"Alles, was ich mache,
mache ich radikal"

Stefan Petzner will sich selbst neu erfinden

Stefan Petzner war Jörg Haiders Pressesprecher und engster Begleiter. In Klagenfurt steht er wegen Untreue vor Gericht. Doch der ehemalige Rechtspopulist sucht keine Ausreden mehr. Und stellt sich dem Leben.

von Stefan Petzner © Bild: Manfred Klimek für News

Der Angeklagte wartet in der Bar eines Lounge-Restaurants am Wiener Graben. Man bezichtigt ihn der Lüge und der Liebedienerei. Man macht ihn für ein System mitverantwortlich und für die Methoden dieses Systems, die nur nach und nach an die Öffentlichkeit gelangen. Letzten Donnerstag wurde der Prozess gegen ihn und andere ehemalige BZÖ-Politiker in Klagenfurt fortgesetzt. Anklage: Untreue. Der Angeklagte widerspricht nur in Details.

Stefan Petzner, 36, hagerer, trainiert, die Haare so lang wie der Dreitagesbart schwedischer TV-Kommissare, passgenaues modisches Sakko, dunkle Jeans ohne Risse und Flicken, Sportschuhe, zwei Smartphones, eine angebrochene Packung nikotinarmer Zigaretten, buntes Billigfeuerzeug ohne Werbeaufdruck. Ein Mann, bekannt für seine Tränen. Vor ihm steht ein Milchkaffee. Erster Eindruck: könnte der Zwillingsbruder des deutschen Autors Benjamin von Stuckrad-Barre sein. Zweiter Eindruck: Stefan Petzner ist entspannt, zu entspannt für jemanden, der vor Gericht steht und den der Richter ins Gefängnis schicken kann.

© Manfred Klimek für News

Petzner schluckt seinen Milchkaffee hinunter und bestellt ein Wodka-Red- Bull - das erste von vier an diesem Nachmittag. Highball-Glas statt Tumbler, vier Stück Eis, ein schwarzer Strohhalm. Der Alkohol wird seine Aufmerksamkeit das ganze Gespräch über nicht mindern. Und Petzner ist sehr aufmerksam, hört zu, nimmt jede Frage genau wahr, wiederholt sie manchmal leise, weil er damit mehr Zeit gewinnt, eine befriedigende Antwort zu finden - vor allem für sein Gegenüber.

Ewiges Missverständnis

Am Anfang des Gesprächs bittet Petzner, nicht wieder absichtlich falsch verstanden zu werden. Petzner fühlt sich von den österreichischen Medien meistens, gelinde gesagt, missverstanden. "In Deutschland ist das anders", sagt Petzner. Doch hierzulande bleibt er immer einer jener verächtlich als "Buberlpartie" gebrandmarkten Jungpolitiker um Jörg Haider. Sein Pressesprecher mit 22. Später, mit 26, Abgeordneter des BZÖ. Einer der fleißigsten Parlamentarier überhaupt - so die Nachrede. Doch es war das Leben in Kärnten, das ihn prägte. An der Seite von ihm. Nicht von seiner Seite weichend. "Mein Wort war damals Haiders Wort", sagt Petzner. "Ich weiß erst heute, welche Macht ich damals hatte."

»Der Stefan Petzner ist gerne ein Entertainer«

Stefan Petzner ist ein merkwürdiger Mensch, der danach strebt, die merkwürdige Figur, die er für viele immer noch darstellt, der Vergangenheit zu überantworten. Einen bemerkenswerten Schritt in diese Richtung tat Petzner, als er am 18. Jänner dieses Jahres im Klagenfurter Gerichtsaal aus heiterem Himmel ein Geständnis ablegte. Den Unterhaltungswert seiner Aussage steigerte Petzner mit einem Bonmot über den ehemaligen Landeshauptmann und Haider-Nachfolger Gerhard Dörfler, das diesen dumm dastehen ließ ("er hat bei den Filmaufnahmen zehn Anläufe für einen einzigen Satz gebraucht"). Hätte Petzner nicht tun müssen. Hat er getan.

"Der Stefan Petzner ist gerne ein Entertainer", sagt Petzner über sich und kommt noch während des Sprechens darauf, dass er von sich gerade in der dritten Person spricht. Wie es viele Politiker der FPÖ gerne tun. Sein Gesicht zuckt leicht. Das wollte er nicht. Das ist das alte Muster. Das soll vorbei sein. "Ich unterhalte gerne Leute, bin gerne auf der Bühne", bringt er den Satz zu Ende.

Deswegen hat er sich belastet? Wegen der Show? Oder will er tatsächlich reinen Tisch machen? Petzner lehnt sich zurück. "Alles, was ich mache, mache ich radikal.

Ich habe immer sehr radikal gelebt. Wenn man so radikal lebt, dann muss man zu seinem Leben stehen und auch zu dem, was man gemacht hat." Und wenn er wegen dem, was er gemacht hat, hinter Gitter muss? "Das ist freilich nicht erfreulich", sagt Petzner, "aber dann ist das so. Dann soll das eben so sein." Petzner schaut zu Boden. Ganz kurz wirkt er sehr müde.

Stefan Petzner hat gepflegte, für sein Alter zu alte Hände. Die Finger hält er während des Redens offen, seine Gestik ist einladend, seine Arme verschränkt er nie. Er war gerade in einer deutschen Talkshow zu Gast: öffentlich-rechtliches Fernsehen, seriöses Programm, kein Pöbelsender - das ist ihm wichtig. Das Thema der Diskussionsrunden ergibt sich aus Petzners Karriere: der Rechtspopulismus und der Umgang mit ihm. Petzner ist der "Inside Man", wird zu Sendungsbeginn als "Haiders Schatten" vorgestellt, als "Mann, der sich gerne wie ein Dandy gibt". Doch Petzner war weder Haiders Schatten, noch ist er ein Dandy. Man stärkt das Klischee an ihm wie die Krägen weißer Hemden. Man will einen vorgefertigten Gast. Aber dann sagt Petzner etwas anderes, als alle erwarten. Das macht ihn für die Sender noch wertvoller. Und weil der Rechtspopulismus nicht mit einem Fingerschnippen von der politischen Bühne verschwinden wird, wird Petzner weiter über ihn referieren, ihn erklären und auch vor ihm warnen.

© Manfred Klimek für News

Die Welt verändern

Stefan Petzner ist ein Grenzgänger. Aufgewachsen in Laßnitz bei Murau, einer steirischen Gemeinde unmittelbar an der Kärntner Grenze. Wie darf man sich das vorstellen? "Wohnzimmer in der Steiermark, Terrasse in Kärnten", antwortet Petzner. Er ist das dritte Kind von fünf Kindern einer Großbauernfamilie, der Betrieb ist 150 Hektar groß: viel Land, viel Arbeit, viel Ertrag, ausreichend Geld. Der Vater saß für die FPÖ im Gemeinderat, Sohn Stefan wuchs in einer politischen Familie auf, in der die Diskussion gefördert wurde. Als die Berliner Mauer fiel, war Petzner acht Jahre alt. Der Vater holte die Kinder vor den Fernseher und erklärte ihnen, dass gerade Weltgeschichte geschrieben werde. Petzner, zweite Klasse Volksschule, begriff, dass Politik sehr viel verändern kann. Und dass das sein Weg sein soll: dorthin zu gehen, wo man etwas verändern kann.

Petzner verortet sich als Liberaler. "Haider", sagt er, "war immer ein Liberaler und keiner von den Deutschnationalen, die heute in der FPÖ das Sagen haben." Und wie erklärt er sich dann die fürchterlich aggressiven Brandreden, die Haider gegen Ausländer und Altparteien, wie er SPÖ und ÖVP nannte, hielt?"Er hat irgendwann bemerkt, dass man mit diesen Themen viel Stimmen bekommt." Petzner zuckt mit den Schultern. Wieder dieser kleine Anflug resignativer Müdigkeit.

Doch bevor Petzner zur Politik und die Politik über ihn kam, kam der Tod. Er wurde krank, einige Zeit stand es kurz vor knapp. Ist er religiös? "Ja", sagt Petzner, "es gibt Gott. Ich bin ihm begegnet, er zeigt sich dir, wenn du ihn suchst." Wenn er nach Laßnitz zurückfährt, 200 Einwohner, ein Wirtshaus, dann besucht er manchmal auch den Abt der Benediktiner in St. Lambrecht. Der heißt passenderweise Benedikt und ist sein Partner in Sachen Spiritualität. Wie ist es, wenn man mit 17 fast gestorben wäre?"Ich wurde hungrig nach Glück. Und hungrig nach Abenteuer", sagt Petzner. "Ich wollte nie ein normales Leben führen, also Schule, Arbeit, Heirat, Kinder, Haus, Pension und Tod. Ich wollte und will ein intensives Leben, ein Leben, das keiner Norm entspricht. Und das habe ich auch bekommen."

Stefan Petzner
© Manfred Klimek für News

Liebe

Und Liebe? Hat er Liebe bekommen, Liebe gegeben?"Liebe", sagt Stefan Petzner leise und lehnt sich zurück, die Augen im Nichts festmachend, "ja, die Liebe. Alles geschieht aus Liebe." Hat er geliebt? "Ja!" Was ist schiefgelaufen mit der Liebe? Petzner setzt an. Und unterbricht. Er ringt mit sich, seine Augen werden feucht. "Mein größter Fehler war, Menschen vorbeiziehen zu lassen, die ich besser bei mir behalten hätte." Und Jörg Haider? War Jörg Haider Liebe? Petzner atmet aus, ein Stoßseufzer. "Die Frage kommt immer wieder", sagt Petzner kopfschüttelnd, "und sie wird immer wieder falsch gestellt." Falsch?"Ja, weil sie nur aus einem Grund gestellt wird. Und das wissen Sie auch."

Kurze Pause. Das Gespräch ist an jenem Punkt angekommen, wo es heikel wird. Doch die Frage steht unschuldig da. "Liebe kann vieles sein", sagt Petzner, "und Jörg Haider war für mich wie ein zweiter Vater, er hat mich beschützt und behütet, hat immer gesagt: Du bist wie ein Sohn. Ich glaube, ich war der Sohn, den er immer vermisst hat." Und war er ein Vater?"Haider war mein Lebensinhalt. Alles drehte sich um ihn. Ich hatte keine Freunde, keine Liebe, Haider war mein Leben. Er sagte einmal: 'Ich stehle dir deine besten Jahre.' Jetzt weiß ich, wie er das gemeint hat." Und nach Haiders Tod?"Nach Haiders Tod habe ich das Partyleben nachgeholt", sagt Petzner. "Ich habe nichts ausgelassen, aber weiter das Gefühl, Menschen versäumt zu haben." Petzner schweigt, denkt, leert den Drink. "Noch einen?"

»Mein Leben sollte immer wie ein Feuerwerk sein: laut, leuchtend, sprühend, und es soll knallen«

Dann ein Ruck. "Ich habe es kommen sehen", sagt Petzner, "das mit Haider. Dass er stirbt. Irgendwie war das klar, dass da was passieren wird." Petzner raucht zwei Zigaretten hintereinander. Schnell. Dann - auch um vom Thema Haider wieder wegzukommen -ein Bekenntnis, wie von einem zornig-trotzigen Kind: "Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass das Leben fad sein soll", sagt Petzner. "Klar hätte ich irgendeinen Versorgungsposten nehmen können und wäre jetzt Teil dieses Systems. Aber das mache ich nicht, das kriege ich nicht hin." Man nimmt ihm das glatt ab.

Und dann folgt ein kleiner, überraschend poetischer Monolog, sein Eingeständnis, das Scheitern, das Vergängliche wahrzunehmen. "Mein Leben", sagt Petzner, "sollte immer wie ein Feuerwerk sein: laut, leuchtend, sprühend, und es soll knallen. Aber ich habe langsam das Gefühl, die Raketen gehen mir aus. Wenn der Himmel einmal nur noch schwarz und leer ist, habe ich vielleicht aber auch die Chance, endlich die Sterne zu sehen." Man ahnt, dass Petzner die drei Sätze im Kopf wohl einige Male formuliert hat - und viele Male neu. Es ist Kitsch. Aber es sitzt. Ein Kunststück.

Hat dieser Mann ein Korrektiv? Kann er aus seiner Haut und neben sich stehen? Kann er sich fragen: Was machst du? Wer bist du? Petzner neigt den Kopf. "Ich bin auf jeden Fall extrem selbstkritisch mit mir", sagt er, "und ich fordere mich." Mit welchem Ziel?"Ich muss lernen, glücklich zu sein", antwortet Petzner, "und ich muss lernen, mich auch mal in Ruhe zu lassen. Zumindest eine Zeit lang, denn länger halte ich das eh nicht aus."

Wenn der Tod nun ein zweites Mal an die Türe klopft, was würde Stefan Petzner, 36 Jahre alt, zu ihm sagen? "Komm rein, schau dich an, schön bist du nicht gerade", sagt Petzner. "Aber wenn du glaubst, dann gemma halt." Kurze Pause. "Haben Sie alles, was Sie brauchen?" Denke, ja. "Und war's gut?" Tut nichts zur Sache. Das Leben ist nicht immer Bühne.

Kommentare