstraße. "Wir sind nicht kleinzukriegen. Aber wenn's uns einmal nimmer gibt dann weiß ich auch nicht."

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© Heinz Stephan Tesarek/News Seit 13 Jahren arbeitet die Kellnerin im Café Rendezvous. Drinnen habe sie keine Angst, aber draußen sei "ein heißes Pflaster"

Kommentare

vandergraaf melden

Orient in Wien! Paralellgesellschaft!

Henry Knuddi
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gabs schon imma

*der orien beginnt auf der landstrasse*

seit vielen hundert jahren

Brum melden

Rausschmeissen, Mauerbauen, weg mit dem Pack. Die USA leben es uns ja vor...

Henry Knuddi
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na dann baue schön mal eine mauer und die untertunneln deine mauer

Habe kein Problem mit der Quellenstraße und der Linie 6. Ich wohne hier und bin trotzdem gegen Rassismus! Das hindert mich nicht, rechte Idioten und islamistische Idioten als solche zu erkennen, und fallweise auch zu benennen.

Rigi999 melden

Wien ist total versaut und abgefackt!! Danke an Häupl. der sich in der Nacht eh nicht hinaus getraut und sonst mit dem Dienstwaagen zwischen Haus und Parlament sich bewegt!!

Wofgang Cernoch melden

Sie sollten Wien mit anderen Städten vergleichen. Was kann Häupl für die türkische Einwanderung, die vor seiner Amtszeit begonnen hat, und alle geglaubt haben, daß die Türken nur als Gastarbeiter gekommen sind — auh die Türken selbst!

Henry Knuddi
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und vorher warens die tschuschen(balkan)

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

*Dienstwaagen zwischen Haus und Parlament sich bewegt!!*

seit wann ist Häupl im parlament?
wusste ich gar nicht, ist mir neu :)

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