Mädchenjahre eines Felsen

Sex & Drugs & Klo am Gang: Stefanie Werger, die Grande Dame des Austropop, erzählt in ihrem neuen Buch von den wilden Siebzigern. Zehn Jahre lang tingelte sie durch die Tanzlokale der deutschen Provinz. Bis es endlich hieß: "Die Nächste bin i"

von Stefanie Werger, © Bild: Fotostudio Gerhard Fally

Der Austropop ist in die Jahre gekommen. Wolfgang Ambros geht am Stock, und auch Stefanie Werger hat es im Rücken. Die Bandscheiben sind kaputt, das Stehen bereitet ihr starke Schmerzen. Deshalb entschuldigt sich die Sängerin beim Publikum gleich einmal höflich dafür, dass sie den Abend im Sitzen bestreiten wird. "Aber ich sing eh mit der Stimm' und ned mit'm Oasch."

Die Bühne bezeichnet Werger gern als "Flughafen meiner Seele". Sie meint damit einen Ort, an dem sie abheben und wieder sicher landen kann. An diesem kalten Novembersamstag ist es nur ein kleiner Regionalflughafen, an dem Werger durchstartet. Im Atrium, einem kirchenschiffartigen Veranstaltungszentrum in Hohenau an der March, spielt sie heute Abend zum ersten Mal ihr neues Programm "Schene Liada, wüde Gschichtn". Anlass ist ihr neues Buch. Es heißt "Als ich auszog, berühmt zu werden" und zeichnet ein Porträt der Künstlerin als junger Frau.

Stefanie Werger, 65, kommt von der Klassik. Sie stammt aus einer Bergarbeiterfamilie in der Weststeiermark -dort, "wo die Leute besser bellen als ihre Hunde". Geld war nicht viel da, aber die Eltern haben das Talent der Tochter erkannt, sie auf die Musikschule geschickt und später in Graz Violine und Klavier studieren lassen. "Auf der Geige war ich extrem talentiert", sagt Werger. "Damals hatte ich sogar das absolute Gehör." Doch eine Karriere als klassische Virtuosin hat sie nicht gereizt, Rock und Pop haben sie viel mehr interessiert. "Ich wollte ein Star werden, wie die im Radio", sagt sie. "Bescheiden war ich nie."

Zehn Jahre Paloma Blanca

Als sich im Sommer 1971 die Chance ergibt, als Keyboarderin und Sängerin bei einer Band einzusteigen und auf Deutschland-Tournee zu gehen, setzt die 20-jährige Werger alles auf eine Karte und kündigt ihre pragmatisierte Stelle als Klavierlehrerin in der Köflacher Musikschule. "So blöd muss man sein", sagt sie heute. "Auf der anderen Seite: Gott sei Dank." Zehn Jahre lang tingelt sie durch Tanzlokale in Deutschland und der Schweiz, anfangs hat sie nicht einmal ein Auto. Die Bands tragen klingende Namen wie Sound Selection, Rainbow six, Purple Haze oder The Strangers. Die Orte, an denen sie gastieren, sind oft weniger mondän: Plattling, Waldshut, Rottach-Egern. Musikalisch ist das Tingeln wenig herausfordernd; hauptsächlich geht es darum, die aktuelle Hitparade nachzuspielen -und da steht im Deutschland der Siebzigerjahre eher "Una Paloma Blanca" ganz oben als die Nummern, die Werger mochte. "Wenn ich ,Killing Me Softly' oder was von der Janis Joplin gesungen habe, dann eher für mich, wenn kaum noch Leute da waren."

Das Leben auf Tour ist aufregend, kann aber auch ganz schön hart sein. In den Quartieren sind fließendes Kaltwasser und Klo am Gang Standard. In Schwäbisch Gmünd holt sich die ganze Band einmal die Krätze -und kann sie erst drei Wochen später in Garmisch-Partenkirchen auskurieren, weil es im dortigen Quartier ein Badezimmer gibt. "Ganz ehrlich: Filzläuse wären mir lieber gewesen", notiert Werger trocken. Von der Gage bleibt wenig übrig, sodass Werger sich immer wieder ein paar Tausender von der Mama ausborgen muss. Immer wieder beschleichen sie Zweifel. Aber dann nimmt sie doch wieder das nächste Engagement an.

Sex &Drugs & Rock 'n'Roll? Alles da, wenigstens ein bisschen. Die Männergeschichten sind schon deshalb flüchtig, weil sie ja nach einem Monat schon wieder weiterzieht. Es gibt da einen Italiener namens Mario, den sie rückblickend liebevoll "mei klana Siziliana" nennt. Oder den Zuhälter, dessen Freundin Werger mit guten Argumenten davon überzeugt, die Finger von ihrem Mann zu lassen -die Dame führt eine Schusswaffe mit sich. Oder den Pornofilmproduzenten, mit dem sie sich dann aber doch nicht einlässt. Beim Thema Sex bleibt Werger diskret, eines aber will sie schon einmal gesagt haben: "Keine geschlechtsreife Frau dieser Welt wird ernsthaft bestreiten, dass sich ein gut gewachsener, voluminöser Penis wesentlich besser anfühlt als ein kleines, dünnes ,Wuzerl', egal wie fleißig es sein mag."

Der Drogenkonsum beschränkt sich hauptsächlich auf Alkohol -das dafür reichlich. In den Pausen werden die Musiker traditionellerweise auf ein Getränk eingeladen, und man will ja nicht unhöflich sein. Um bei den nächtlichen Autofahrten wach zu bleiben, nimmt Werger eine Zeit lang Tabletten; diese Phase dauert aber nur drei Wochen lang. Insgesamt gilt: "Das einzige weiße Pulver, das mir je zum Verhängnis wurde, war Zucker."

Einmal noch Idealgewicht

Schon damals macht Stefanie Werger erstmals Bekanntschaft mit einem Thema, das sie ihr Leben lang begleiten wird: Übergewicht. Mithilfe der brutalen Atkins-Diät (nur Fett, keine Kohlehydrate) erreicht sie Mitte der 70er-Jahre noch einmal ihr Idealgewicht. Als sie sich in einer Boutique neu einkleidet, kann sie es gar nicht fassen, dass ihr eine Hose in Größe 40 passt. Die Verkäuferin schaut sie nur an und sagt: "Ich bitte Sie -mit dieser Figur!" Der Satz geht runter wie Butter. Werger wird ihn nie wieder zu hören bekommen.

Später, als sie berühmt und mehr oder weniger weit vom Idealgewicht entfernt ist, lassen Journalisten keine Gelegenheit aus, Wörter wie "Schwergewicht" oder Formulierungen wie "wieder dick da" anzubringen. "Das kränkt einen natürlich", sagt sie. "Du machst etwas, was viele Menschen berührt, und dann wirst du auf die Figur reduziert." Sie selbst hat sich längst damit abgefunden, dass sie nie mehr schlank und rank sein wird. Immerhin: Von dem 1997 erschienenen Trennkost-Buch "Wer spricht hier von Diät?" hat sie 160.000 Stück verkauft, und auch ihrer musikalischen Karriere hat die Figur nicht geschadet.

In einem anderen Buch, dem Frühwerk "Bevor du den Löffel abgibst, steck ihn in den Mund"(1993), schreibt sie: "Mein Publikum gibt mir das Gefühl, dass es mir glaubt, was ich singe. Mehr vielleicht als so manchem schicken, glanzvollen Popstar, mit dem sich der ,Normalbürger' nur schwer identifizieren kann. Im Publikum sitzen nämlich sehr viele, die dick sind wie ich." Zum Thema Diät hat sie inzwischen eine sehr pragmatische Einstellung: "Man muss das hin und wieder machen, sonst explodiert man."

Ein weiblicher Ambros

Nach zehn Jahren Tingeln glaubt Stefanie Werger nicht mehr wirklich daran, dass ihr Traum noch wahr werden könnte. Wahrscheinlich war es naiv, zu glauben, dass ein Manager in Tanzcombos nach Talenten fahndet. Lustigerweise passiert dann aber doch noch genau das. Im Sommer 1981 gastiert Werger mit der Schlagerband Four Jacks im Schlosshotel Velden am Wörthersee. Nachmittags spielt die Band zum Tanztee im Garten auf, manchmal fährt Udo Jürgens in seinem Motorboot vorbei und winkt; Werger und ihre Kollegen winken dann neidvoll-bewundernd zurück.

Nach Dienstschluss kommt sie eines Abends mit dem Wiener Musikverleger Herbert Kefeder ins Gespräch, der sie singen gehört hat und sagt, er könne vielleicht was für sie machen. Wider Erwarten ruft er ein paar Wochen später tatsächlich an und stellt ihr eine Platte in Aussicht; er sehe einen "weiblichen Ambros" in ihr. Unglaublich, aber wahr: Werger hat damals keine Ahnung, wer Wolfgang Ambros ist, den hat sie in Deutschland nicht mitbekommen. Sie besorgt sich ein paar Kassetten, findet sie super, aber ein weiblicher Ambros will sie trotzdem nicht werden. Sie hat jetzt lange genug andere nachgemacht.

So ähnlich argumentiert sie auch, als sie im Büro des damals mächtigsten Wiener Plattenproduzenten, Polygram-Chef Wolfgang Arming, sitzt und über ihre erste LP verhandelt. "Ich möchte in keine Schublade gesteckt werden", sagt sie. "Ich möchte endlich was Eigenes schaffen." Genau das erwarte er von ihr, beruhigt Arming sie und legt das Demoband jener Nummer ein, die Wergers Debütalbum den Titel geben wird: "Die Nächste bin i".

Mit dem Start von Stefanie Wergers Karriere endet das Buch. Eine Fortsetzung wird es nicht geben. "Der zweite Teil ist ja bekannt", sagt Werger. "Und ich möchte niemanden denunzieren." Knapp zwei Jahrzehnte lang war sie die Powerfrau des Austropop, zwölf Alben hat sie aufgenommen, gut 130 Lieder geschrieben. Auch die meisten ihrer bisher zehn Bücher verkauften sich gut. Das Nikotin-Plädoyer "Ich rauche!"(2006) war allerdings kein Bestseller. "Darauf wären wir fast sitzen geblieben", sagt sie. "Aber dann hat uns die Wirtschaftskammer 20.000 Stück abgekauft und in den Trafiken aufgelegt."

Dass auch "Ein Single kommt fast nie allein!"(2000) nicht sonderlich gut gegangen ist, hat sich die Autorin selbst zuzuschreiben: Kurz vor der Buchpräsentation hatte sie sich bis über beide Ohren verknallt und war nicht mehr Single. Marketingtechnisch war das eine Katastrophe, privat ein großes Glück. Zehn Jahre sind sie und ihr Karl-Heinz jetzt verheiratet, und die beiden gehen immer noch sehr liebevoll miteinander um. Bei Auftritten steht er höchstpersönlich am Merchandise-Tisch, verkauft Bücher und CDs und ist sichtlich stolz auf seine Frau.

Seit sich Stefanie Werger 1998 von der Rockbühne zurückgezogen hat, hat sie vier Kabarettprogramme herausgebracht, in denen sie zwischen den Texten dazu passende Lieder aus ihrem Repertoire singt. Das aktuelle Programm ist ähnlich aufgebaut. Sie erzählt und liest Geschichten aus dem Buch, und sie singt, begleitet von zwei Musikern, die Lieder, die ihr Publikum nicht oft genug hören kann. "Sehnsucht nach Florenz","Sog, es wird später","Lust auf Liebe" und natürlich "I wü di g'spian".

Gelebte Lieder

Die Ballade ist eines ihrer allerersten Lieder -und es verfehlt auch heute, in Hohenau an der March, seine Wirkung nicht. Andächtig lauscht der Saal, und wenn dieser Brauch nicht aus der Mode gekommen wäre, würde das Publikum jetzt geschlossen Feuerzeuge in die Luft halten. Wenn Stefanie Werger dann noch ihren größten Hit, "Stoak wie a Felsen", singt, hält es keine auf den Plätzen: Gesetzte Frauen recken kämpferisch die Hand in die Höhe. Die Mutmacher-Hymne hat vielen Frauen wahrscheinlich mehr geholfen als manche feministische Kampfschrift. Aber auch ein paar Männer singen den Text mit.

Neben ihrer kraftvollen Stimme schätzen die Fans vor allem ihre Offenheit. "Ich habe mich nie verstellt", sagt sie. "Ich habe fast alle meine Lieder gelebt." Das spürt man. "Nicht das Fliegen hat mich stark gemacht, sondern das Fallen", schreibt sie in ihrem Buch. Und: "Eine dicke Haut bekommt man nicht vom Blumenpflücken."

Nicht einmal die Bandscheiben haben Stefanie Werger kleingekriegt. "Zu bemitleiden bin ich deswegen nicht. Eine kriegt Krebs, und ich hab halt das. Gott sei Dank gibt's Schmerztabletten." Und fliegen tut man eh meistens im Sitzen.

Buch und Tour

In ihrem neuen, zehnten Buch "Als ich auszog, berühmt zu werden"(Averbo, € 23,-) erzählt Stefanie Werger sehr kurzweilig die Vorgeschichte ihrer Karriere. Im dazugehörigen Liveprogramm "Schene Liada, wüde Gschichtn" liest sie daraus und singt einige ihrer größten Hits. Termine: 20.11. Wels, Stadttheater; 23.11. Graz, Orpheum; 25.11. Klagenfurt, Konzerthaus; 29.11. Wien, Metropol.

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