"Parsifal": Quälende Erlösung

Regisseur Alivs Hermanis und Dirigent Semyon Bychkov martern mit Wagners "Parsifal"

Der Sturm an Protesten gegen Regisseur und Dirigent nach 5 Stunden und 20 Minuten glich einem Orkan. Alvis Hermanis verlegte Wagners Erlösungsgeschichte in die Nervenklinik auf der Baumgartner-Höhe. Semyon Bychkov zerdehnte die Partitur sinnfrei. Das Glück im Unglück dieser Premiere war René Pape, der kurzfristig für Hans-Peter König als Gurnemanz eingesprungen ist. Christopher Ventris, Nina Stimme und Gerald Finley glänzen.

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Parsifal © Bild: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Alvis Hermanis hatte eine Idee. Das Problem aber, er machte nichts daraus. Die Gralsburg ist eine Nervenklinik. Die Ritter des Grals deren Insassen. Gurnemanz und Klingsor agieren als Ärzte. Einzig Parsifal ist der, der er ist: der Ritter, der die Verdammten erlösen soll. Der Gral ist ein Hirn, das für Erleuchtung sorgen soll. Das klingt alles recht schlüssig. Brav interpretiert. Aber die Ausführung bleibt leer.

Das Ärgernis begann bereits beim Vorspiel. Auch wenn nett anzusehende Lichtspiele den Blick in einen Krankenhaussaal, wo ein Art (Gurnemanz) vor einem Grammophon sitzt, erhellen, braucht es hier nichts auf der Bühne.

Parsifal
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die Kritikerin hat zahlreiche Inszenierungen von Wagners "Parsifal" gesehen, niemals aber eine, wo ausgerechnet eine der Schlüsselszenen, nämlich die "Verwandlung" uninszeniert bleibt. Spätestens da wird klar, dem Regisseur ist offensichtlich nichts mehr eingefallen. Wände werden verschoben, das Licht bleibt mehr oder weniger Gleich. Möglicherweise versucht Hermanis das Diktum "zum Raum wird hier die Zeit" wörtlich zu nehmen und beschränkt sich mit dem Zeigen von Räumen. Dann führt auch noch Klingsor Kundry im versperrten Gitterbettkäfig ab.

Ein Rekord an Fadesse ist der zweite Aufzug. Klingsors Zaubergarten ist in die Pathologie verlegt. Auf einem Operationstisch versucht er mittels Elektroschocks eine Frauenleiche zum Leben zu erwecken. Es funktioniert aber nicht. Mit weißen Leintüchern verdeckte Körper erwachen beim Auftritt Parsifals zum Leben. Die Blumenmädchen erwachen. Billige Mutzenbacher-Kopien mit haubenartigen Perücken strecken sich nach dem Recken. Und dann kommt Kundry. Die bedauernswerte Nina Stemme ist wie die Figur eines Klimtgemäldes in eine Art von Goldvorhang gehüllt. Sie sollte Parsifal eigentlich verführen, das aber lässt die Personenführung nicht zu.

Parsifal
© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Der Speer, den Parsifal holen soll, steckt in einem Riesengehirn, dass dann im dritten Aufzug noch einmal. In goldener Rüstung kehrt Parsifal auf die Gralsburg zurück. Die leuchtende Aue wird in Kitschbildern über den Krankenhaussaal projiziert. Amfortas wirkt in seinem Pyjama mit eingebundenem Kopf wie ein Kriegsverletzter – mehr nicht. Der einzige Moment, dem man dieser Produktion zugute halten kann, ist das Ende. Kundry ist erlöst. Sie darf den Gral enthüllen.

Nicht weniger erstickend als Hermanis’ Regie ist Bychkovs Dirigat. Zwar erzeugt er im ersten Aufzug einige magische Momente. Aber er versucht das von Wagner sogenannte "Bühnenweihfestspiel" zu zelebrieren. Er dehnt und dehnt und braucht am Ende zwanzig Minuten länger als die meisten seiner Kollegen. Das erstickt jede Emotion. Ein Wunder, dass die Sänger dem trotzen konnten.

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Christopher Ventris, der zu den bewährten Wagner-Sängern unserer Zeit zählt, verzaubert mit seinem klaren Tenor. René Pape ist in jeder Hinsicht in Ausdruck und Stimmführung einer der Besten seines Faches und möglicherweise der Gurnemanz der Gegenwart. Nina Stemme ist stimmlich eine überragende Kundry. Gerald Finley überzeugt als Amfortas. Jochen Schmeckenbecher bleibt ein unauffälliger Klingsor, Jongmin Park ergänzt als Titurel.

Es wäre kein Schaden, wenn diese Produktion so rasch wie möglich ersetzt wird.

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn