Die Schuhe des Lebens

Kann man die Welt verbessern und trotzdem ein erfolgreicher Geschäftsmann sein? Heini Staudinger schafft das. Jetzt kommt ein Film über den Waldviertler Schuhfabrikanten ins Kino

von Fakten - Die Schuhe des Lebens © Bild: Marko Mestrovic

Ein Männlein schwimmt im Walde, ganz still und stumm. Der Film beginnt damit, dass Heini Staudinger, Schuhfabrikant aus dem Waldviertel, in einem idyllischen kleinen Teich seine Runden dreht. Dann schwimmt er ans Ufer und sagt: "Das ist das sogenannte Bill-Gates- Becken." Der Bill Gates sei nämlich schon ganz neidisch, weil er mitbekommen habe, dass Staudingers Swimmingpool viel schöner ist als seiner. "Und die Moral aus der Geschicht': Es gibt Freuden, wo Milliardäre haben den Zugang nicht."

Unternehmer sind selten erfreut, wenn ein Dokumentarfilm über sie gedreht wird. Manche setzen sogar alle Hebel in Bewegung, um den Film zu verhindern. Heini Staudinger, der Chef der Firma Gea, ist begeistert von dem Film, der über ihn gemacht wurde. "Das Leben ist keine Generalprobe" heißt er, ab dieser Woche läuft er im Kino. "Kommt alle zum Film", schreibt Staudinger im aktuellen Gea-Prospekt.

Regisseurin Nicole Scherg, eine in Wien lebende Deutsche, hat gar nicht versucht, sich Staudingers Charisma zu entziehen, sondern bewusst seine Perspektive eingenommen. "Mir ging es darum, von innen heraus mitzuerleben, wie schwer es ist, den hohen Anforderungen einer gerechteren Wirtschaft zu entsprechen", erklärt sie. "Der Film ist aber kein Imagevideo, ich will Staudinger nicht als Messias darstellen."

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Die Idee zum Film hatte Scherg schon vor dem Fall, der Staudinger berühmt gemacht hat: Vor vier Jahren hatte ihn die Finanzmarktaufsicht (FMA) angezeigt, weil er sich über seinen "Gea-Sparverein" bei Freunden und Bekannten rund drei Millionen Euro ausgeliehen hatte. "Unerlaubte Bankgeschäfte" lautete der Vorwurf der Behörde, Strafdrohung: bis zu 50.000 Euro. Staudinger verstand die Welt nicht mehr und ging auf die Barrikaden. Er organisierte eine Demonstration vor dem Parlament, er zog vor Verwaltungs-und Verfassungsgerichtshof, alles vergebens.

Im Film zu sehen ist der Auftritt vor der letzten Instanz, dem Unabhängigen Verwaltungssenat. Vor der Verhandlung hält Staudinger vor der mitgereisten Fangemeinde noch Brandreden, ehe der sichtlich genervte Vorsitzende den Saal räumen lässt. Es ist eine von Staudingers Lieblingsszenen im Film. "Man sieht, wie der Richter schwitzt. Und aus mir strahlt schon irgendwie eine tolle Furchtlosigkeit", sagt er stolz. Nach der Verhandlung stimmte er mit den Besuchern am Gang ein Lied von Erika Pluhar an, in dem die in den 20er-Jahren zum Tod verurteilten Anarchisten Sacco und Vanzetti besungen werden.

Dann ging Staudinger noch einmal zum Richter, um ihm ins Gewissen zu reden. "Als wir uns verabschiedet haben, gab's einen berührenden, melancholischen Moment", erzählt Staudinger. "Und dann hat er mich trotzdem verurteilt!" Dazu lacht er sein hemmungsloses Lachen, das man im Gespräch mit Staudinger sehr oft zu hören bekommt. Über seine Pointen haut er sich selbst am meisten ab, auch dann, wenn sie auf seine Kosten gehen. Über gelungene Streiche kann er sich sowieso diebisch freuen wie ein Bub. Dieses Lachen ist seine Geheimwaffe. Es hat nämlich etwas Entwaffnendes. Und ohne Schmäh wäre ein Weltverbesserer wie Heini Staudinger wahrscheinlich nur schwer auszuhalten.

Der Mann, der mit allen per Du ist, hat was von einem Volksredner. Er macht sich nicht nur mehr Gedanken als die meisten anderen, er will auch, dass diese gehört werden. Hat er etwas schon sehr oft gesagt, verfällt er in eine eigentümlich rhythmisierte Suada, er klingt dann wie ein Prediger.

Die Greißlerei als Uni

"Bei uns in der Familie musste bei größeren Festen irgendwer aufstehen und was sagen", erzählt er. "Selbst wenn man einen Blödsinn gesagt hat, war das etwas, was uns zusammengehalten hat. Diese Verpflichtung habe ich dann auch als Chef oft gespürt." Der 63-jährige Staudinger stammt aus dem oberösterreichischen Schwanenstadt. Die Greißlerei seiner Eltern bezeichnet er heute als "meine University of Economics". Hier habe er alles gelernt, was ein Unternehmer braucht: bedienen, hilfsbereit sein und kopfrechnen. "Heute noch rechne ich Excel-Tabellen nach -und finde immer wieder Fehler."

Mit 19 fuhren Staudinger und sein bester Freund Reinhold mit ihren Puch-Mopeds nach Tansania. Auf dieser Reise habe er gelernt, dass es im Leben nichts Wichtigeres gibt als das Leben, sagt er gern. Neben viel Schönheit sah er in Afrika auch unendliches Elend. Wenn sie in ein Dorf kamen, wurden ihnen gleich einmal die Einwohner mit den schwersten Krankheiten gezeigt - in der Hoffnung, die jungen weißen Männer könnten ihnen helfen. Weil sie das nicht konnten, begannen beide nach der Reise ein Medizinstudium.

Amour Schuh

Dass Staudinger es nach ein paar Jahren wieder abgebrochen hat, hatte zwei Gründe: Erstens ist er draufgekommen, dass die Idee, durch Medizin die Not in Afrika zu verringern, naiv war. Zweitens hat er sich spontan in ein Paar Schuhe verliebt. Ein Studienkollege, mit dem er sich im Café Merkur in der Wiener Florianigasse verabredet hatte, schwärmte von den dänischen Schuhen, die er sich gerade in München gekauft hatte. "Ich schau im Kaffeehaus unter den Tisch, sehe die Schuhe -und wie ich den Kopf wieder hebe, sage ich: ,Weißt was, ich hör jetzt auf mit dem Studieren. Ich werd Schuhhändler.' Ich habe mich nie für Schuhe interessiert, aber in der Sekunde ist die Entscheidung gefallen."

Staudinger trampte nach Dänemark und bot den Produzenten der "Earth Shoes" an, diese in Österreich auf den Markt zu bringen. Als er heimkam, hatte er Ware im Wert von 300.000 Schilling (21.800 Euro) bestellt. Weil er das Geld natürlich nicht hatte, griff er schon damals - wir schreiben das Jahr 1980 - zu einem Finanzierungsmodell, für das er heute bekannt ist: Er bat seine Freunde, es ihm zu borgen. "In zwei Tagen habe ich das Geld beinandergehabt."

Das erste Geschäft - es existiert heute noch - eröffnete Staudinger 1980 in der Langen Gasse im 8. Bezirk; inzwischen gibt es 52 Gea-Filialen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. 1991 stieg er bei der als Sozialprojekt gegründeten Waldviertler Schuhwerkstatt in Schrems ein, seit 1994 ist er Mehrheitseigentümer. Damals waren zwölf Leute in Schrems beschäftigt, heute sind es 150. "Krisenregionen sind Traumregionen für Pioniere", sagt Staudinger.

Wenn er durch seine Schuhfabrik führt, begrüßt er jeden Arbeiter namentlich und in der jeweiligen Landessprache ("Salem aleikum!"), dazwischen doziert er über den Niedergang der europäischen Schuhindustrie. "Im Preiskampf haben sie so Blödheiten gemacht, wie dass sie Fersenkappen um 2,50 Schilling gekauft haben statt die um drei -und der Schuh hat nur noch halb so lang gehalten", sagt er. "Mir war eines immer klar: Wir können nicht billig sein, und wenn wir nicht billig sind, müssen wir gut sein. Deshalb habe ich im Zweifelsfall immer das bessere Material genommen."

© Marko Mestrovic

In Schrems gibt es fast 4000 Arbeitsplätze, das ist viel für eine Stadtgemeinde mit 5500 Einwohnern. Es gibt eine Brauerei (Schremser Bier) und ein Granitwerk, das unter anderem den Belag für die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße geliefert hat. Die größten Arbeitgeber sind das Elektrotechnikunternehmen Eaton und der Fertighaushersteller Elk, am sichtbarsten aber ist Gea. Abgesehen von der - gleich neben der Brauerei gelegenen - Firmenzentrale hat Staudinger in den letzten Jahren etliche Immobilien aufgekauft, darunter das Hotel Post sowie eine aufgelassene Bipa- Filiale am Hauptplatz und einen stillgelegten Kindergarten, den der Architekt der Wiener Uno-City in den 60er-Jahren errichtet hatte. Den Kindergarten möchte Staudinger zum Seminarzentrum für die Gea-Akademie machen, in der Vorträge in Wirtschaftsethik ebenso angeboten werden wie Ukulele- Kurse oder Schamanen-Seminare. Das Projekt stockt derzeit, weil es Probleme mit den Bauvorschriften gibt.

Wenn Heini Staudinger heute durch den Ort geht, muss er fünfzig Mal "Servas" sagen; "das gibt schon ein Gefühl von Zugehörigkeit". Es habe aber lang gedauert, bis er sich hier heimisch fühlte. 14 Jahre lang pendelte er zwischen Wien und Schrems, anfangs waren die Vibes so schlecht, dass er zum Schlafen über die tschechische Grenze fuhr. Dass die Bevölkerung dem zuag'rasten Tausendsassa immer noch nicht ganz über den Weg traut, zeigt das Ergebnis der Gemeinderatswahl 2015, bei der Staudinger -auf einem hinteren Listenplatz und als unabhängiger Kandidat - für die Grünen antrat. Das Resultat war ernüchternd: 223 Stimmen, ein Mandat.

Bürgermeister Karl Harrer (SPÖ) kann sich angesichts des Wahlergebnisses die Pointe nicht verkneifen: "Schuster, bleib bei deinem Leisten", sagt er. "Die Kandidatur war ein kompletter Flop", gibt Staudinger zu. "Aber wenn Politik ist, Lebensraum und den Umgang miteinander zu gestalten, gehöre ich sicher zu den wichtigen politischen Persönlichkeiten in Schrems."

Juristisch ist Staudinger aus dem Streit mit der FMA als Verlierer hervorgegangen; er wurde zu einer Verwaltungsstrafe von 2626 Euro verurteilt und musste sein Finanzierungsmodell der Gesetzeslage anpassen. Politisch hat sein Fall aber entscheidend dazu beigetragen, dass im September 2015 das Alternativfinanzierungsgesetz in Kraft trat, mit dem Crowdfunding-Aktionen à la Staudinger legalisiert wurden.

Verlierer sehen anders aus

Und geschäftlich war die Affäre effektiver als jede Marketingkampagne. Der Umsatz verdreifachte sich in sieben Jahren auf mehr als 30 Millionen Euro, allein 2013 ist er um 35 Prozent gewachsen. "Das ging eine Spur zu schnell, wir sind nicht mehr dazu gekommen, die Struktur anzupassen", sagt Staudinger. "Interessanterweise hat der Aufschwung aber schon 2008, nach dem Konkurs der Lehman Brothers, angefangen. Ich glaube, dass dieser Konkurs das Vertrauen vieler Menschen in die globale Wirtschaft erschüttert hat. Wir waren irgendwie verstehbarer, regionaler."

Ausgerechnet sein Widerstand gegen das System lässt Staudingers Geschäft jetzt brummen wie noch nie. Gesellschaftspolitisches Engagement und Egotrip sind bei Staudinger zwei Seiten derselben Medaille. Wer den Film sieht, kann sich gut vorstellen, dass der Mann auch verdammt schwierig sein kann. "Er ist ein Mensch, der seinen Handlungsspielraum ausreizt und natürlich auch oft an Grenzen stößt", sagt Regisseurin Nicole Scherg dazu.

© Marko Mestrovic

Nach Afrika reist Heini Staudinger immer noch regelmäßig, halt nicht mehr mit dem Moped. Gea unterstützt Projekte in Kenia, Tansania und Äthiopien, die Schwerpunkte liegen auf Schulen und dem Kampf gegen die Mädchenbeschneidung; rund 200.000 Euro Spendengelder kommen im Jahr zusammen. "Im Großen sind unsere Afrika-Geschichten ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Staudinger. "Aber im Kleinen ist es ein Ausdruck unserer Verbundenheit. Und ich bin dankbar, dass ich diese Verbundenheit leben darf."

Ideen zur Weltverbesserung verbreitet Staudinger auch in der Gratiszeitschrift "Brennstoff", die vierteljährlich in einer Auflage von 90.000 Stück erscheint. Gestaltet wird sie von einem Grafiker, der sich Moreau nennt. Er sagt: "Man spürt, dass es ernst ist, dass es um was geht."

Im Film wird es am Ende richtig ernst, wenn Heini Staudinger bei einer Betriebsversammlung im Speisesaal der Gea-Fabrik vom Suizid eines 17-jährigen Praktikanten berichtet. Dann erzählt er, dass sich vor Jahren auch sein Freund Reinhold -der, mit dem er in Afrika war -umgebracht hat. Bei dem Toten fand man damals Rilkes Gedicht "Der Panther", Staudinger kann es auswendig. "Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt." Ein Chef, der Rainer Maria Rilke rezitiert? Bei ihm geht sich sogar das aus.

Nein, das Leben ist keine Generalprobe und auch kein Film. Das Leben ist das Leben. Aber die Rolle, die er darin spielen will, hat Heini Staudinger gefunden.

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