Die Stunde der Korrespondenten

Christian Wehrschütz ist als Kriegsberichterstatter die populäre Speerspitze einer zunehmend vernachlässigten Spezies: Meinungsvielfalt benötigt als Grundlage Korrespondenten. Medienförderung kann ihre Finanzierung sicherstellen

von Medien & Menschen - Die Stunde der Korrespondenten © Bild: Gleissfoto

Christian Wehrschütz auf allen ORF-Kanälen: Der Korrespondent als Kriegsberichterstatter. Diese Rolle ist dem Milizmajor auf den Leib geschneidert. Schon 2014 wählten ihn dafür seine Kollegen zum "Journalisten des Jahres". Das war ungewöhnlich. Nicht, weil ein Reporter aus Konfliktgebieten gekürt wurde. Das galt im Jahr davor auch Karim El-Gawhari. Doch für einen, der einst bei der FPÖ war, hat diese Auszeichnung doppeltes Gewicht. Sie wirkt als größtmögliche Anerkennung von Unabhängigkeit. Wehrschütz war aber schon 2002 aus der Partei ausgetreten - neun Jahre, bevor er ihr von vielen wieder zugeordnet wurde, weil er sich als ORF-Generaldirektor beworben hatte.

Anlässlich der Preisverleihung bekannte er, dass seine Frau ihn 2014 nur 20 Tage gesehen habe. Das könnte heuer wieder so werden, obwohl er zwei Jahre später dem "Standard" zu einer allfälligen neuerlichen ORF-Kandidatur geantwortet hatte: "Nur, wenn es eine Wahl zum ,Opa des Jahres' gibt, denn ich bin seit vier Monaten Großvater." Doch statt auf dem langsamem Rückzug ins Private befindet er sich heute mehr denn je in der journalistischen Offensive. Ein Glücksfall für den ORF.

Wehrschütz ist 60, ein Jahr jünger als Ernst Gelegs, mit dem gemeinsam er nahezu den gesamten südosteuropäischen Raum diesseits von Russland abdeckt. Insgesamt verfügt der ORF über 25 Korrespondenten in 16 Auslandsbüros. Ihr Koordinator Roland Adrowitzer wird nächste Woche 65. Josef Manola, der von der iberischen Halbinsel berichtet, ist noch ein Jahr älter. Gawhari, der seit dem Arabischen Frühling geradezu Popstarstatus genießt, Josef Dollinger in China und die Schweiz-Grenzgängerin Marion Flatz-Mäser werden nächstes Jahr 60. Mehr als die Hälfte des - je jünger, desto weiblicheren (14 : 11) - Korrespondenten-Korps hat bereits den 50. Geburtstag gefeiert. Dieser Altersschnitt ist eine Stärke. Denn Erfahrung hilft, Ereignisse schnell richtig einzuordnen.

Die Personalstruktur birgt aber eine Gefahr der Nicht-Nachbesetzung: ORF-General Roland Weißmann will 200 Millionen Euro einsparen. Korrespondenten sind ein Kostenfaktor. Private Medien können sich das immer weniger leisten. Der Trend geht zu gemeinsamen Berichterstattern und anlassbezogenen Einsätzen: Einige Tageszeitungen haben nun eigene Redakteure in die Ukraine geschickt.

Wie wichtig die dadurch erzielte Vielfalt an österreichischen Sichtweisen ist, zeigt die Diskussion über Bundesheer-Budget, Neutralität und Nato-Beitritt. Viele aktuelle Grundlagen für den Austausch der Argumente kommen von Korrespondenten mit unterschiedlichen Perspektiven. Hier nur auf eine Nachrichten-Agentur zurückzugreifen - und sei es die heimische APA -, würde die Basis der Debatte verengen. Deshalb sind für den ORF die Auslandsbüros unverzichtbar. Hier darf nicht gespart werden.

Da dies einerseits demokratiepolitisch notwendig ist, es zum anderen aber öffentlich finanziert wird, sollte daraus keine Wettbewerbsverzerrung entstehen. Das wiederum heißt, dass die Neukonzeption von Presse- und Medienförderung die Finanzierung von Korrespondenten beinhalten muss. Weiter gedacht, bedeutet dies nicht nur die Auslands-, sondern auch die Österreich-Berichterstattung. Das Gros der in Wien ansässigen Medien hat zu wenig journalistische Kompetenz abseits der Ostregion. Für andernorts ansässige Medien ist es schwierig, wirklich eigene Berichterstattung aus Wien und anderen Bundesländern zu finanzieren. Genau diese Vielfalt wäre wichtig. So, wie wir uns aussuchen können, ob wir Wehrschütz, seinen österreichischen Zeitungs- oder deutschen TV-Kollegen am meisten trauen. Die Info-Schlacht zum Krieg zeigt, wie wichtig Medienvielfalt für die Meinungsbildung einer freien Gesellschaft ist. Sie mag teuer sein. Doch ihr Verlust käme uns teuer zu stehen.