Tabakpflanze im Kampf gegen Coronaviren

Forscher der BOKU in Wien nutzen Tabakpflanzen, um Teile von Sars-CoV-2 zu erzeugen. Daraus können Medikamente entstehen. In Australien wird bereits das erste pflanzliche Vakzin getestet.

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Wissenschaft - Tabakpflanze im Kampf gegen Coronaviren © Bild: iStockphoto.com

Ursprünglich arbeitete Richard Strasser mit Insektenzellen. Doch vor einigen Jahren beschloss der Biotechnologe, der an der Wiener Universität für Bodenkultur forscht, auf ein Pflanzenmodell umzusteigen und stieß dabei auf Nicotiana benthamiana. Seither verwendet sein Team diese ursprünglich aus Australien stammende Tabakpflanze für das sogenannte Molecular Farming. Das Ziel der Forscher dabei: Die Pflanzen so zu verändern, dass sie etwa pharmazeutisch wirksame Proteine oder Antikörper produzieren. Nicotiana benthamiana wird weltweit in Laboren eingesetzt. Seit eineinhalb Jahren vor allem auch, um Sars-CoV-2-Impfstoffe und -Medikamente zu entwickeln. Kürzlich gelang der Pharmafirma Medicago gemeinsam mit GlaxoSmithKline ein Durchbruch. Sie präsentierten die Daten der ersten klinischen Versuche mit ihrem Covid-Vakzin, dem ersten pflanzlichen Covid-Impfstoff.

© Matt Observe BIOTECHNOLOGE. Richard Strasser und sein Team arbeiten unter anderem an der Entwicklung eines möglichen Sars-CoV-2-Medikaments

Die Studienteilnehmer erhielten zwei Dosen im Abstand von drei Wochen. Die Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, extreme Müdigkeit und Schmerzen an der Einstichstelle waren leicht bis moderat und traten vor allem nach der zweiten Dosis auf. Erfreulich war die gute Immunantwort der Geimpften und dass deren Körper schützende neutralisierende Antikörper produzierten.

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Sars-Spikeprotein in den Blättern

Richard Strasser und sein Team arbeiten seit Pandemie-Beginn ebenfalls verstärkt mit Teilen von Sars-Cov-2. Woche für Woche setzen die Wissenschaftler gut 50 Nicotiana benthamiana-Pflänzchen an. Fünf Wochen später können deren Blätter infiltriert werden. "Zunächst züchten wir dafür Agrobakterien, die das Gen enthalten, das die Pflanzen später produzieren sollen", erklärt Strasser. Diese Bakterien befallen die Pflanzen, sind aber für Menschen harmlos. Im nächsten Schritt werden die Bakterien mit einer nadellosen Spritze mit Druck in die Blätter gebracht.

© Matt Observe NICOTIANA BENTHAMIANA wird gerne zum Molecular Farming verwendet

"Einige unserer Pflanzen produzieren daraufhin einen Teil des Spikeproteins von Sars-CoV-2, andere den ACE2-Rezeptor", so Strasser. Sars-CoV-2 benötigt die ACE2-Rezeptoren, um an die menschlichen Zellen binden und in weiterer Folge eindringen zu können. Deshalb eignet sich dieser Rezeptor als Ansatzpunkt für ein Medikament.

Nach weiteren vier Tagen schneiden die Forscher die Blätter ab und homogenisieren sie. Danach werden die Proteine aufgereinigt. So liegt der ACE2-Rezeptor schließlich in reiner, löslicher Form vor. "In Virusneutralisationstests konnte die Wirksamkeit dieses in Pflanzen hergestellten Rezeptors gezeigt werden. Er ist in so großer Menge vorhanden, dass er alle Andockstellen blockiert und das Virus nicht mehr in die Zelle eindringen kann", erklärt der Biotechnologe. Sars-CoV-2 kann sich daher im Körper nicht mehr vermehren. Aktuell führt Strasser bereits Gespräche mit Partnern, um diesen Ansatz weiterzuentwickeln.

© Matt Observe INFILTRATION. Spezielle Bakterien, die das gewünschte Gen enthalten, werden mit Druck in die Blätter gebracht

Von der Grundlagenforschung bis zur fertigen Arznei ist allerdings noch ein langer Weg. "Wir arbeiten daran, den Prozess zu verbessern", sagt Strasser. In diesem Bereich läuft auch eine Patentanmeldung. "Wir haben eine Pflanzenlinie entwickelt, die eine zusätzliche Zuckerstruktur an das Protein anhängt. Das verbessert die Faltung der Proteine", erklärt der Forscher. Dadurch ist keine künstliche Verpackung der Proteine notwendig, und sie werden vom menschlichen Körper besser erkannt.

Hoffen auf den Durchbruch

Zu den Vorteilen des Pflanzensystems zählt seine Flexibilität. Es kann schnell an neue virale Proteine angepasst werden. Allerdings stoßen die Forscher immer wieder an Grenzen. So ist die Aufreinigung der großen Menge an Blättern sehr aufwändig, es gibt kaum standardisierte Verfahren dafür.

Noch gibt es sehr wenige Medikamente, die in der Tabakpflanze hergestellt wurden. Zuletzt kam diese Technologie beim letzten großen Ebola-Ausbruch in Afrika zu Einsatz. Strasser: "Mit Hilfe der Pflanzen wurden Antikörper gegen Ebola produziert, die den erkrankten Menschen verabreicht wurden. Das hat die Symptome stark gemildert."

© Matt Observe GEWÄCHSHAUS. Jede Woche werden 50 neue Tabakpflanzen angesetzt. Nach fünf Wochen können damit die Experimente durchgeführt werden

Sars-CoV-2 bezeichnet Richard Strasser für die Wissenschaft "gleichzeitig als Fluch und Segen". Einerseits bekomme die Forschung so viel Aufmerksamkeit wie noch nie, andererseits würden täglich neue Ergebnisse veröffentlicht. "Der Druck ist enorm", weiß Strasser. Der Wissenschaftler hofft darauf, dass einen großen Durchbruch mit der Pflanzentechnologie gelingt. Denn so wird das Potenzial der Tabakpflanze für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen sichtbar.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 25+26/2021.