Stephen King über seine
Ängste und Dämonen

NEWS trifft den Paten des Horrors in Hamburg und entlockt ihm seine Geheimnisse

von
Literatur - Stephen King über seine
Ängste und Dämonen
Horror-Autor Stephen King im Gespräch mit NEWS-Redakteurin Susanne Zobel.
© Thomas Duffé/NEWS NEWS-Reporterin Susanne Zobl trifft Stephen King.

Die mitgebrachten Mozartkugeln nimmt der 1,93 Meter große Mann mit gütigem Lächeln entgegen: "Grüß Gott, thank you, how nice.“ Das graue Haar locker gescheitelt, die Kleidung leger mit grauem Zipp-Pulli, blauem T-Shirt und schwarzer Hose, wirkt er wie ein AHS-Lehrer, der einem gleich die Englisch-Vokabeln abrufen wird. Der "Pate des Horrors“ (Tochter Naomi) ist in Europa, um die famose Fortsetzung des Meisterthrillers "Shining“ vorzustellen. "Dr. Sleep“ (Heyne, 23,70 Euro) zieht das Schicksal des von seinem wahnsinnigen Vater am Leben bedrohten Danny in die Gegenwart: Ein spiritueller Mensch im labilen seelischen Gleichgewicht, arbeitet Danny als Sterbebegleiter.

NEWS: Danny Torrance kämpft im Roman gegen seine Alkoholsucht. Auch Sie waren jahrelang Alkoholiker und drogenabhängig. Was bedeutet Ihnen mehr: Der Erfolg als Schriftsteller oder der Sieg über Ihre Sucht?
King: Über Alkohol und Drogen gibt es keinen Sieg. Man bekommt höchsten einen Tag Schonfrist. Ein Drink genügt, und man ist wieder mitten drin. Eine Sucht ist wie eine Beule unter einem Teppich. Wenn man sie plattdrückt, taucht sie woanders wieder auf. Wenn es aber etwas gibt, das mich als Sieger fühlen lässt, dann meine Ehe. 32 Jahre verheiratet zu sein, ohne dass die romantische Liebe schwindet, ist ein Sieg.

NEWS: Im Roman "Misery“ erzählen Sie von einem Bestseller-Autor, den eine fanatische Leserin kidnapped und foltert. Haben Sie selbst die bösen Seiten des Ruhms kennengelernt? Was bedeutet er Ihnen?
King: Dass ich meine Rechnungen bezahlen kann. Diesen Aspekt mag ich, aber den Ruhm nicht. Zu viel Aufmerksamkeit bringt mich aus der Fassung. Ich bin Schriftsteller und kein Politiker. Ich baue keine Raketen, ich schreibe nur Geschichten. Es ist ja wunderbar, wenn in Ihrem Land Kultur so ein großes Thema ist. In Amerika ist das nicht so. Trotzdem freue mich auf Zuhause. Schriftsteller jedenfalls sind wie Geheimagenten. Sie sind es gewöhnt, Menschen zu beobachten, aber nicht beobachtet zu werden.

NEWS: Aber in Amerika wird doch jeder ständig überwacht. Fühlen Sie sich da noch frei?
King: Ja, ich fühle mich sehr frei. Und ich glaube nicht, dass sich heute in Amerika irgendjemand weniger frei fühlt als früher.

NEWS: In Ihrem Roman behaupten Sie aber das Gegenteil. Zum Beispiel über die Attentate vom 11. September: "In den folgenden Monaten und Jahren sollten die Vereinigten Staaten zu einer sehr argwöhnischen Nation werden: Wann immer du was siehst, zeig es an!“
King: 9/11 war ein Wendepunkt für uns Amerikaner. Das war ein Moment, der uns zeigte, dass wir so verletzbar sind wie alle anderen. Das hinterließ ein Brandmal. Vor acht oder neun Jahren hätte ich das sicher nicht geschrieben, denn damals war die Wunde noch zu frisch. Aber jetzt aus der Distanz, dachte ich, es wäre o. k. das in einem Roman zu verwenden. Und was die Überwachung betrifft: In England gibt es überall Überwachungskameras. Man erblickt sich ständig auf irgendwelchen Bildschirmen. Mich wundert, dass aus diesen Videos noch niemand einen Film gemacht hat. Das wäre sicher ein gute Geschichte. Da erstaunt es Sie wohl nicht, dass ich vor dieser Europa-Tournee wirklich Angst hatte. Ich wusste ja nicht, was mich hier erwarten würde. Dann dachte ich, wenn Altrocker wie AC/DC auf Tournee gehen, kann das ein Schriftsteller auch.

NEWS: Das Markenzeichen Ihrer Romane ist Horror. Fürchten Sie sich beim Schreiben?
King: Doch, manchmal. Bei "Shining“ zum Beispiel. Als ich wusste, jetzt kommt die Tote in der Badewanne. Aber meistens kann ich diese Ängste kontrollieren.

NEWS: Lassen Sie in der Nacht das Licht an? Ihr österreichischer Kollege Thomas Glavinic tut das prinzipiell, weil er sich vor Dämonen fürchtet.
King: Nein, nicht mehr. Das tat ich als Kind. Damals war ich überzeugt, das Licht würde die Monster fernhalten. Aber das ist dumm. Denn Monster und Dämonen kommen sowieso. Allerdings achte ich auch mit meinen 66 Jahren darauf, dass meine Zehen zugedeckt sind, damit mich die Monster nicht packen können. Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann: ein Monster, das in der Nacht angreift. Das klingt lächerlich, wenn man, wie wir, am helllichten Tag in einem netten Zimmer sitzt. Aber allein im Dunkeln ist alles anders. Da kann immer etwas kommen und einen holen.

NEWS: Im autobiographischen Essay "Über das Schreiben“ sagen Sie, dass Sie durch die Monster in Ihren Geschichten um Hilfe gerufen haben.
King: Ich bin die Quelle für meine Geschichten. Ich beobachte nicht nur andere, sondern auch mich selbst. Alles, was ich schreibe, geht durch meinen persönlichen Filter im Kopf. Aber ich wollte meine Leser nie erschrecken, ich wollte immer nur Geschichten erzählen. Und das Schöne, diese Geschichten werden bleiben, auch wenn wir einmal nicht mehr da sind. Und dann spielt es auch keine Rolle, ob sie jemand liest oder nicht.

NEWS: Ihr Held Danny verfügt über das "Shining“, er sieht Dämonen und kann Gedanken lesen. Können das gute Schriftsteller auch?
King: Ich denke schon. Schreiben ist wirklich Telepathie. Ich übertrage meine Bilder in die Köpfe der Leser.

NEWS: Ist Schreiben für Sie auch eine Sucht?
King: Ja, absolut. Ich kann das an mir richtig beobachten. Wenn ich an einem großen Projekt lange gearbeitet habe und damit fertig bin, verfolgen mich meist sehr intensive Träume. Diese Dampfmaschine im Kopf arbeitet immer weiter und weiter. Ich beginne normalerweise immer um acht Uhr morgens zu schreiben und arbeite dann kontinuierlich bis Mittag, täglich von Montag bis Sonntag mindestens vier Stunden. Und wenn ein Roman fertig ist, weiß ich oft gar nicht, was ich mit diesen Stunden anfangen soll.

NEWS: Machen Sie nie Urlaub?
King: Nein, ich übe auch keine Freizeitbeschäftigungen aus. Nur Gitarre spiele ich. Mit ein paar Schriftstellern trete ich manchmal in einer Band auf, "The Rock Bottom Remainders“.

NEWS: Ihr Schaffen ist enorm: mehr als fünfzig Romane in vierzig Jahren.
King: Ich bin ganz gut in Multi-Tasking. Nächstes Jahr kommt mein nächster Roman "Mr. Mercedes“. Ein anderer ist schon in Arbeit und ein Drehbuch auch … Das Schreiben fällt mir oft so leicht, dass ich mich wirklich einbremsen muss. Ich möchte nie, dass man von einem meiner Werke sagt, das wirkt wie von einem Automaten gefertigt. Im Thriller-Genre gibt es Autoren, die schicken jedes Monat ein Buch auf den Markt. James Patterson ist so eine Buchfabrik.

NEWS: War es nicht riskant, einen erfolgreichen Roman wie "Shining“ fortzusetzen? Sie sagten selbst: " Die letzte Hoffnung für Autoren, deren Kreativität nachlässt, ist die Fortsetzung eines Romans.“
King: Das trifft in den meisten Fällen auch zu. Ich hatte auch Angst, die Leute würden sagen, das sei nur eine blasse Kopie des Originals. Dem wollte ich mich stellen. Ein Leitstern gab mir dabei Hoffnung: Mark Twain. Er schrieb eine Fortsetzung zu "Tom Sawyer“, nämlich "Huckleberry Finn“, einen der Meilensteine der modernen amerikanischen Literatur. Und noch etwas: Die meisten meiner Figuren verschwinden aus meinem Kopf, wenn der Roman fertig ist. Danny Torrance ging mir zwanzig Jahre lang nicht aus dem Sinn.

NEWS: Ist Ihnen Kritik wichtig, leiden Sie heute noch an Verrisse wie einst als junger Autor?
King: Die meisten meiner erbittertsten Kritiker habe ich inzwischen überlebt. Und im Unterschied zu anderen Autoren, gebe ich zu, dass ich Kritiken lese. Denn ich will davon lernen.

NEWS: Stimmt es, dass nicht Sie Ihren Kindern Geschichten vorgelesen haben, sondern umgekehrt?
King: Das stimmt so nicht. Als sie klein waren, haben meine Frau und ich vorgelesen. Als in den Achtzigerjahren Hörbücher aufkamen, fand ich das toll. Aber damals gab es noch nicht viele. Ich schlug meiner Tochter Naomi ein Geschäft vor: Für 9 Dollar pro Kassette sollte sie mir Romane auf Tonbänder aufnehmen, damit ich sie auf langen Autofahrten anhören konnte. Nach und nach stiegen auch meine Söhne in das Geschäft ein.

NEWS: In der Familie King sind bis auf Ihre Tochter alle Schriftsteller. Besteht da eine Konkurrenz?
King: Überhaupt nicht. Wir lesen einander. Meine Frau hat sieben Romane geschrieben und dann aufgehört, weil sie lieber im Garten arbeitet. Mein Sohn Joe widmete sich nach einem Band mit Kurzgeschichten dem Comic-Genre.

NEWS: Wie schaffen Sie es, vierzig Jahre kreativ zu sein?
King: Die meiste Arbeit liegt zwar jetzt hinter mir. Aber erst wenn mich nichts mehr beim Schreiben überrascht, höre ich auf und züchte Rosen. Aber mein Reservoir ist noch nicht ausgeschöpft. Und so werde ich weiterarbeiten, bis mich Gott abberuft.

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