Was die Sterbehilfe mit unserer Gesellschaft macht

Ab 2022 legalisiert ein Gesetz die Sterbehilfe. Genauer gesagt: die Assistenz zum Suizid. Aber was macht das mit unserer Gesellschaft? Hier sprechen ein Arzt, der künftig letzte Hilfe leistet, eine Tochter, die ihren Vater in seinem letzten Wunsch unterstützte, und ein Schwerkranker, der sein Ende nun selbst bestimmt.

von Was die Sterbehilfe mit unserer Gesellschaft macht © Bild: Matt Observe

Es scheint, als habe sich die Regierung bei der gesetzlichen Regelung der letzten Dinge, der Dramatik der Aufgabe entsprechend, bis zum allerletzten Moment Zeit gelassen: Das Erkenntnis mit der Kennzahl G 139/2019 des Verfassungsgerichtshofes stammt immerhin schon vom 11. Dezember 2020 und sieht eine Umsetzungsfrist bis zum 31. Dezember 2021 vor. Am vergangenen Samstag schließlich präsentierten Justizministerin Alma Zadic, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Sozialminister Wolfgang Mückstein in wiederbelebter koalitionärer Eintracht ihren Entwurf zum sogenannten Sterbeverfügungsgesetz. Und das bedeutet: Ab Jänner 2022 ist es in Österreich erlaubt, schwerkranken Menschen beim Freitod zu assistieren.

Gerade einmal drei Wochen beträgt nun die Begutachtungsfrist für das neue Regelwerk, für die Diakonie ist das angesichts des hochbrisanten Inhalts "skandalös" kurz, und Hermann Glettler, Diözsanbischof der Diözese Innsbruck, nimmt die Kirche und deren Spitals- und Pflegeinstitutionen gleich noch vor der anstehenden Neuvermessung des Todes unmissverständlich aus dem Spiel: "Diesen letzten Schritt einer Beihilfe zur Selbsttötung gibt es in unseren katholischen Häusern verbindlich nicht."

Ein behutsames Wording

Und die Gegenseite in diesem gesellschaftspolitischen Diskurs, in dem nichts weniger verhandelt wird als die Frage: Wer bestimmt, wie lange das Leben eines Menschen einen Sinn hat? Gott oder andere höhere Mächte, die Ressourcen und Möglichkeiten der lebensverlängernden Medizin oder doch der betroffene Mensch selbst? Die Gegenseite ist alles andere als unzufrieden. Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende, kurz ÖGHL, vor das Höchstgericht zog und dadurch erst zu dessen Erkenntnis bewegte, beteuert nun: "Ich bin positiv überrascht über den Entwurf, auch wenn jetzt noch wesentliche Details zu klären sind."

Passend dazu:

Wie sehr die Regierung, quasi präventiv, um Glättung der Wogen bemüht ist, vermeinen Kenner der Materie schon am Wording ablesen zu können: Statt von einem "Sterbehilfegesetz" wird ausschließlich von einem "Sterbeverfügungsgesetz" gesprochen - ganz bewusst suche man da die semantische Nähe zur "Patientenverfügung", an die sich konservative Kreise zähneknirschend, aber eben doch gewöhnten.

Und tatsächlich ist es auch eine Art Verfügung, namentlich "Sterbevefügung", die der neuen, tödlichen Freiheit zugrunde liegt: Wer "dauerhaft und unheilbar krank" und volljährig ist, muss seinen Sterbewunsch künftig mit zwei Ärzten abklären, idealerweise besteht das Duo aus dem Hausarzt oder der Hausärztin und einem Palliativmediziner oder einer Palliativmedizinerin. Sollten sich trotz zweier ärztlicher Atteste Unklarheiten hinsichtlich der "Erklärungs- und Geschäftsfähigkeit" des oder der Sterbewilligen ergeben, ist eine psychologische oder psychiatrische Drittmeinung einzuholen. Nach einer Frist von drei Monaten, in Extremfällen aber minimal zwei Wochen, wird dann eine notarielle Verfügung errichtet. "Damit besteht Rechtssicherheit für alle Betroffenen -nämlich sowohl die Kranken als auch deren Angehörige, die beim Suizid assistieren", sagt Justizministerin Zadic.

Das Glas, die Infusion

Worin diese "Assistenz" aber nun ganz konkret bestehen soll: in der Besorgung des letalen Betäubungsmittels in jeder Apotheke, die das freiwillig anbietet. Und in der Gesellschaft, die dem Sterbenden geleistet wird, während er das Glas mit dem aufgelösten Medikament - selbst - zum Mund führt. Sollte die Kraft nicht mehr ausreichen, das Glas selbst zu heben, soll es auch die Möglichkeit einer intravenösen Verabreichung geben, wobei die Infusion vom Sterbenden zumindest durch eine minimale Handbewegung selbst gestartet werden muss. Alles andere nämlich wäre aktive Sterbehilfe, und die ist und bleibt verboten.

Sogenannte Sterbehilfevereine, wie sie in der Schweiz schon seit Jahrzehnten bestehen, sind in Österreich künftig nicht verboten -solange der assistierte Suizid nicht offensiv beworben und vermarktet wird. "Wir wollen die Menschen auf Vereinsbasis in ihrem letzten Wunsch unterstützen", sagt etwa ÖGHL-Sprecher Wolfgang Obermüller. "Hier geht es um die Durchsetzung von Menschenrechten, ganz sicher nicht um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle."

MARCO HOFFMANN

Der Arzt, der beim Freitod helfen will

Im Grunde sei es nicht mehr als ein gezielt eingeleitetes Einschlafen, ein sanftes Hinüberdämmern, sagt Marco Hoffmann. "Und irgendwann, wenn man schon längst nichts mehr spürt, hört man ganz einfach zu atmen auf", erklärt der Anästhesist und Arbeitsmediziner, der gemeinsam mit seiner Frau in Wien eine allgemeinmedizinische Praxis betreibt. Im Grunde, sagt der 66-jährige Hoffmann, der auf eine Jahrzehnte lange Karriere an Krankenhäusern zurückblickt, sei das eine vergleichsweise angenehme Art, zu sterben. "Wenn man das so sagen darf." Und ab kommendem Jänner darf man das.

Natrium-Pentobarbital nennt sich das entsprechende Präparat, das flüssig verabreicht werden kann und das man so einfach wie ein Wasserglas zum Mund führt und Schluck für Schluck leert. In der Regel wird dazu noch ein Prokinetikum, also eine gegen Übelkeit wirkende Arznei, gereicht: So also darf man sich die Beihilfe zum Suizid, die ab kommendem Jahr erlaubt ist, in der Praxis vorstellen.

© Matt Observe Arzt Marco Hoffmann vor beziehungsvollem Hintergrund - ein Bild mit Versen aus Dantes "Göttlicher Komödie"

Aber wenn die Unterstützung beim Freitod erlaubt ist - wer macht dann freiwillig die Unterstützerin, den Unterstützer? "Ich halte diese Möglichkeit unter klaren Rahmenbedingungen für richtig und wichtig - deswegen werde ich als Arzt in solchen Fällen künftig meine Hilfe anbieten", sagt Marco Hoffmann. Konkret heißt das: Wenn allen gesetzlichen Notwendigkeiten im Vorfeld Genüge getan wurde, kommt Hoffmann zu seinen Patientinnen und Patienten nach Hause oder an deren Krankenbett, um ihnen in den letzten Stunden und Minuten beizustehen. "Als Hausarzt kenne ich die Menschen im Quer-und Längsschnitt. Gut genug, um ihre Krankengeschichten richtig einzuschätzen -aber auch zu bemerken, falls da im Hintergrund irgendwer in Erwartung eines Erbes Druck machen würde."

Obskure Personen mit Spritze

Man stelle sich, sagt Hoffmann, Mediziner, die assistierten Suizid befürworten, stets wie irgendwelche obskuren Gestalten vor, die permanent mit einer vermeintlichen Erlösungsspritze in der Hand durch die Gegend rennen. Doch dieses Klischee hält er für völlig unzutreffend. Vielmehr gehe es darum, den palliativen Charakter der Medizin nicht gänzlich hinter dem kurativen verschwinden zu lassen. "Ich fürchte, dass es noch immer viele Ärztinnen und Ärzte gibt, die den Tod als den großen Feind betrachten, und das auch noch in jenen Phasen, in denen sich die Dinge nun einmal ihrem Ende zuneigen."

»Irgendwann, wenn man schon längst nichts mehr spürt, hört man einfach auf zu atmen«

Er selbst könne sich noch schmerzlich gut daran erinnern, wie sein eigener Vater in der Mitte der Siebzigerjahre an einer Art chronischer Bronchitis zugrunde ging: Der damalige Intensivpatient, sagt sein Sohn, habe gespürt, dass da keine Verbesserung mehr eintreten würde. "Und dann hat er einfach nicht mehr wollen - und ich habe ihn verstanden", sagt Hoffmann. Und dieses Verständnis, das möchte er künftig auch in seinem Job als Arzt weitergeben.

ESTHER KRUIKMEIJER

Die Tochter, die den Vater gehen ließ

Geboren und aufgewachsen in Den Haag, Niederlande, lebt die Sozialarbeiterin Esther Kruikmeijer bereits seit gut eineinhalb Jahrzehnten in Wien. In ihrer alten Heimat ist der assistierte Suizid, ja sogar die aktive Sterbehilfe schon seit 2002 legal. "Euthanasiegesetz" nennt man das dort, ohne dass es wie in Österreich oder Deutschland die zeithistorische Konnotation zwingend zum Unwort macht.

Ihr eigener, schwerkranker Vater sei in bestem Einvernehmen mit sich selbst und seiner Umwelt -auch mit ihr, seiner Tochter -gegangen, als er die Zeit für gekommen hielt. Und genau so will das die heute 45-jährige Frau, bei der vor zwei Jahren Brustkrebs festgestellt wurde, irgendwann auch selbst halten. Aber der Reihe nach.

© Matt Observe Esther Kruikmeijer telefonierte mit ihrem Vater noch um 15 Uhr, wünschte ihm "eine gute Reise". Um 16 Uhr war er tot

Ein echter Weltenbummler und Schwerenöter sei Tobias, ihr Vater, gewesen. Keiner, den es lange bei ein und derselben Frau hielt. "Es hat ihm die größte Freude bereiten, Damen zu umwerben und zu verwöhnen", erzählt Esther. Doch plötzlich knickte der erfolgreiche Unternehmer immer wieder aus unerklärlichen Gründen in den Knien ein. Als er gerade 50 war und soeben zum zweiten Mal verheiratet, bekam er dann die zugrunde liegende Diagnose nachgereicht: Multiple Sklerose. Da, sagt Esther, habe die neue Ehefrau raschest die Scheidung eingereicht. Und auch er wollte mittelfristig einfach nur noch weg.

Unzumutbare Erniedrigung

"Als er dann einen Rollstuhl bekommen sollte, begann er, seine Krankheit als unerträgliche Erniedrigung, als echte Zumutung zu betrachten - er war zu stolz, als dass er sich in der Öffentlichkeit schwach und hilfsbedürftig gezeigt hätte." Als Erstes, sagt Esther, sei mit dem Autofahren Schluss gewesen, später wegen massiv eingeschränkter Sehfähigkeit auch mit dem Lesen und Fernsehen. Und zu dem Zeitpunkt, ab dem er auf dauerhafte Hilfe angewiesen war, beschloss er, zu sterben.

"Er fragte mich noch, ob ich seine Entscheidung verstehe", erinnert sich Esther. Wie "in sich zusammengefallen" habe er in diesen Tagen gewirkt, gefühlt "um mindestens zehn Zentimeter kleiner" als normal, einfach nur noch "ein Häuflein Elend". Und so habe sie ganz klar und ehrlich mit "Ja" geantwortet. Nur als Begleiterin dabei zu sein, das lehnte sie ab. "Ich hatte mir das damals einfach nicht zugetraut, und das verstand er auch sofort."

»Er betrachtete seine Krankheit als unerträgliche Erniedrigung, als echte Zumutung«

Das Todesdatum von Tobias Kruikmeijer war der 27. Mai 2013. Festgelegt drei Monate zuvor, nach einem ähnlichen Fristenlauf, wie ihn nun auch der österreichische Gesetzesentwurf vorsieht. Gestorben ist Esthers Vater an einem Montag. Doch am Sonntag davor war noch: Party.

Seine engsten Weggefährten, darunter auch seinen Bruder, hatte er noch ein letztes Mal um sich geschart, es sei viel gelacht worden und jede Menge getrunken. "Er wollte noch einmal das Leben feiern", sagt seine Tochter. Tags darauf, um 16 Uhr, ist er dann plamäßig verstorben.

Das letzte Telefonat

Eine Stunde zuvor, um 15 Uhr, hat Esther noch ein Mal mit ihrem Vater telefoniert. Erst habe er ganz leise gesprochen, erzählt, wie nett der letzte Abend, sein letzter Abend, gewesen sei. Dann hätten sie beide ein bisschen geweint. Und dann habe er irgendwann gesagt: "Esti, ich werde jetzt einen langen, wunderschönen Urlaub machen." Und sie habe geantwortet: "Ich wünsche dir eine gute Reise." Dann legten sie auf, und um Punkt 16 Uhr öffnete Esther auf Wunsch des Vaters eine Flasche Wein.

In Österreich, sagt Esther Kruikmeijer, heute, acht Jahre danach, werde alles rund um das Thema Sterbehilfe endlos diskutiert. Vielleicht, meint sie, sei man da in Holland selbstbestimmter. "Wir lassen uns ungern von irgendwelchen Obrigkeiten etwas sagen." Und wer, fragt sie sich, habe denn mehr Rechte auf die Gestaltung und Begrenzung des eigenen Leben als "ich selbst"?

Radikaler Eingriff, radikaler Weg

Doch dieses Recht erschien Esther Kruikmeijer über Jahre hinweg völlig abstrakt. Erst als bei ihr selbst im Jahr 2019 Brustkrebs diagnostiziert wurde und sie sich vorbeugend einem radikalen chirurgischen Eingriff unterzog, begann sie wieder, an den ebenso radikal selbstbestimmten Lebensweg ihres Vaters zu denken. Ihre Mutter, sagt sie, sei an einem ähnlichen Krebs verstorben und auch ihre Tante.

"Heute", sagt sie, "bin ich ein gesunder Mensch. Aber wenn das einmal nicht mehr so sein sollte, wünsche ich mir keine langwierigen, schwächenden Therapien." Ihr geliebter Mann, ein Österreicher, würde sie im Ernstfall zwar sicher nicht zu einer weiteren Krebsbehandlung drängen, das habe er ihr versichert. "Aber ich weiß, dass er große Angst hat, mich zu verlieren."

Zu verlieren an eine neue, höchstpersönliche, endgültige Freiheit.

STEFAN MEZGOLITS

Der Mann, der nun entscheiden kann

Der Pappkarton am Bettende ist randvoll mit CDs, die Stefan Mezgolits früher einmal selbst brannte. Vor Jahren, als er noch ganz selbstverständlich beide Hände bewegen konnte. Fast alle Songs des Countrysängers Alan Jackson sind hier archiviert, denn er ist Mezgolits' erklärter Favorit, und "You Can Always Come Home" seine erklärte Lieblingsnummer. "Breite deine Flügel aus, hab keine Angst vor dem Versuch", heißt es da, "die Welt kann grausam sein, man muss erst ein wenig gelebt haben, bevor man stirbt."

Grausame Welt? Noch will Stefan Mezgolits leben. Aber dass - wie das bisher der Fall war - andere bestimmen, wie lange, hält er für grausam.

Starrer Körper

Sein Körper ist starr, noch kann er den Kopf ein wenig vom Kissen heben und Teile der rechten Hand, aber nicht mehr die Finger. Wenn dann auch, was von heute auf morgen passieren kann, die Hand nicht mehr will, habe es für ihn keinen Sinn mehr, sagt er. Doch was für ihn Sinn hat, das war bislang durch die Grenzen der Medizin abgesteckt. Und das ließ Mezgolits an manchen Tagen verzweifeln.

© Matt Observe Schwer krank und bewegungsunfähig ans Bett gefesselt: Stefan Mezgolits

"Mein Leben gehört mir - und auch mein Tod", sagt er klipp und klar. Seinen Sarg, ein schlichtes Fichtenmodell, hat der 57-jährige Burgenländer bereits ausgesucht und seinen Grabstein fertigen und auf dem Friedhof aufstellen lassen. Zwei Meter hoch ist er und einen Meter breit, und eine Christusstatue ist eingemeißelt, nachempfunden jener berühmten, die hoch über Rio de Janeiro schwebt und die steinernen Arme weit ausbreitet.

Schwindende Kräfte

"Ich habe gerne Menschen um mich", sagt Mezgolits, der seit Jahren im Einzelzimmer eines burgenländischen Pflegeheimes liegt. Deswegen hat er auch verfügt, an einem Freitag um 15 Uhr beerdigt zu werden, da haben wirklich alle Zeit und stecken nicht irgendwo mitten in der Arbeit oder, bewegungslos wie er selbst, in irgendeinem Verkehrsstau.

Früher war dieser Stefan Mezgolits ein kräftiger Mann. Zwölf Jahre als Maschinenbaufacharbeiter auf Montage hat er hinter sich und jede Menge Überstunden geleistet, viermal wurde er mit der Freiwilligen Feuerwehr seiner kleinen burgenländischen Heimatgemeinde bei Leistungsbewerben Landesmeister. Doch schon lange davor, noch beim Bundesheer, hatte er unerklärliche gesundheitliche Aussetzer, an manchen Tagen konnte er schon nach 500 Metern Laufen die Beine nicht mehr richtig heben. Dann wieder Einsprengsel von Normalität, ehe ihn eine vermeintliche Grippe so sehr ermatten ließ, dass ihm selbst der Weg vom Bett ins Badezimmer zu weit war.

An guten Tagen konnte er noch mühselig gehen, sich irgendwie an Wänden, Tischen und Stühlen entlangtastend über kleinere Distanzen schleppen. An schlechten saß er im Rollstuhl, seit 8. Februar 2012 liegt er, ohne selbst aufstehen zu können, im Bett. Seither ließ die Beweglichkeit der Gliedmaßen bis zur völligen Lähmung nach. Diagnose: Multiple Sklerose, ein ziemlich heimtückischer Verlauf.

Der Link zur Außenwelt

Das Immunsystem richtet sich permanent gegen den eigenen Körper. Im zentralen Nervensystem kommt es zu Entzündungen, welche die Membran der Nervenfasern beschädigen oder zerstören. Noch kann Mezgolits mit der rechten Hand, einer speziellen Technik und viel Geduld Mails schreiben und sich die Außenwelt so irgendwie in sein sechs mal fünf Meter großes Pflegeheimzimmer holen. Aber wenn das einmal nicht mehr funktioniert, und das ist absehbar, dann will er genau das, was nun im Sterbeverfügungsgesetz geregelt wird und ab Jahreswechsel Gesetzeskraft erlangt.

»Damit alle Zeit haben, werde ich an einem Freitag um 15 Uhr beerdigt: Ich mag Menschen um mich«

"Ich möchte gehen dürfen, wann ich will, denn das ist mein Recht, mein Menschenrecht", sagt Mezgolits. Sobald ihn das Gefühl seine Hände einmal in dem Maße verlassen hat, dass er auf seiner Computertastatur keine Mails mehr eintippen kann, sei seine Zeit gekommen. Und er selbst wolle dann nur noch gehen.

Neue Lebenskraft

Doch ohne fremde Hilfe, ohne die Assistenz zum Suizid, hätte er das bislang nicht können, und mit fremder Hilfe hätte sich der Helfer in hohem Maße strafbar gemacht. Deswegen hat Mezgolits gemeinsam mit drei anderen Schwerkranken beim Verfassungsgerichtshof sein Recht auf Sterbehilfe eingeklagt. Das überraschende Urteil des deutschen Höchstgerichts, das Sterbehilfe bereits zuvor legalisierte, machte ihm neue Hoffnung darauf, dass auch die österreichischen Gesetze geändert werden könnten. Und genau das ist nun, nach Monaten bangen Liegens und Wartens, der Fall. "Eigentlich ist es ja absurd, dass mir gerade die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Ende neue Lebenskraft gibt", sagt er.

"Breite deine Flügel aus, habe keine Angst vor dem Versuch", singt Alan Jackson, der Lieblingsinterpret von Stefan Mezgolits. "Die Welt kann grausam sein."

Doch plötzlich scheint es dem hageren, Mann, der da in seinem Bett liegt, als wäre sie nicht mehr ganz so grausam.

JOESI PROKOPETZ

Der Künstler, der sein Kreuz fallen lässt

Der Liedermacher und Kabarettist Josef Prokopetz, genannt Joesi, ist einer der profiliertesten Texter des Austropop. Der Ambros-Klassiker "Es lebe der Zentralfriedhof" stammt aus seiner Feder, und das ist irgendwie bezeichnend: Denn der 69-jährige Prokopetz hat beschlossen, dass es hoch an der Zeit sei, trotz bester Gesundheit konsequent über den eigenen Tod nachzudenken.

© imago/Skata Joesi Prokopetz: Der Songwriter hat eine klare Vorstellung von seinem eigenen Tod

"Ich habe mit meinem älteren Sohn -er ist selbst bereits jenseits der 40 -ein Abkommen: Er bringt mir das letzte Stamperl, wenn es soweit ist, und die Geschichte hat sich", sagt der Künstler. "Aus Liebe soll er es machen, als Erlösung."

Der "Schwerstpflegepatient"

Und zwar dann, wenn Prokopetz womöglich irgendwann irgendwo als, wie er das selbst nennt, "Schwerstpflegepatient" herumliege. Er ist zahlendes Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL), für die er auch das Testimonial macht. "Sehr gläubige Menschen wollen uns ja einreden, dass man sein Kreuz bis zum Ende tragen muss. Aber ich will mein Kreuz abwerfen können, wenn ich das möchte." Es gäbe, davon ist Prokopetz überzeugt, einen Zeitpunkt der einsetzenden Aussichtslosigkeit - und diesen Zeitpunkt "künstlich, wie zu Fleiß" hinauszuzögern, das halte er für unmoralisch und unethisch. "Und auch ein bissel feig."

»Den Zeitpunkt der einsetzenden Aussichtslosigkeit hinauszuzögern ist auch ein bissel feig«

Vor dem eigenen Sterben hat Prokopetz durch den Pakt mit seinem Sohn überhaupt keine Angst mehr: "Ich werde mein Stamperl trinken und sagen: 'Grüß euch Gott, es hätte schlimmer sein können.'"

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 43/2021.