Tabu Selbstbefriedigung

Seltsamerweise tun es alle irgendwann. Und viele nicht so selten. Aber man spricht nicht darüber. Irgendwie hängt der Selbstbefriedigung noch immer etwas Anrüchiges, ja Schamhaftes an.

von Dr. Monika Wogrolly © Bild: Matt Observe/News

Wenn Anke nicht schlafen kann, schlüpft ihre Hand unter die Bettdecke - danach schläft sie ganz schnell entspannt und glückselig nach mehreren Orgasmen ein. Denn sie kennt sich selbst am besten. Thomas macht es sich jeden Morgen unter der Dusche. René und Adi sehen einander dabei zu, wie jeder sich selbst "was Gutes tut". Robert macht es heimlich, weil Irmgard sonst daraus schließen würde, sie sei nicht gut genug im Bett. Man spricht nicht darüber, aber für die meisten Menschen ist Selbstbefriedigung, wenn nicht zur Routine geworden, so doch nicht außergewöhnlich.

Die sexuelle Lustbefriedigung bei sich selbst galt aber nicht nur in der christlich-abendländischen Tradition als schändlich, lasterhaft, unmoralisch und verderblich. In der Habsburgermonarchie wurde mittels Verhaltensleitfäden darauf geachtet, die Hände von jugendlichen Zöglingen im Auge zu haben und in Schulen das Sitzen an Stuhlecken zu verhindern. Das ist keineswegs Schnee von gestern: Die NoFap-Bewegung verwehrt sich nicht nur gegen Selbstbefriedigung, sondern ebenso gegen exzessiven Pornokonsum. Der englischer Slangbegrff "to fap" bedeutet die Selbstbefriedigung beim Mann. Weibliche Anhänger dieser ideologischen Strömung nennen sich Femstronautinnen, die Männer Fapstronauten. Beide Gruppierungen tabuisieren das lustvolle Handanlegen an sich selbst.

Es gibt zahlreiche Vorurteile und Irrmeinungen. Hier die zentralen wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse über das Liebesleben mit sich selbst:

1. Entspannungsfaktor. Als wissenschaftlich längst erwiesen gilt, dass Masturbation entspannend wirkt.

2. Gesundheitsfaktor. Kritiker wollen noch immer nicht wahrhaben, dass Selbstbefriedigung durch den erwähnten Relax-Effekt gesundheitsfördernd wirkt. Das Herz-Kreislauf-System wird stimuliert, das Immunsystem gestärkt, es wirkt stresslösend und schmerzstillend.

3. Jungbrunnen. Durch die begleitende Hormonausschüttung werden körperliche Verfallserscheinungen verzögert. Man bleibt man länger fit und vital.

4. Kein Zeichen von Narzissmus. Masturbation gehört zur sexuellen Entwicklung und hat nichts mit übertriebener Selbstverliebtheit zu tun.

5. Kein Grund zu Eifersucht oder Selbstzweifeln. Frauen wie Irmgard würden ihrem Mann die Selbstbefriedigung am liebsten verbieten, nach dem Motto: "Wozu brauchst du das? Du hast doch mich." Dass Robert masturbiert, hat aber nichts mit einem Mangelempfinden zu tun und schon gar nicht damit, dass ihm das Liebesleben mit seiner Frau nicht genug ist. Es wirkt sich bei ihm schlichtweg antriebssteigernd und entspannend aus, es sich zwischendurch selbst zu besorgen. Das sei aber kein Ersatz zum partnerschaftlichen Sex, wie er betont. Insofern handelt es sich keineswegs um emotionalen Betrug.

6. Kein Energieräuber. Gegnerinnen und Gegner behaupten, Selbstbefriedigung sei ungesund, kraft-und energieraubend, was längst wissenschaftlich widerlegt worden ist.

7. Vernünftige Dosierung. Wer es übertreibt und die ganze Zeit in Gedanken bei der Selbstbefriedigung ist, hat dann tatsächlich wohl kein oder nur wenig Interesse an Zweisamkeit. Bei einer Überdosis an Masturbation kann eine Störung der Sexualpräferenz dahinterstecken, häufig kombiniert mit übersteigertem Pornokonsum.

8. Gesunde Grenze. Innerhalb einer gesunden Grenze durchaus wohltuend wirkt sich Masturbation, wenn eine Person darauf zwanghaft fixiert ist, nicht mehr förderlich, sondern krankmachend aus. Betroffene sollten nicht zögern, in einer Sexualtherapie den Wurzeln ihres Verhaltens auf den Grund zu gehen, um das toxische Beziehungsmuster mit sich selbst zu durchbrechen. Sobald bei Ihnen oder einer anderen Person dadurch ein Leidensdruck entsteht, ist das nicht mehr im gesunden grünen Bereich.

9. Abstumpfung vermeiden. Es kann zu einer Verrohung führen und somit das Liebesleben eines Menschen beschneiden, wenn man's übertreibt. Sobald Selbstbefriedigung trotz Sex in einer Partnerschaft wachsende Bedeutung hat, sollte man offen darüber reden, damit es den Anstrich von Heimlichkeit und Vertrauensbruch verliert. Dann kann Selbstbefriedigung verstanden und integriert, nicht ausgelagert und abgewertet werden.