Woran es beim Sterbehilfe-Gesetzesentwurf hakt

Bis Jahresende wird Sterbehilfe legal. Der vorliege Gesetzesentwurf lässt jedoch vieles offen. Und ist laut Kritikern stellenweise gefährlich. Dies deshalb, weil sich der Staat immer noch den Religionen verpflichtet fühle.

von Woran es beim Sterbehilfe-Gesetzesentwurf hakt © Bild: Getty Images

"Das, was wir hier erleben, ist die Ernte von 600 Jahren Habsburger und der Gegenreformation." Gerhard Engelmayer klingt nicht böse, wenn er das sagt. Aber ein klein wenig Frustration kann man in seinen Tonfall schon interpretieren, wenn er auf die Frage nach seiner Meinung zum geplanten Sterbehilfe-Gesetz antwortet.

Engelmayer ist Naturwissenschaftler, Chemiker, um genau zu sein. Vor allem aber ist er Präsident des Humanistischen Verbands Österreich (HVÖ), der einst Freidenkerbund hieß. Seit Gründung der Bewegung im Frankreich des 17. Jahrhunderts setzen sich die Freidenker dafür ein, dass als Grundlage für Entscheidungen wissenschaftliche Evidenz und nicht die gottgewollte Ordnung dient.

Nur nicht anecken

Eine ebensolche Ordnung scheint nun Einfluss auf eine Entscheidung zum Thema Beihilfe zum Suizid zu haben. Nach jahrelangen Ausweichmanövern zwang der Verfassungsgerichtshof im Vorjahr die Regierung dazu, die Assistenz zur Selbsttötung bis zum Jahresbeginn 2022 straffrei zu stellen. Inzwischen liegt ein Gesetzesentwurf des Justizministeriums vor. Die öffentliche Begutachtung endete diese Woche. Wer den Text liest, der wird sich vielleicht an die Worte von HVÖ-Präsident Engelmayer erinnern. Denn das Gesetz soll allem Anschein nach vor allem eines: den Glaubensgemeinschaften, insbesondere der katholischen, nicht zu viel Kopfzerbrechen bereiten. Kritiker wie Engelmayer sagen deshalb: Es sei gut, dass das Gesetz überhaupt komme. Es wäre jedoch besser, hätte das Justizministerium nicht versucht, es allen beteiligten Interessenvertretungen gleichzeitig recht zu machen.

Kirchlicher Überhang

Und genau hier setzt die Kritik von Engelmayer oder Gruppen wie der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) an: Basis für das Gesetz war ein mehrtägiger, vom Ministerium organisierter Meinungsaustausch von Institutionen und Vereinen, der Ende April stattfand. Das Ressort von Ministerin Alma Zadić sagt, dass man um eine "ausgewogene Zusammensetzung" der Teilnehmer bemüht war. Dennoch: Blickt man in die Teilnehmerliste, fällt auf, dass von 24 Einladungen ein Drittel an Glaubensgemeinschaften und ihnen nahestehende Institutionen ging. Von der katholischen zur evangelischen Kirche. Von der Caritas zur Diakonie. Und mehr. Die übrigen Teilnehmer verteilten sich auf Vertreter von anderen Ministerien, Rechtsanwälte, Ärzte, Notare, Suizidprävention, Sterbehilfe-Aktivisten und: die Bioethikkommission.

Kritik an Höchstrichtern

Die stark religiöse Gewichtung der Teilnehmer ist bedeutend, weil Österreichs Kirchen Sterbehilfe grundsätzlich ablehnen. So kritisiert die katholische Bischofskonferenz ausdrücklich die Entscheidung des VfGH für mehr Selbstbestimmung und bezeichnet sie als "kulturellen Dammbruch". Peter Schipka, Generalsekretär der Bischofskonferenz, stellt fest, dass in Österreich ein "gesellschaftlicher und politischer Konsens bestehe, Leben bis zum natürlichen Ende zu schützen". Dies trotz Umfragen, wonach sich 80 Prozent der Bürger ab 16 Jahren für Sterbehilfe aussprechen. Dennoch: Nach Ansicht der Bischöfe schaffe das VfGH-Erkenntnis nicht mehr, sondern weniger Freiheit. Dies deshalb, weil Schwerkranke und Alte künftig dem Druck ausgesetzt sein könnten, ihr Leben vorzeitig zu beenden.

»Manche übergeben sich. Es ist unklar, ob eine sichere Dosis im Körper verblieb«

Neben den Kirchen sahen in dieser Arbeitsgruppe vor allem die Vertreter der Ärzte die Beihilfe zum Suizid kritisch, und so kam es, dass im Gesetzesentwurf einiges offen blieb.

Apotheker entdecken Mängel

So brauchte es erst die im Frühling zunächst gar nicht eingeladenen Vertreter der Apotheker, um festzustellen, dass diese das tödliche Präparat künftig ohne Rezept und individuelle Dosierung durch einen Arzt an Sterbewillige ausgeben sollen. Oder dass Personen, die aus körperlichen Gründen das Glas mit der tödlichen Lösung gar nicht mehr zum Mund führen und trinken können, faktisch außen vor blieben.

Alles Mängel, die für Sterbehilfe-Befürworter darauf hindeuten, dass der Einfluss von Kirchen und Ärzten groß war. Mängel, die das Ministerium jedoch beheben will.

Passend dazu:

Doch da ist noch mehr. Andreas Eichtinger, Jurist bei der Apothekerkammer, beschreibt die Sache mit den nüchternen Worten eines Rechtskundigen. "Nicht reglementiert ist die Begleitung des Sterbewilligen beim Suizid. Offenbar will man diesen Prozess möglichst im privaten Bereich belassen. Wir sprechen uns für gesicherte Rahmenbedingungen aus."

Was das für den Suizidwilligen in den letzten Stunden des Lebens wirklich bedeutet, hat Erika Preisig vielfach selbst miterlebt. Die Ärztin aus dem schweizerischen Basel bietet unheilbar Kranken aus der ganzen Welt seit vielen Jahren ihre Begleitung an. Sie sagt, dass die meisten betroffenen Personen vor der Selbsttötung hochgradig nervös sind und sich, um keine Fehler zu begehen, professionelle Begleitung wünschen.

Wartefrist als Gefahr?

Das Problem, das Preisig sieht, ergibt sich nicht nur aus der Nichtregulierung des Vorgangs der Selbsttötung. Bevor man in Österreich künftig ein Recht auf Hilfe beim Suizid hat, müssen nach der Errichtung der Sterbeverfügung inklusive Aufklärung durch zwei Ärzte drei Monate vergehen (für seltene Fälle gibt es Ausnahmen). Am Tag des Todes sei das Gelernte jedoch nicht mehr abrufbar. Aus Oregon, USA, wisse man, dass das zu viel Leid führen könne. Preisig sagt: "Manche vergessen, das nötige Antibrechmittel einzunehmen, übergeben sich. Mit der Folge, dass anschließend nicht mehr klar ist, ob eine sichere Dosis im Körper blieb." Deshalb seien in der Schweiz stets Ärzte oder andere geschulte Personen -zum Beispiel von Sterbehilfe-Vereinen - vor Ort.

Probleme für bestimmte Gäste

Und noch etwas ließ das Justizministerium offen: Was tun mit Personen, die zwar unheilbar krank und damit formal berechtigt sind, aber in einem der vielen konfessionellen Pflegehäuser oder Hospize wohnen?

Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner kündigte an, Sterbehilfe "in kirchlichen Häusern nicht zuzulassen". Das scheint legitim, weil auch Ärzte und Apotheker nicht zur Suizidhilfe verpflichtet werden können. Andererseits: Für HVÖ- Präsident Engelmayer kommt die Ankündigung für viele Personen einer Aushebelung des Gesetzes gleich. "Und das, obwohl zahlreiche konfessionelle Heimträger mit öffentlichem Geld finanziert werden." Von der festgeschriebenen Trennung von Kirche und Staat, so Engelmayer, sei man noch weit entfernt.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 46/2021.