Matthias Stadler: „Die Regierung
ist in Hilflosigkeit gefangen“

Österreichs Landeshauptstädte sind auch heuer gefordert, dem Druck der Corona-Krise standzuhalten. Wo gibt es Probleme, was sind die größten Herausforderungen 2021? Der St. Pöltner Bürgermeister Matthias Stadler über Lockerungen, Krisenmanagement und seine Pläne für die Landeshauptstadt.

von Bürgermeister im Gespräch - Matthias Stadler: „Die Regierung
ist in Hilflosigkeit gefangen“ © Bild: KONSTANTINMIKULITSCH.AT
Matthias Stadler (* 9. Februar 1966 in St. Pölten) ist ein österreichischer Politiker (SPÖ) und ist seit 2004 amtierender Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz. Am 22. Februar 2021 wurde er vom Gemeinderat zum vierten Mal im Amt bestätigt.

Sie sind bei den Gemeinderatswahlen Ende Jänner zum vierten Mal in ihrem Amt als sozialdemokratischer Bürgermeister bestätigt worden. Ist bei einer „Absoluten“ von 56 Prozent ein Minus von drei Prozent noch wurscht?
Wurscht ist ein Minus natürlich nicht. Wir haben festgestellt, dass es in Zeiten von Corona schwierig ist, die Bevölkerung zum Wählen zu mobilisieren. Und als Demokrat schmerzt es mich natürlich, dass die Wahlbeteiligung deutlich gesunken ist. Und genau darauf ist das Minus ersten Analysen zufolge auch zurückzuführen. Trotzdem ist eine absolute Mehrheit in Zeiten wie diesen, wenn man sich die politische Landkarte Österreichs anschaut, noch immer ein Alleinstellungsmerkmal, das mich sehr freut.

Urschwarzes, jetzt türkisfarbenes Land, türkis-grüner Bund, aber knallrote Landeshauptstadt: Wie kommt man im Alltag aus?
Wir haben seit Jahren einen Modus gefunden, bei dem das Sachthema und die Lösung für Stadt und Bundesland im Vordergrund stehen, das war schon unter Erwin Pröll so und das ist es jetzt unter Johanna Mikl-Leitner auch. Das ist eine Qualität im professionellen Umgang, die ich sehr zu schätzen weiß, das musste allerdings auch erarbeitet werden. Das Land Niederösterreich hat akzeptiert, dass die Landeshauptstadt eine andere Farbe und politische Ausrichtung hat und das ist gut so.

»Wir werden politisch noch alle Hände voll zu tun haben«

Stichwort Alltag: Sind die Lockerungen bei den Maßnahmen gegen die Pandemie ein Grund für vorsichtigen Optimismus oder freuen wir uns zu früh?
Ich fürchte, wir freuen uns zu früh über Lockerungen. Ich würde zwar hoffen, dass ich mich täusche, aber es sind so viele Dinge nicht gelöst zurzeit. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung ist aus meiner Sicht durch verschiedenste Dinge verloren gegangen, das wirkt sich natürlich auch aus. In den letzten Tagen vor den Lockerungen hat man ja schon gemerkt, dass die Leute sich nicht mehr an die Maßnahmen halten. Das konnte man teilweise auch bei uns in St. Pölten im Straßenbild erkennen.

Da ich dem Städtebund in Niederösterreich vorstehe, bekomme ich auch Vieles mit. Ich kann nur sagen, dass die Bundesregierung das Glück vieler tüchtiger Städte und Gemeinden hat. Massentests mit dieser Vorbereitung wären nie möglich, wenn sie nicht eingesprungen wären. Theoretisch könnten wir ja auch noch viel mehr impfen, wenn die Impfstoffe vorhanden wären. Viele Maßnahmen sind zwar versprochen, aber eben nur sehr verzögert umgesetzt worden. Das stärkt das Vertrauen der Bevölkerung natürlich nicht. Wir werden politisch noch alle Hände voll zu tun haben, die Leute irgendwie bei der Stange zu halten.

Sind die Lockerungen also ein fauler Kompromiss, der sich im Vorfeld quasi schon verselbständigt hat?
Ich kenne viele, die in den letzten Wochen durch halb Europa gereist sind. Von den Ankündigungen, man würde kontrolliert und man müsse in Quarantäne, hat man in der Praxis nichts gesehen – egal, ob man mit dem Pkw, dem Zug oder sonst irgendwie unterwegs war. Da darf man sich dann natürlich auch nicht wundern, wenn man Mutationen schnell verteilt und sich dementsprechend Konsequenzen folgen. Der Punkt ist, dass es nur noch wenig Verständnis für harte Lockdowns gibt und das wird auch die politische Herausforderung bleiben.

»Nur mit Appellen oder durch bloßes Zuschauen kriegt man die Dinge nicht in den Griff«

Was ist mit dem Krisenmanagement falsch gelaufen?
Wenn man weniger verkauft und mehr gehandelt hätte, hätte ein Großteil der Probleme gelöst werden können. Lokal haben die meisten Städte und Gemeinden in der Corona-Krise durch aktives Handeln gelernt und dadurch auch Probleme gelöst.

Nur mit Appellen oder durch bloßes Zuschauen, wie das in vielen Fällen auf Bundesebene passiert ist, kriegt man die Dinge nicht in den Griff. Ich habe auch mit Bedauern festgestellt, dass bei Pressekonferenzen andere Dinge angekündigt worden sind als dann tatsächlich in den Verordnungen oder den Gesetzen gestanden sind. Die Bundesländer unterstützen uns deutlich besser als die Bundesregierung, das muss man ganz offen sagen.

Wie ist St. Pölten bis jetzt durch die Krise gekommen?
Was die Infektionszahlen betrifft haben wir keine Ausreißer, aber finanziell hat uns die Krise schon getroffen. Immerhin stehen wir vor der Situation, von der Wirtschaftszusammensetzung her besser als andere davonzukommen, weil wir viele Klein- und Mittelbetriebe haben.

Wie groß ist der Einschnitt, den man im Budget hinnehmen muss?
Es hat lange gedauert, bis wir auch finanzielle Unterstützung erhalten haben. Wir leiden unter beachtlichen Einnahmeverlusten: Ich bin lange im Geschäft und habe einige Krisen in meiner Amtszeit durchlebt. Aber das, was wir jetzt erleben, ist mit keiner der bisherigen Krisen vergleichbar und die Folgen werden uns noch sehr lange beschäftigen.

Die Städte und Gemeinden haben zwar eine Milliarde Euro vom Bund bekommen, aber die Hälfte von jeder Summe, die uns zusteht, mussten wir selbst finanzieren. Es gibt jetzt einen Ausgleich, der die ärgsten Lücken im ersten Quartal überbrücken soll, dafür ist eine weitere Milliarde Euro vorgesehen, die wir auch wieder zurückzahlen sollen ab 2023 oder später. Wir wissen aber jetzt schon, dass nicht einmal zwei Milliarden Euro dafür ausreichen werden. Da ist die Bundesregierung jetzt gefordert zu handeln – und nicht erst, wenn die ersten Gemeinden zahlungsunfähig geworden sind oder keine Liquidität haben.

Es geht letztendlich ja darum, die Finanzkraft aufrechtzuerhalten: Wir sind die größten Investoren der Republik, es wäre also fatal, wenn wir nicht mehr investieren. Springt die Wirtschaft wieder an und die Lockdowns sind vorbei, dürfen wir keinen weiteren Durchhänger mehr haben. Gerade Städte und Gemeinden müssen dann ein Investitionsprogramm fahren können.

»Die Regierung ist in einer Hilflosigkeit gefangen«

Verlässt sich der Bund zu stark auf Städte und Gemeinden?
Man hat in den letzten Tagen und Wochen sehr deutlich gesehen, dass die Regierung in einer Hilflosigkeit gefangen ist. Sie hat das Glück, dass andere Ebenen in Österreich sehr gut funktionieren, um die Bevölkerung bei der Stange zu halten und letztendlich auch zur Beruhigung beitragen. Sonst wäre die Stimmung noch einmal ganz anders.

Wird St. Pölten auf etwas verzichten müssen?
Wir haben in den letzten Jahren für verschiedene Zwecke Rücklagen gebildet. Wir haben dieses und letztes Jahr die Abgänge in Millionenhöhe daraus bedecken können, uns geht es in St. Pölten also gut. Zurzeit muss ich also noch kein Projekt zurückstellen. Dauert die Krise allerdings noch länger als ein bis eineinhalb Jahre, dann sieht die Situation sicherlich wieder anders aus, dann ist der Polster aufgebraucht.

Was sind Ihrem Ermessen nach derzeit die größten Sorgen der St. Pöltnerinnen und St. Pöltner?
Die größten Sorgen sind natürlich, wie es Corona-bedingt weitergeht und wann wieder Normalität in den Alltag einkehrt. Besonders große Zukunftsängste haben natürlich die Leute, die sich in Kurzarbeit befinden oder arbeitslos geworden sind.
Viele Leute fragen sich natürlich auch, wer den ganzen Berg Schulden bezahlen wird, der sich angesammelt hat. Ich hätte noch nicht mitbekommen, wie die Regierung in der Zeit nach Corona die vielen angesammelten Milliarden finanzieren möchte und wen sie zur Kasse bitten wird.

Was möchten Sie heuer für St. Pölten unbedingt erreichen?
Ich wünsche mir insgesamt eine bessere Stimmung, die auf eine positive Zukunft ausgerichtet ist. Bei all den Problemen, die wir derzeit haben, versuche ich meinen Optimismus beizubehalten. Was die Stadt betrifft, möchten wir zunächst den öffentlichen Nahverkehr ausweiten. Mit 30. April werden alle Linien bis in die Abendstunden hinein fahren.

Apropos Verkehr: Wie stehen Sie zur Zukunft der Westbahnstrecke?
Wir werden weiterhin vehement dafür kämpfen, dass es keine Zurücknahme der Zugverbindungen auf der Westbahnstrecke geben wird. Das ist so eine wichtige Lebensader, eine Reduktion der Verbindungen wäre ein ganz großer Fehler.

Gerade vor dem Hintergrund des zukünftigen Klimatickets sollte man auf Hochleistungsstrecken wie diese achten und Bahnkunden nicht zum Auto treiben. Da würde sich die Grün-Politik endgültig von allem verabschieden, was angekündigt und sinnvoll ist, und einen Aufstand der Pendler provozieren. Das würde ja nicht nur St. Pölten treffen.

»Den wenigsten Menschen ist dabei bewusst, auch jetzt in der Corona-Krise, dass Städte und Gemeinden an jeder Steuerreform mitzahlen«

Und wie stehen Sie zur Finanzierung des Klimatickets?
Das ist einer der großen Knackpunkte. Hier gilt es auf jeden Fall eine möglichst neutrale Situation für alle Bundesländer herzustellen. Der Bund hängt uns bei verschiedenen Dingen immer seine Programme um. Den wenigsten Menschen ist dabei bewusst, auch jetzt in der Corona-Krise, dass Städte und Gemeinden an jeder Steuerreform mitzahlen.

Und gerade beim Klimaticket ist es auch wirklich entscheidend, dass der Bund es machen soll, wenn er das österreichweit möchte. Im Gegensatz dazu würde es nur die Möglichkeit geben, dass uns der Bund zusätzliche Gelder gibt, dann kann man im Zuge eines Finanzausgleichs über alles reden.

Und welche Pläne gibt es über den öffentlichen Verkehr hinaus?
Wir haben auch ein paar Grünraum-Projekte, die wir heuer angehen werden, zum Beispiel ein Naherholungsgebiet am ehemaligen Truppenübungplatz Völtendorf oder die Verbesserung der Aufenthaltsqualität an der Promenade. Darüber hinaus haben wir mit dem Land Niederösterreich ein großes Kulturpaket für 2024 geschnürt und auch am Domplatz stehen mehrere Neuerungen an. Das sind nur einige von vielen Initiativen, die wir heuer umsetzen möchten.

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