"Das Virus kann sich über
den Sommer nicht verstecken"

Kurzfristig müssen wir uns alle noch an die Maßnahmen der Regierung im Kampf gegen die Corona-Krise gewöhnen. Aber war das schon alles? Wie müssen wir in Zukunft damit umgehen? Christoph Steininger, Infektiologe und Virologe an der Meduni-Wien, erklärt, was noch auf uns zukommen kann und warum Grund zur Hoffnung besteht.

von
THEMEN:
Corona - "Das Virus kann sich über
den Sommer nicht verstecken" © Bild: iStockPhoto.com

Herr Prof. Steininger, Bundeskanzler Kurz sprach von „Krankheit, Leid und Tod für viele“. Würden Sie die Zukunft Österreichs im Zusammenhang mit Corona auch so sehen?
Wenn man nichts unternimmt, dann schon. Wir sind dabei, alles zu versuchen um das abzuwenden und ich bin zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein werden.

Man hört eigentlich von allen Seiten, dass man noch nicht genau sagen könne, wie sich Coronavirus in Österreich entwickeln werde. Warum noch immer nicht?
Wir befinden uns in einer Situation, wie sie noch nie zuvor vorgekommen ist, auch die Situation in China ist nicht 1:1 umlegbar auf Europa. Dementsprechend ist es schwierig, exakte Prognosen liefern zu können.

Die aktuelle Entwicklung rund um das Coronavirus in Österreich lesen Sie hier

Wann lässt sich eine genauere Entwicklung prognostizieren? Lässt sich das überhaupt genau vorhersagen?
Es gibt im jetzigen Fall viele Modelle zur Prognose, die dabei helfen eine Entwicklung abzuschätzen. Zieht man die Prognose der Vorwoche heran, wird sie für diese Woche hoffentlich keine Gültigkeit mehr haben, weil in der Zwischenzeit Interventionen getätigt worden sind. Mit der veränderten Situation wird die Prognose dementsprechend anders aussehen.

Ein Vergleich zu anderen Ländern ist also nicht gültig?
Nein, dafür sind Umstände, die sozialen Gegebenheiten und die Mentalität zu unterschiedlich. Dass Tests auf das Coronavirus in Südkorea beispielsweise schon so fantastisch geklappt haben, war nur deshalb möglich, weil viele dieser Tests dort entwickelt und produziert werden. Dadurch hatte dieses Land auch ausreichend Ressourcen, um ganz großzügig zu testen. In Europa sind wir abhängig aus der Lieferung aus Asien und können daher nicht die gleiche Strategie anwenden, auch wenn es wichtig wäre noch viel mehr zu testen.

Schätzungen besagen, dass sich mehr als zwei von drei Österreichern mit Coronavirus infizieren könnten. Weil die Maßnahmen der Bundesregierung zu spät waren oder weil man hohe Zahlen ohnehin nicht verhindern kann?
Es war immer die Rede davon, dass es nicht darum geht, das Endergebnis zu verändern, sondern darum, in welchem Zeitraum wir die Durchseuchung erreichen. Ziel ist es, einen möglichst langen Zeitraum zu schaffen, damit man die Gesundheitseinrichtungen nicht überstrapaziert und damit eine bestmögliche medizinische Betreuung der Patienten zu gewährleisten.

Sind die Maßnahmen der Bundesregierung Ihrer Ansicht nach ausreichend?
Das werden wir in den nächsten Wochen sehen. Die Bundesregierung und die Gesundheitsbehörden denken über weitere Maßnahmen nach. Es gibt noch viele, kleinere Möglichkeiten, wie man Einfluss nehmen kann.

Bundeskanzler Kurz sagte aber auch, dass „viel mehr“ schon gar nicht mehr ginge. Ist dem wirklich so? Oder kommen noch härtere Zeiten auf uns zu?
So wie die Situation derzeit ist, glaube ich nicht, dass noch wesentlich härtere Maßnahmen erforderlich sind. Aber wissen tun wir das alle nicht und hoffen, dass wir mit den gesetzten Maßnahmen eine Kehrtwende erreichen können.
Tirol hat sich als erstes Bundesland komplett isoliert. Würde es Sinn machen, dass alle Bundesländer nachziehen?
Tirol macht einen Schritt der Solidarität, für die anderen Teile Österreichs. So wie Italien ja auch zuerst die Grenzen geschlossen hat, um andere Länder in Europa zu schützen. Das ist ein Opfer, das entsprechend auch gewürdigt werden muss. Es geht also nicht um den Selbstschutz, sondern um den Fremdschutz.

»Ich gehe davon aus, dass wir dieses Virus loswerden«

Besteht noch eine Chance, Corona ganz loszuwerden? Oder könnte uns diese Krankheit wie auch die Grippewelle jährlich begleiten?
Ich bin Optimist und gehe davon aus, dass wir das Virus loswerden. Das hängt damit zusammen, dass sich dieses Virus über den Sommer ja nicht irgendwo „verstecken“ kann, sondern immer von Menschen abhängig ist, die es weitergeben. Wenn es nicht mehr genügend empfängliche Menschen gibt, weil einerseits eine kritische Anzahl von Immunen erreicht ist und andererseits die Kontakte zwischen den Menschen nicht ausreichen, besteht die Hoffnung, dass dieses Virus nicht wiederkommt.

Stichwort Sommer: Welchen Einfluss hat Hitze auf das Coronavirus?
Das wird man erst in einigen Wochen sagen können, daran sieht man auch, wie komplex solche Prognosen sind. Während es wärmer wird, haben wir neben anderen Maßnahmen auch die Reduktion sozialer Kontakte gewählt. Letztendlich wird es schwierig sein, diese Maßnahmen voneinander getrennt analysieren zu können. Also auch zu sagen, wenn wir erfolgreich waren, warum wir es waren.

Inwieweit sind generell Vergleiche mit der „klassischen“ Grippe zulässig?
In einzelnen Bereichen ist das schon zulässig. Wenn man sich die Grippe vorstellt, hat man vielleicht eine bessere Vorstellung von dieser neuen Erkrankung. Das Problem bei diesem Vergleich ist allerdings, dass die Schwere und Relevanz der Grippe in der Bevölkerung völlig unterschätzt wird. Da beginnt der Vergleich dann zu hinken: Nicht, weil es für diesen Fall gar nicht vergleichbar wäre, sondern weil die Wahrnehmung schon bei der Grippe nicht ausreicht.

Was halten Sie von Theorien der „Herdenimmunität“, auf die Großbritannien, Niederlande oder Schweden setzen?
Im Grunde setzen alle Länder auf Herdenimmunität. Die Frage ist allerdings, wie man dort hinkommen möchte und was auf dem Weg dorthin passiert. Wenn wir irgendwann einmal den Punkt erreicht haben, dass eine Mindestanzahl von Menschen durch die Infektion oder durch eine Impfung immun ist, dann sind auch Menschen, die nicht geimpft werden können oder besonders gefährdet sind, geschützt vor dem Virus.

»Im Grunde setzen alle Länder auf Herdenimmunität«

Das heißt, dass nur einzelne Länder auf „Herdenimmunität“ setzen, wie man es dieser Tage zu hören bekommt, ist Unsinn?
Alle setzen darauf, nur verlassen sich nicht alle Länder ausschließlich darauf. Wie wir am Beispiel Großbritannien sehen, sind die ursprünglichen Berechnungen ja revidiert worden und damit das gesamte dortige Konzept gefallen.

Stichwort Immunität: Einmal infiziert, immer immun? Oder verändern sich Coronaviren?
Nach dem derzeitigen Wissenstand kann man davon ausgehen, dass man nach einer Infektion immun ist. Coronaviren generell sind anfällig auf genetische Veränderung, aber dieses spezielle Virus, das jetzt zirkuliert, hat bis jetzt keine deutlichen Veränderungen gezeigt.

„Wirklich gefährdet sind nur Babys, Menschen ab einem Alter von 60 und Menschen mit schweren Vorerkrankungen.“ – Kann man diese Aussage so stehenlassen?
Die Gruppe der Babys würde ich aus dieser Formulierung streichen. Gefährdet sind Menschen mit schwerwiegenden Grunderkrankungen, häufig einer Kombination aus mehreren Erkrankungen, und sehr betagte Menschen.

Wie lange wird es Ihrer Einschätzung zufolge dauern, bis es ein Medikament gegen das Coronavirus gibt?
Das lässt sich nicht abschätzen. Erste Medikamente, die am Anfang als sehr vielversprechend dargestellt worden sind, wie beispielsweise das HIV-Medikament Kaletra, sind nicht mehr aktuell, weil es eine negative Studie dazu gibt, die zeigt, dass keine Wirksamkeit besteht. Es gibt aber ganz viele Medikamentenstudien derzeit, vielleicht ergibt sich dabei ein Treffer.

Ein Treffer alleine reicht nicht, ein Medikament muss ja auch einen langen Zulassungsprozess durchlaufen?
Das stimmt, allerdings würde dieser Prozess sicherlich deutlich verkürzt werden und die meisten Medikamente, die derzeit evaluiert werden, sind für andere Anwendungen ja schon zugelassen. Dementsprechend wäre eine Zulassung massiv verkürzt.

Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass dann zu kurz getestet würde?
Das ist eine Güterabwägung. Selbstverständlich ist das Risiko etwas höher bei verkürzter Evaluierungszeit, auf der anderen Seite hat man den potenziellen Nutzen, dass man eine wirksame Substanz rasch einsetzen kann.

Was bedeutet das Coronavirus für die Zukunft unseres Gesundheitssystems?
Es ist zu hoffen, dass es eine Bewusstseinsänderung geben wird, was Infektionskrankheiten anrichten können und dass man künftig in diesen Bereich investieren wird. Nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch.

»Österreich befindet sich in einer sehr privilegierten Lage«

Kann man sich in Zukunft auf solche Ereignisse wirklich vorbereiten?
Ja, kann man. Man kann zwar Ausbrüche an sich nicht verhindern, sehr wohl aber deren Häufigkeit und Tragweite.

Glauben Sie, dass Österreich gut aufgestellt ist?
Grundsätzlich befindet sich Österreich in einer sehr privilegierten Lage, weil wir im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern recht viele Spitalsbetten haben, größere intensivmedizinische Kapazitäten, über ein gutes Gesundheitssystem verfügen und auch ökonomisch sehr gut dastehen.

Das amtliche "Dashboard COVID19" (Aktuelle Entwicklung in Österreich, viertelstündliches Update)