Welche waren die effektivsten Maßnahmen, um Ihre Stadt wieder attraktiv zu gestalten?
Hanna Zdanowska: Eine solide Entwicklungsstrategie ist das Um und Auf, wie auch die Öffnung zur Außenwelt - auch im Hinblick auf die Anbindung. Außerdem haben wir stark in Sanierungsprojekte wie etwa in den Bau eines brandneuen Stadtzentrums investiert, was eine bessere Lebensqualität zur Folge hatte. Wichtig ist uns auch eine mutige Umweltpolitik.
Wir arbeiten als Stadt zudem eng mit allen relevanten Akteur:innen zusammen. Arbeitgeber:innen selbst starteten Initiativen, wodurch die Zahl der hochwertigen Arbeitsplätze insbesondere für junge Menschen gestiegen ist.
Das war aber alles nichts Revolutionäres, sondern solide Planung gepaart mit Beteiligungsmöglichkeiten und Konsequenz in der Umsetzung.

Wie sehen diese erwähnten Möglichkeiten zur Beteiligung für die Bevölkerung aus?
Alle Sanierungsprojekte werden bei uns unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaften durchgeführt, da dieses partnerschaftliche Modell in unseren Programmen und Entwicklungsstrategien sogar ausdrücklich festgeschrieben und ein Eckpfeiler unserer Stadtentwicklungsstrategie ist. Als Beispiel: Das Konzept zur Revitalisierung der gesamten Innenstadt wurde gemeinsam mit unseren Bürger:innen entwickelt.
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Wie engagiert sind die Menschen in Łódź, sich zu beteiligen?
Die Menschen sind sehr engagiert. Über 175.000 Personen haben etwa an der Erstellung des letztjährigen Budgets mit Vorschlägen und Abstimmungen teilgenommen - in einer Stadt mit rund 700.000 Einwohner:innen!
Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, um junge Menschen anzuziehen und zu binden - und welche Rolle spielt dabei das kulturelle Angebot?
Erstens: Für junge Menschen zählen gute Aussichten für die eigene persönliche sowie familiäre Entwicklung. Das bedeutet: Jobs, Jobs und noch einmal Jobs.
Zweitens: Die Verfügbarkeit von Wohnraum und drittens: eine bessere Lebensqualität, was ein angemessenes Angebot an kulturellen Einrichtungen inkludiert.
Aber: Niemals andersherum! Denn was nützt ein außergewöhnliches Angebot an Veranstaltungen, wenn die Menschen arbeitslos sind und ohnehin kein Geld für Tickets haben?
Łódź ist eine Universitätsstadt: Wie sehr sind die Student:innen in das Stadtleben integriert? Und was versucht man, damit sie nach Abschluss ihres Studiums bleiben?
Die Mehrheit der Student:innen stammt aus der Region, wobei die Zahl der ausländischen Studierenden rasch zunimmt. Unsere Universitäten sind erstklassige Lehranstalten, deren Absolvent:innen sich keine Sorgen um einen gut bezahlten Arbeitsplatz machen müssen. Das ist der Grund, warum die Studenten hier nicht nur studieren, sondern Łódź auch aktiv mitgestalten. Sie sind etwa Organisatoren einer Reihe von Veranstaltungen - und nicht nur deren passive Teilnehmer.
Dies bietet Łódź wiederum ein zunehmend besseres Investitionsumfeld für Unternehmen und ein Sprungbrett für hochwertige Arbeitsplätze.

Das heißt, die jungen Menschen bleiben?
In der Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen hält Łódź einen positiven Wanderungssaldo - allein im Jahr 2022 kamen 800 Personen mehr als weggezogen sind!
Doch natürlich stehen wir auch vor einigen demographischen Herausforderungen. Einfach gesagt: Ältere Generationen sterben, und jüngere Einwohner:innen tendieren dazu, an die Peripherie zu ziehen (dies macht mehr als 80 Prozent aller Migrationsströme aus Łódź aus). Aber: Sie arbeiten weiterhin in der Stadt und nutzen das Angebot.
Łódź galt einst als Stadt der Frauen. Ist sie das noch?
Ja. In Łódź ist die Anzahl der Frauen pro 100 Männer die höchste in ganz Polen - fast 120. Das ist eines der Vermächtnisse unserer Vergangenheit, als die Stadt ein Zentrum der Textilindustrie und der Bekleidung war. Darum sind die Stadt und die Unternehmen und Institutionen stark weiblich geprägt und Frauen sind häufiger in Führungspositionen zu finden als in anderen polnischen und sogar europäischen Städten.
Worin liegt das Potenzial von Łódź?
Łódź hat viel Potenzial! Etwa in Forschung und Wissenschaft: Łódź verfügt über ausgezeichnete Universitäten. Oder kulturell: Wir haben hervorragende Theater und - auch dank außergewöhnlich vielen lokalen Initiativen - ein reiches Angebot an kulturellen Events. Ebenso finden große Sportveranstaltungen statt.
Die Fläche unseres städtischen Grünraums ist die größte pro Einwohner:in Polens und wir haben bekannte Naturschutzgebiete.
Mit Autobahnen, einem Flughafen und einem ständig wachsenden Eisenbahnnetz sind wir außerdem hervorragend an Europa angebunden - und entwickeln uns zu einer wichtigen Logistik-Drehscheibe.
Welche drei Tipps würden Sie anderen Bürgermeister:innen geben, die ebenfalls mit Abwanderung und Überalterung zu kämpfen haben?
Erstens, den Bottom-up-Ansatz: Die lokalen Gemeinschaften sollten bereits in der Entwicklungsphase umfassend miteinbezogen werden. Lassen Sie die Menschen Projekte im Rahmen von moderierten Workshops und mit der entsprechenden Unterstützung von Expert:innen entwickeln. Das haben wir vor 13 Jahren getan und dabei wurden mehr als 1000 Ideen vorgeschlagen. Da die Mehrheit berücksichtigt wurde, erwies sich die Strategie als sehr effektiv und wurde zudem in der Umsetzungsphase von niemandem mehr in Frage gestellt.
Zweitens: Identifizieren Sie so schnell wie möglich die Stärken Ihrer Region sowie die Entwicklungsmöglichkeiten und Hindernisse. Vielleicht stellen Sie fest, dass das, was Sie für eine Schwäche hielten, ein großes, verborgenes Entwicklungspotenzial hat.
Drittens: Wenden Sie sich immer wieder neuen Chancen und Herausforderungen zu. Sie ändern sich in der Regel nämlich alle paar Jahre.
Info: Łódź (gesprochen “Wudsch”) liegt im Zentrum von Polen, rund 130 Kilometer südwestlich von Warschau. Die Stadt erlebte Mitte des 19. Jahrhunderts einen rasanten Aufstieg und wurde zu einer Metropole der Textilindustrie. Betriebe siedelten sich in der wasser- und holzreichen Gegend (Wälder und Flüsse prägen die Umgebung) an und machten vor allem mit Kunden aus Russland gute Geschäfte. Schnell wurden viele Arbeitskräfte benötigt, die Stadt wuchs. Mit 1989 gingen jedoch die Absatzmärkte in Russland und der ehemaligen Sowjetunion verloren, zehntausende Arbeiter:innen (mehrheitlich Frauen) verloren ihre Jobs. Die Arbeitslosenrate stieg auf über 30 Prozent.
Heute leben rund 655.000 Menschen in der Stadt. Die Zahl der neu gegründeten Unternehmen ist laut Zdanowska 2023 doppelt so hoch wie die Zahl der Unternehmen, die aufgelöst werden und die Stadt erlebt derzeit eine Periode kleinen, aber stabilen Wirtschaftswachstums. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp über vier Prozent.

Transparenzhinweis: Dieser Bericht entstand im Rahmen eines Workshops des forum journalismus und medien wien (fjum). Teil davon war eine Reise nach Brüssel, die vom Europäischen Ausschuss der Regionen finanziert wurde.