Steuerreform: "Es
ist noch einiges offen"

Wirtschaftsforscherin Margit Schratzenstaller macht sich anlässlich der Steuerreform für echte Strukturmaßnahmen stark. Sie kann Umwelt-und Vermögenssteuern sowie einem Zugriff auf das 13. und 14. Monatsgehalt viel abgewinnen.

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Budget - Steuerreform: "Es
ist noch einiges offen"

Beim Thema Steuerreform denken die Menschen an fiskalische Entlastungen, weniger an wirtschaftspolitische Steuerungseffekte. Ist das eine eindimensionale Sichtweise?
Durchaus. Bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen sind Steuern zwar nicht der einzige Hebel, aber sicher ein sehr wichtiger. Etwa wenn es um Ökologisierung und Klimawende, Digitalisierung, Beschäftigung oder Gleichstellung der Frauen geht. Nehmen Sie nur die Klimapolitik: Da geht es beispielsweise um steuerliche Regelungen wie das Dieselprivileg, die steuerliche Bevorzugung des Flugbenzins oder die großzügige, zu komplexe und zu wenig ökologisch fokussierte Pendlerförderung. Solche klimapolitisch schädlichen Subventionen sollten eingeschränkt oder abgeschafft werden, um die Klimaziele zu erreichen. Gerade Pendler sind ein politisch heißes Eisen, an dem sich alle Parteien lieber nicht die Finger verbrennen.

Die Pendlerproblematik erfordert natürlich das Anbieten von Alternativen. Wenn man will, dass Pendler auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, braucht es ein entsprechendes Angebot. Sonst haben steuerliche Maßnahmen nur einen begrenzten Lenkungseffekt. Da zeigen sich die Grenzen steuerpolitischer Maßnahmen. Die Politik kann versuchen, mit Steuern über den Preis des Autofahrens zu steuern, es braucht aber auch die Möglichkeit zum Umsteigen -und damit den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Zum anderen können steuerliche Anreize für umweltfreundliches Verhalten zu einer Ökologisierung des Abgabensystems beitragen -zum Beispiel im Rahmen von Steuerbegünstigungen für thermische Sanierung oder umweltfreundliche Antriebssysteme wie Elektrofahrzeuge. Diesen Ansatz verfolgt die Bundesregierung in der geplanten Steuerreform.

»Höhere Einnahmen aus Umweltsteuern würden den Spielraum für eine Senkung der arbeitsbezogenen Abgaben vergrößern«

Und Umweltsteuern?
Mit denen lassen sich Lenkungseffekte erreichen, indem umweltschädliches Verhalten mit Steuern verteuert wird. Diese sollten jedenfalls stärker genutzt werden. Sie erbringen kurz-und mittelfristig zusätzliche Einnahmen, die dazu verwendet werden könnten, andere Abgaben zu senken. Womit wir bei einem anderen großen Ungleichgewicht des österreichischen Abgabensystems wären: bei der sehr hohen Besteuerung des Faktors Arbeit. Höhere Einnahmen aus Umweltsteuern würden den Spielraum für eine Senkung der arbeitsbezogenen Abgaben vergrößern. Neben der Lenkungswirkung ergäbe sich auch ein Wachstums-und Beschäftigungsplus - somit eine doppelte Dividende nach dem Motto "Tax what you burn, not what you earn". Länder wie Schweden sind so einen Weg schon gegangen. Auch in Deutschland wird darüber gerade wieder diskutiert.

Was halten Sie von Vermögenssteuern? Gibt es so etwas wie Steuergerechtigkeit?
Über Letzteres kann man lange diskutieren. Vermögensbezogene Steuern sind aus ökonomischer Sicht jedenfalls interessant. Es gibt eine Reihe neuerer internationaler Studien, die zeigen, dass es auch aus wirtschaftlicher Perspektive gut ist, wenn die Einkommens-und Vermögensungleichheit nicht zu groß ist. Wenn zum Beispiel bestimmte Bevölkerungsschichten von Möglichkeiten ausgeschlossen werden -etwa beim Zugang zu Bildung -, bedeutet das ein ungenutztes Potenzial an Humanressourcen und damit ungenutzte Wachstumschancen. Oder wenn sich für einen Teil der Bevölkerung die Aufstiegschancen als gering darstellen, kann das eine geringere Leistungsbereitschaft bedeuten. Von Unzufriedenheit und möglichen sozialen Spannungen nicht zu reden.

Also Steuern mit Steuern?
Es braucht immer viele Ansatzpunkte, um bestimmte Probleme anzugehen; aber auch das Steuersystem hat hier eine ganz wichtige Funktion. Die Verteilungsdiskussion ist ja auf europäischer Ebene zuletzt stärker auf den Radar gekommen. Es gibt ja generell einen Trend zu sinkenden Spitzensteuersätzen und geringeren Steuern auf Vermögen und Kapitaleinkommen. Auch OECD und IWF weisen auf die Problematik der Einkommens-und Vermögensungleichheit hin. Nur politisch ist da bisher wenig passiert. In Österreich hat ja selbst die SPÖ offenbar keine einheitliche Linie, was Vermögenssteuern betrifft. Ich spreche lieber von vermögensbezogenen Steuern. Vermögen und hohe Einkommen besteuern kann man ja mit unterschiedlichen Instrumenten.

Eine klassische Vermögenssteuer gibt es in der EU derzeit eigentlich nirgendwo. Frankreich hat sie 2018 stark eingeschränkt; sie betrifft dort nur noch Immobilien. In Spanien wurde die Vermögenssteuer 2008 abgeschafft und 2011 aus budgetärer Not heraus wieder befristet eingeführt -und wird seitdem jedes Jahr erneut verlängert. Nur in Norwegen und in der Schweiz gibt es eine allgemeine Vermögenssteuer. Mit der zunehmenden Mobilität von Finanzvermögen ist so eine Steuer im nationalen Alleingang nur schwierig durchzusetzen. Die internationale Kooperation in Steuerfragen hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, aber sie ist noch immer unzureichend. Die Grund-und die Erbschaftssteuer sind auch nach Ansicht der internationalen Organisationen zielführendere Alternativen.

Wie beurteilen Sie die neue Digitalsteuer in Österreich?
Auch wenn der Ansatz aus steuersystematischer Sicht sinnvoll ist, ist sie eigentlich nur eine Ergänzung der vorhandenen Werbeabgabe. Mit der in Europa diskutierten umsatzbezogenen Digitalsteuer für Onlinegroßkonzerne hat sie nichts zu tun. Die Drittländer-und Steueroasenproblematik bleibt zwar bestehen, aber Europa könnte wenigstens einmal die internationale Debatte forcieren.

»Längerfristig wird die Digitalisierung die Arbeitswelt strukturell verändern«

Angenommen, man wollte das Steuersystem völlig neu aufstellen: Wo sollte angesetzt werden?
Eine wichtige Schraube, an der man für ein rationaleres System drehen müsste, ist die Entlastung des Faktors Arbeit, vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich. Daraus würden positive Beschäftigungs- und Wachstumseffekte resultieren und die bessere Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt gefördert. Längerfristig wird die Digitalisierung die Arbeitswelt strukturell verändern. Das wird auch die Steuerbasis beeinflussen. Es stellt sich also die Frage, wie man langfristig das Abgabensystem zukunftsfähig gestaltet, um ausreichend Einnahmen zu erzielen, um die Ausgaben finanzieren zu können.

Die Abgabenquote in Österreich sorgt für Diskurs. Ist sie zu hoch?
Per se nicht. Ihre Höhe ist aber einerseits deshalb problematisch, weil wir Ineffizienzen auf der Ausgabenseite haben - zum Beispiel im Föderalismus, im Gesundheitswesen oder im Fördersystem. Andererseits ist die Struktur unbefriedigend, weshalb auch die EU-Kommission schon seit Längerem empfiehlt, die Belastung vom Faktor Arbeit hin zur Umwelt zu verschieben - und auch zu den Vermögen.

Sollten 13. und 14. Monatsgehalt aus ökonomischer Sicht normal besteuert werden?
Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Es wäre dadurch die gesamte Bemessungsgrundlage breiter, wodurch die nominellen Steuersätze im Gegenzug gesenkt werden könnten. Für den Einzelnen würde sich im Endeffekt die effektive Belastung nicht ändern. Die derzeitige Regelung ist ja sehr komplex: Unselbstständige zahlen bis zu einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 150.000 Euro nicht 50 Prozent Spitzensteuersatz, sondern wegen der Begünstigung des 13. und 14. Monatsgehalts nur 43,7 Prozent. Oberhalb dieser Einkommensgrenze sorgt der Solidarbeitrag dafür, dass die Begünstigung schrittweise eingeschränkt wird. Der Spitzensteuersatz von 50 Prozent greift daher erst ab einem Jahreseinkommen von 500.000 Euro. Eine Integration der Begünstigung in den Tarif würde geringere nominelle Steuersätze ermöglichen und damit die Optik auch in den internationalen Vergleichen deutlich verbessern.

Politisch wird das mit Blick auf das Wahlvolk aber kaum durchsetzbar sein...
Ja, rational ist es jedoch nicht nachvollziehbar.

Wird Steuerhinterziehung nach wie vor als Kavaliersdelikt betrachtet oder hat sich in Sachen Steuermoral allgemein etwas geändert?
In den vergangenen zehn Jahren hat da schon ein Umdenken eingesetzt. Nach dem Motto: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Das hat auch mit den Steuerminimierungspraktiken großer Konzerne zu tun und der Erkenntnis, dass es notwendig ist, Steuerschlupflöcher für diese zu schließen. Es ist für die Steuermoral schon problematisch, wenn sich gewisse Gruppen ihrer Steuerpflicht systematisch entziehen -auch, wenn das legal ist. Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen dagegen etwas getan werden kann. Etwa auf europäischer Ebene die Einführung einer gemeinsamen Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage, die mithilfe einer Formel auf die Länder verteilt wird, in denen ein internationales Unternehmen tätig ist. Oder die länderweise Berichterstattung über Gewinne und gezahlte Steuern von Konzernen in einzelnen Ländern. Eine Lösung des Problems erfordert allerdings ein supranationales Vorgehen.

Spielt der europäische Steuerwettbewerb in der Standortpolitik eine Rolle?
Im Gegensatz zur Gewinnverschiebung ist die EU-Kommission der Ansicht, dass der Steuerwettbewerb über die Körperschaftssteuersätze grundsätzlich effizienzfördernd ist. Man wird sich aber auch hier etwas überlegen müssen, weil der Unterbietungswettbewerb seit vier, fünf Jahren wieder Fahrt aufgenommen hat und die Körperschaftssteuersätze immer niedriger werden. Ungarn hat den Köst-Satz halbiert und auch das Vereinigte Königreich hat angekündigt, ihn weiter zu senken. Die neuen EU-Länder kompensieren so auch gewisse strukturelle Probleme. Da sollten im Rahmen der EU-Strukturpolitik Paketlösungen überlegt werden: Etwa eine gezieltere Förderung der Standortbedingungen in den neuen EU-Ländern im Gegenzug für eine Mindestbesteuerung.

»Man sollte vom Silodenken wegkommen und die Systeme stärker verzahnen«

Braucht man eine einheitliche EU-Fiskalpolitik?
Die wäre sicher nötig. Man sollte vom Silodenken wegkommen und die Systeme stärker verzahnen.

Zurück zu Österreich und zum Nulldefizit
Die Regierung nutzt jetzt den Rückenwind durch die gute Konjunktur und deren positive Wirkungen auf die Steuereinnahmen, um die sich daraus ergebenden Überschüsse zur Senkung der Abgaben zu verwenden -und das laut Plan ohne zusätzliche Defizite. Das ist grundsätzlich begrüßenswert. Bei der geplanten Verringerung der Schuldenquote auf unter 60 Prozent bis 2023 helfen auch die Zinssituation und die besser als erwartet gelaufene Verwertung der Altlasten der Bankenpakete wie der Heta. Grundsätzlich befindet sich die Budgetpolitik im Spannungsfeld unterschiedlicher Anforderungen: Erstens die Abgaben zu senken, zweitens den Haushalt stabil zu halten und drittens Investitionen in die Zukunft - wie in Bildung oder Ausbau der Verkehrsinfrastruktur -zu stemmen. Es ist die große Herausforderung, das in Einklang zu bringen.

Was kann dazu beitragen?
Die großen Strukturreformen wären besonders wichtig. Die angesprochenen Ineffizienzen in öffentliche Verwaltung, Fördersystem und Föderalismus. Dass hier auch angesetzt wird, davon habe ich noch nicht viel bemerkt. Der jetzige Finanzausgleich mit den Ländern läuft 2021 aus; es wäre höchst an der Zeit, sich über eine umfassende Föderalismusreform Gedanken zu machen.

Ist die aktuelle Steuerreform der große Wurf?
Volumensmäßig sollte es bis 2022 zumindest einer sein. Ansonsten ist das noch nicht abschließend zu beurteilen, da noch einiges offen ist. Angesichts der budgetären Spielräume ist die Umsetzung in drei Stufen vernünftig. An einigen Schrauben, die das Abgabensystem zukunftsfähig machen, wie eine langfristig angelegte Ökologisierung, bestimmte vermögensbezogene Steuern und die vielen Ausnahmeregelungen bei der Einkommens-und Umsatzsteuer, wird aber nur ein bisschen oder gar nicht gedreht. Da muss man warten, was noch kommt.

© News/Herrgott

Zur Person: Margit Schratzenstaller geboren in Landshut. Nach dem Abitur Ausbildung zur Industriekauffrau, anschließend Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Gießen. Seit 2003 ist sie am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung tätig, von 2005 bis 2013 war sie im Staatsschuldenausschuss der Österreichischen Nationalbank.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (18/2019) erschienen!