"Gehässigkeiten treffen
mich mit voller Wucht"

Vor drei Jahren kam Stefanie Reinsperger ans Burgtheater. Seither vollzieht sie eine Karriere, der andere ein Leben lang nachrennen. Schon auf dem Sprung nach Berlin, spielt sie im Sommer noch Jedermanns Buhlschaft. Das Abschiedsinterview

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mich mit voller Wucht" © Bild: Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved.

Als Stefanie Reinsperger 2014 mit 26 Jahren am Burgtheater anmusterte, kannte sie keiner. Sie wurde zur deutschsprachigen Schauspielerin des Jahres gewählt und wechselte ans Volkstheater, das sie mit Saisonende in Richtung Berlin verlässt. Zuvor spielt sie an Tobias Morettis Seite die Buhlschaft im Salzburger "Jedermann“.

Frau Reinsperger, die letzte Premiere am Volkstheater ist bestanden, die Buhlschaft nähert sich im Laufschritt, und im Herbst beginnen Sie auf unvertrautem Berliner Boden, während Sie hier ein Publikumsliebling sind. Wird Ihnen schon bang?
Ich entziehe mich der Bangigkeit, indem ich meinen Umzug nach Berlin vorverlegt habe und mitten in den logistischen Problemen stecke. Aber vor Berlin habe ich Respekt. Ich bin mir bewusst, dass das alles andere als ein einfaches Publikum ist. Aber ich war ja auch nie einfach, und ich freue mich auf ein kritisches, waches, aber auch bewegliches Publikum, das sich auf jemanden Unbekannten einlässt. Und ich habe eine sehr schöne Wohnung in Neukölln gefunden.

Ist das nicht eine etwas heftige Gegend mit hohem Migrantenanteil?
Erstens wohne ich in Wien im 15. Bezirk, da ist das nichts Neues für mich. Und zweitens gibt es auch eine gediegene Ecke von Neukölln. Dort wohne ich ab September.

Sie werden doch kein Bobo sein?
Keine Ahnung, was das ist, aber ich habe mich noch nie Gruppen zugehörig gefühlt, also: Nein, ich bin kein Bobo.

Spielen Sie noch Vorstellungen in Wien zu Ende? Oder wird man auf Sie vollkommen verzichten müssen?
Es sollen Stücke übernommen werden, aber das glaube ich erst, wenn es so weit ist.

Ich sagte einmal zu Ihnen, Sie seien ein Urviech, da waren Sie richtig gekränkt. Wie geht es Ihnen denn mit Kritiken, die Sie ständig körperlich taxieren?
Ja, das Körperliche sieht man beim ersten Hinschauen. Aber es gibt auch die zerbrechliche Seite, die leisen Töne. Die merkt man nicht gleich, und das hat mich am Anfang verletzt. Inzwischen merke ich auch, es gibt Menschen, die froh sind, dass eine Frau wie ich sich so ausstellt. Bei vielen Leuten öffnet das etwas, wofür sie sehr dankbar sind.

Da kann ich nur hoffen, Sie lesen keine Postings.
Das habe ich einmal gemacht und mache es nie wieder. Danach ging es mir sehr schlecht. Ich habe auch meinen Facebook-Account geschlossen. Ich bin ungefiltert, und persönliche Gehässigkeiten treffen mich mit voller Wucht. Es ist toll, wenn man eine Familie und Freunde hat, die einen auffangen.

Wie gehen Sie dann mit Verrissen um?
Es ist schade, wenn Kritiker nicht sehen, dass man da sechs Wochen lang geackert hat, und verletzend gegen Regisseure oder Spieler losgehen. Aber negative Kritiken können auch Lust auf einen Abend machen. "Romeo und Julia“ am Volkstheater wurde zerfetzt, war aber eine der bestbesuchten Vorstellungen.

Und jetzt kommt die Buhlschaft, mit einem anderen als dem vorgesehenen Regieteam. Ist das nicht eine erhebliche Belastung?
Im Gegenteil, etwas ganz Neues machen zu können, statt in eine bestehende Inszenierung einzusteigen, löst den Druck eher. Außerdem bin ich von tollen Kollegen umgeben. Es ist sehr erleichternd, einmal nicht komplett verantwortlich zu sein. Man hört ja so viel, was die Buhlschaft alles außerhalb der Bühne bewältigen muss. Aber ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich nicht vergesse, es zu genießen.

Aber was tut man mit diesen 30 Sätzen, die wesentlich davon handeln, dass sich eine Frau ständig dafür entschuldigt, ihrem Lebensgefährten nicht ins Grab zu folgen?
Auch ich werde nicht alle Antworten finden. Aber ich werde mich bemühen, dass es nicht nur um das geht, was ich anhabe. Ich gehe ins Theater, damit ich etwas über Beziehungen erfahre. Und da habe ich mit dem Tobias den idealen Partner - ein toller Schauspieler und Kollege, dem es nur um die Sache geht, der im großen Bogen eines Ensembles denkt und sich nicht nur für sich selber verantwortlich fühlt. Da entsteht eine Energie, der man sich nicht entziehen kann.

Dass Sie Gegenstand ununterbrochener Begehrlichkeiten seitens der Gesellschaftspresse sein werden, ist klar?
Ich wäre naiv, wenn ich nicht wüsste, dass das auf mich zukommt. Aber in meinem Vertrag steht ja nicht, dass ich alles machen muss. Ich werde kein Souvenirstandl sein.

Haben Sie die Buhlschaft auch wegen Ihrer Eltern angenommen? Weil man es geschafft hat, wenn man auf dem Domplatz steht?
So ist das doch nicht. Man wird für die Rolle ja angefragt, weil man schon etwas geleistet hat. Meine Eltern freuen sich total, und das war bestimmt auch ein Hauptgrund, es zu machen. Aber die wissen ganz genau, was für mich den Beruf ausmacht und was mich erdet.

Sie sind eine Schauspielerin, die sich mit Leib und Seele in eine Rolle stürzt. Heute dominiert auf der Bühne aber die Performance, das Zerstückeln von Texten. Wie gehen Sie damit um?
Ja, die jungen Regisseure stehen unter großem Druck, innovativ sein zu müssen. Wenn man stringent eine Geschichte erzählt, ist man fad. So dominieren immer mehr die Mittel, auch die Ausstattung. Ich habe jetzt als Abschiedsvorstellung vom Volkstheater "Philoktet“ von Heiner Müller gemacht, mit meinem Lebensgefährten Calle Fuhr, der auch mit mir nach Berlin geht, als Regisseur. Das war eine meiner schönsten Aufgaben: nichts als zwei Körper auf der Bühne, und es geht nur um Menschen.

»Nacktsein hat nichts mit der Menge des Gewandes zu tun«

Sie werfen sich bis zur Selbstaufgabe in eine Rolle, nicht?
So verstehe ich meinen Beruf.

Leiden Sie auch emotional unter einer Rolle?
Der Zuschauer soll leiden, nicht ich. Theater ist keine Selbsttherapie, um selber eine Art von Reinigung zu erfahren. Aber je verletzlicher man sich selbst auf der Bühne macht, je mehr man sich preisgibt, desto mehr kann man die im Zuschauerraum einladen. Das ist kein Spiel mehr, sondern Ehrlichkeit, und es gibt kein Medium, das stärker sein kann als das Theater. Darum liebe ich diesen Beruf so.

Nun ist es heute guter Ton, auf der Bühne nackt zu sein. Aber empfanden Sie das in Handkes "Selbstbezichtigung“ am Volkstheater nicht als extreme Entäußerung?
Ach, das ist nichts mehr so Besonderes. Beim ersten Mal, in Düsseldorf, da war es noch eine Entscheidung, und ich habe es erst in einer späteren Vorstellung gemacht. Aber Nacktsein hat gar nichts mit der Menge des Gewandes zu tun. Wenn ich beim Handke am Schluss wieder angezogen auf der Bühne sitze - entblößter könnte ich nackt auch nicht sein.

Wie haben Sie den rasenden Aufstieg der vergangenen Jahre selbst erlebt? Sie kamen unbekannt aus Düsseldorf ans Burgtheater, wo gerade der Direktor entlassen wurde, dann wurden Sie Schauspielerin des Jahres, aber da waren Sie schon am Volkstheater, dessen Publikumskrise Sie mit Ihrer Beliebtheit halbwegs in Schach halten. Ist das nicht eine Belastung für die Zukunft?
Einerseits fühle ich mich, als hätte Wien mich umarmt, und wirklich ist mir in sehr kurzer Zeit passiert, was andere in vielen Jahren schaffen, und man hat mir Begriffe wie "Retter“ umgehängt. Aber andererseits habe ich immer nur gearbeitet und meinen Job gemacht und hatte das Glück, im richtigen Moment auf die richtigen Menschen zu treffen, die mir gut getan haben. Dann ist man aber an dem Punkt, an dem man sich sagt: Mehr kann jetzt erst mal nicht mehr kommen. Deshalb denke ich mir manchmal, dass ich es ein bisschen mehr hätte genießen müssen. Aber es nimmt auch den Druck, weil ohnehin klar ist, dass das Ganze etwas zurückgehen muss. Davon will ich mich nicht abhängig machen. Ich will mit meinem Beruf glücklich sein. Wenn das so bliebe, wäre ich wahnsinnig froh.

Wie haben Sie Matthias Hartmanns Sturz am Burgtheater erlebt?
Ich habe ihn nie kennengelernt, weil ich genau in die kurze Leerstelle geflutscht bin. Man hat schon die Angst und Unsicherheit gespürt. Und der Mensch, der ich damals war, hat sich zu klein gefühlt für dieses große Haus.

Dann gingen Sie ans Volkstheater, das sich in der neuen Direktion bis heute nicht von seiner Publikumskrise erholt.
Es hat sich richtig angefühlt, hinzugehen, und ich bereue das nicht. Ich habe in diesen zwei Jahren wunderbare Leute kennengelernt und wunderbare Sachen gespielt. Ich war mit dabei, dieses riesige Schiff ins Wasser zu ziehen. Aber schwimmen müssen sie jetzt selber.

Werden die noch schwimmen?
Ich bin sicher. Es wird hart, aber Anna Badora hat einen Mut und eine Willensstärke, die bewundernswert sind.

»Ich mache den Job doch nicht, damit ich auf der Straße erkannt werde«

Nun ist in Berlin die Anonymität des Schauspielers viel größer als in Wien …
Ist das nicht großartig? Ich mache doch diesen Job nicht, damit ich auf der Straße erkannt werde!

Einmal ehrlich - werden Sie denn nicht gern auf der Straße erkannt?
Klar, aber mir ging es davor auch gut. Gefreut hat mich, dass mich im Fitnesscenter eine Frau gefragt hat, ob sie mich umarmen darf, weil sie so froh ist, dass es mich gibt. Wenn man das mit seiner Arbeit auf der Bühne erreicht hat - das ist schön.

Haben Sie eine Präferenz, wer nach Karin Bergmann das Burgtheater übernehmen soll?
Es wird schon der Herr, von dem alle sprechen.

Martin Kušej also. Kennen Sie ihn?
Er ist ein toller Regisseur. Was für ein Intendant er ist, weiß ich nicht.

Könnten Sie sich vorstellen, unter ihm an die Burg zurückzukehren?
Es ist nicht nur die Burg, es ist Wien. Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann wieder nach Wien zurückkommen werde.

Werden Sie es denn vermissen?
Total. Ich arbeite grade eine Liste der Dinge ab, die ich unbedingt noch machen möchte. Cafés, die ich noch besuchen möchte, Kaffee in der Aida, noch einmal auf die Gloriette gehen, noch einmal ins Reinhardt-Seminar.

Sie sagten einmal, Sie wollten immer Schauspielerin werden. Ihr Vater ist Angestellter im Außenministerium, die Mutter Amtsleiterin in Wiener Neudorf. Sind Sie da nicht ganz unkünstlerisch aufgewachsen?
Es gab kein Fernsehen, bis auf einmal die Woche sonntags, wenn Erich Schleyer Märchen vorlas. Sonst haben wir immer gespielt. Wir haben im Park Märchen aufgeführt, und wenn uns Bücher vorgelesen wurden, haben wir die Geschichten nachgespielt. Und seit ich ein winziges Wesen war, wurde ich ins Theater geschleppt. Und ich war beseelt davon.

Stefanie Reinsperger

wurde am 30. Jänner 1988 in Baden bei Wien geboren und wuchs teilweise in Belgrad und London auf, da ihr Vater beim Außenministerium arbeitet. Nach der Ausbildung am Reinhardt-Seminar spielte sie drei Jahre in Düsseldorf, ehe sie ans Burgtheater kam und sofort zur deutschsprachigen Schauspielerin und Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt wurde. 2015 wechselte sie ans Volkstheater. Im Herbst beginnt sie am Berliner Ensemble, der früheren Peymann-Bühne.