Talken wir bald alle English?

Unsere Sprache macht Stimmung. Sie weckt Gefühle und übermittelt Informationen. Damit die gewünschte Wirkung, nämlich Verständnis beim Empfänger, entsteht, muss der Sender nicht nur präzise, sondern vor allem einfühlsam formulieren. Es geht um Emotionen, nicht bloß um Wissensübermittlung. Um Empathie, wie Stephen Hawking gegen Ende seines Lebens betonte

von LIEBES LEBEN - Talken wir bald alle English? © Bild: Nathan Murrell

Allein die Fähigkeit zu Empathie, sich in andere einzufühlen und zu ermessen, wie es ihnen geht, könne die Menschheit vor dem Untergang bewahren, so das mahnende Vermächtnis des Astrophysikers Hawking. Gefühle übertragen sich nun nicht nur beim Schweigen, sondern vor allem durch Worte. Denken wir einmal an Schlagzeilen, die heftige Emotionen wecken. Indessen gelten "bloße Worte" wie etwa Beleidigungen als psychische Gewalt und zählen zu den strafbaren Delikten. Unsere Alltagssprachen, und längst nicht nur Fachsprachen, strotzen von immer mehr Anglizismen. Sie können jeden Tag mitzählen, wie viele englische Wörter unsere vormals gewohnten Begriffe zunehmend verdrängen. Von "Kids" für Kinder über "Keywords" für Schlüsselwörter und connecten für Kontakt knüpfen, nicht mal die Älteren unter uns sind frei von Vokabular aus dem angloamerikanischen Raum.

Vor allem in Fachsprachen dienen englischsprachige Ausdrücke zu Präzisierungen und internationaler Kommunikation. Gerhard Marterbauer, Partner von Deloitte, kennt diese Entwicklung: "Im wirtschaftlichen Alltag werden oftmals Anglizismen verwendet. In internen Fachgremien ist es ebenfalls üblich, englische Fachbegriffe einzusetzen." Der Begriff der Nachhaltigkeit werde in Gesprächen mit Kundinnen und Kunden benutzt, in Fachgremien aber beispielsweise statt von Nachhaltigkeit eher von "Sustainability" gesprochen. Gerhard Marterbauer: "Sustainability bedeutet Nachhaltigkeit. Beide Bezeichnungen werden oftmals alternierend eingesetzt. Mittlerweile hat sich Sustainability in Fachkreisen bereits als Synonym etabliert. Ich verwende im Beratungsalltag Nachhaltigkeit und Sustainability gleichrangig."

Wie kann man Menschen ohne Wirtschaftsstudium vor solchem Fachvokabular die Angst nehmen? Denn Sprache - vor allem, wenn man sie wie sprichwörtliches "Fachchinesisch" nicht versteht -kann neben sozialer Distanz auch zwischenmenschliche Kälte schaffen, ja sogar Ohnmachtsgefühle, Depressionen und Ängste auslösen. Wirtschaftsexperte Marterbauer setzt auf Klarheit und menschliche Zugewandtheit: "Man muss den Menschen die Begriffl ichkeit des Fachvokabulars ausführlich und anschaulich erläutern. Mit diesem Wissen sollten die betroffenen Menschen auch die Angst vor einer allfälligen Blöße in Diskussionen verlieren und selbst aktiv Fachvokabel einsetzen können -oder auch ganz bewusst darauf verzichten, um sich entsprechend vom Mainstream abzuheben. Je klarer und unmissverständlicher man spricht, umso eher kommt man auch mit seinen Themen und Botschaften beim Gegenüber an."

Die Tendenz, deutsche Wörter durch englische zu ersetzen, hat sich in Technik, Medizin und in der digitalen Kommunikation längst etabliert. Menschen bedienen sich, auch wenn sie kein Schulenglisch hatten, für jedermann und ganz easy als App verfügbarer, sagen wir konkreter downloadbarer Übersetzungsprogramme, um mit anderen zu talken, connecten, chillen, flirten, chatten und bei Bedarf, wenn ihnen die Beziehung zu eng wird, das Gegenüber zu ghosten. Man will "hip", "smart" und "on top" sein, ein positives Mindset haben und verliert sich zunehmend in englischen Trendbezeichnungen. Übrigens betrachtet Sigmund Freud auch oder gerade das Business so wie künstlerisches Schaffen als Akte der Sublimierung, also Einsatz von libidinöser Energie. Soll heißen: Wer im Beruf gut ist, macht seinen Job aus Leidenschaft und eben nachhaltig.