Ein bisserl
Weltmeister

In Russland wollen die Deutschen erneut Weltmeister werden. Bei uns sind sie es bereits – zumindest ein bisserl: Marco Rose wurde mit Salzburg Meister, Heiko Vogel mit Sturm Graz Cupsieger, Franco Foda coacht das Team. Aber was macht „unsere Deutschen“ so erfolgreich?

von Fußball - Ein bisserl
Weltmeister © Bild: Matt Observe

Sie und wir, dort der übermächtige Nachbar, hier der unterprivilegierte Underdog: „Piefkes“ nennen die Kleinen in unverhohlener Verachtung die Großen, „Ösis“ die Großen mit hämischem Mitleid die Kleinen. Und über dem Ganzen schwebt, hartnäckig wie die Boden­nebel im Bierzelt, auch noch nach 40 Jahren der Mythos von Córdoba. Österreich drei, Deutschland zwei, Österreich Sieger der Herzen, Deutschland rausgekickt und heimgeschickt.

Und dennoch: Immer wieder versuchte man hierzulande, zumindest einen Teil des deutschen Fußballglanzes auf Österreich und dessen Liga abstrahlen zu lassen. Wenn Deutsche bei uns als Trainer werken, so das nüchterne Funktionärskalkül, so müsse die Expertise aus dem Land des mittlerweile vierfachen Weltmeisters über kurz oder lang ja auch die Wadeln der heimischen Kicker beflügeln. Die „deutschen Tugenden“ werden da immer und immer wieder heraufbeschworen, diese angebliche Fähigkeit, das Glück gegen jede Wahrscheinlichkeit und gegen jeden Spielverlauf zu erzwingen. Und das martialische Kollektiv über den genialischen Schlendrian zu stellen.

Große Namen, große Klappe

In den vergangenen 25 Jahren standen in der österreichischen Liga nicht weniger als 29 deutsche Trainer unter Vertrag. Absolute Winner wie der nunmehrige deutsche Teamchef Joachim Löw waren darunter, der noch mit dem konkursreifen FC Tirol Meister wurde, dann aber von der Wiener Austria engagiert und von Präsident Frank Stronach trotz Erfolges gefeuert wurde. Erst sein Rausschmiss durch den kauzigen Milliardär begründete seine Karriere beim Deutschen Fußball-Bund. Aber auch große Namen mit noch größerer Klappe waren unter den Trainer-Legionären: Lothar Matthäus etwa erreichte mit Rapid gerade einmal Rang acht, die schlechteste Platzierung aller Zeiten (Tops und Flops aus Deutschland siehe Kasten auf Seite 90).

Doch so erfolgreich wie heuer waren deutsche Trainer in Österreich noch nie: Marco Rose wurde mit Salzburg Meister und stieß ins Semifinale der Europa ­League vor; Heiko Vogel wurde mit Sturm Vizemeister und Cupsieger; ja, und Franco Foda wurde sogar zum österreichischen Teamchef bestellt. Drei Deutsche, drei ­österreichische Erfolgsgeschichten.

„Ich bin zumindest ein halber Österreicher“

ÖFB-Teamchef Franco Foda weiß genau, wie die heimischen Kicker ticken. Seit über 20 Jahren arbeitet er im österreichischen Fußball – dennoch bleibt er in Wien auch weiterhin nur Hotelgast

© Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. „Die wichtigsten Eigenschaften eines Trainers sind soziale Kompetenz und ehrliche Kommunikation“

Die Emotionen würden erst unmittelbar vor dem Spiel hochkommen, vielleicht auch gar nicht, sinniert Franco Foda in einem Café in Graz-Waltendorf, unweit seines Hauses. Obwohl: Das Länderspiel am Samstag gegen sein Heimatland Deutschland ist für ihn als Österreichs Teamchef dann doch wieder etwas Besonderes. Immerhin geht es gegen den amtierenden Weltmeister. Und DFB-Bundestrainer Joachim Löw war einmal sein Coach in Stuttgart, dessen Assistent Thomas Schneider sein Mitspieler. Man kennt sich also mehr als gut, seit Jahrzehnten.

Statt mit Gefühlen beschäftigt sich der 52-jährige gebürtige Mainzer aber viel lieber mit möglichen Aufstellungs- und Taktikvarianten. Foda: „Der moderne Fußball ist extrem flexibel. Man legt sich nicht mehr stur auf ein bestimmtes System fest, man verändert taktisch von Spiel zu Spiel oft sehr viel, um den jeweiligen Gegner zu überraschen.“

Als der ÖFB Ende Oktober 2017 Franco Foda als neuen Teamchef präsentierte, hielt sich die Überraschung in Grenzen. Schon einmal, 2011, zählte er zum engsten Favoritenkreis für das höchste Traineramt des Landes. Damals hatte er mit Sturm gerade sensationell den Meisterteller nach Graz geholt. Sein Erfolgsgeheimnis: unbändiger Teamgeist, bedingungsloser Einsatz, absolute Disziplin auf dem Spielfeld – und auch außerhalb. Diese Tugenden verlangt Franco Foda nicht nur von seinen Spielern, er lebt sie auch konsequent vor. Auch mit 52 Jahren hält er sich durch tägliches Workout topfit.

Die wichtigste Eigenschaft eines erfolgreichen Trainers sei „soziale Kompetenz“, sagt Foda: „Es gibt Spieler, die haben eine besonders hohe Eigenmotivation. Und es gibt andere, die müssen mehr von außen, also vom Trainer beeinflusst werden. Der Schlüssel dazu ist eine ehrliche Kommunikation.“

Als Teamchef ist er sehr viel unterwegs, ob in Österreich, Deutschland oder England. Das sei für ihn die größte Umstellung: „Früher stand ich als Klubtrainer jeden Tag mit der Mannschaft auf dem Platz. Jetzt habe ich meine Spieler höchstens alle zwei Monate bei mir. Man muss daher relativ schnell herausbekommen, wie einer tickt, welche Kanäle man bei ihm ansprechen muss, dass er entsprechend funktioniert.“

Ein Pendlerleben

Franco Foda hat zwar ein Büro in der ÖFB-Zentrale im Happel-Stadion, mehr als zwei, drei Tage am Stück ist er aber selten in Wien, dann nimmt er sich ein Hotelzimmer. Graz ist und bleibt sein „Ankerplatz“. Seine Frau Andrea und die beiden Söhne Sandro und Marco hätten sich von Anfang an in der Steiermark wohlgefühlt: „Egal, wohin es mich als Trainer in der Zukunft hinverschlägt, Graz wird immer unser Hauptwohnsitz bleiben. Gerade in diesem Job ist es extrem wichtig, dass du einen Rückzugsort hast, wo du dich mit deiner Familie wohlfühlst und wo du abschalten kannst.“

Seit mehr als 20 Jahren lebt und arbeitet Franco Foda in Graz, ab 1997 als Abwehrchef und verlängerter Arm von Trainer und Vorbild Ivica Osim auf dem Spielfeld (zwei Meistertitel, ein Cupsieg, drei Champions-League-Teilnahmen). Unmittelbar nach dem Karriereende 2001 wechselte er auf die Trainerbank, zunächst bei den Sturm-Amateuren, dann als Chefcoach. „Ich bin zumindest ein halber Österreicher. Auch deshalb ist für mich die Funktion des Teamchefs eine große Ehre – aber auch eine große Herausforderung.“

„Die Wahrheit kostet sehr viel Energie“

Salzburgs Meistermacher Marco Rose war ein Durchschnittskicker, der für das Team rackerte – und genau das fordert er jetzt von seinen Spielern

© Copyright 2017 Matt Observe - all rights reserved. „Ich bin in der DDR groß geworden, da musste man sich klaren Hierarchien und Vorgaben hingeben“

Blumig ist nur der Name, die Stimme ist ruhig und tief: „Man muss bereit sein, hart zu arbeiten, zu investieren, sich in jedem Training zu beweisen“, sagt Marco Rose. „Ich muss das Gefühl haben, dass der Spieler bereit ist, sich für die Gruppe auch aufzuopfern und sein eigenes Ego hintanzustellen.“ Eigentlich, befindet Rose, seien das ja ganz einfache Punkte. Und wenn man die lebe, habe man bei ihm schon ganz gute Karten.

Rose, der gebürtige Leipziger, ist derzeit so etwas wie Österreichs Link zur ganz großen Fußballwelt – erstens, weil der 41-Jährige mit Red Bull Salzburg heuer bis ins Semifinale der Europa League vorstieß. Und zweitens, weil er als Kicker bei Mainz 05 sechs Jahre unter Jürgen Klopp lernte und mit dem nunmehrigen Star-Coach des FC Liverpool noch heute auf gutem Fuß steht. „Kloppo ist sicher einer, der mich sehr geprägt hat.“

Was Rose an Klopp besonders schätzt: dass er zu ihm, dem Durchschnittskicker, stets ehrlich gewesen sei. „Wenn ich gewusst habe, woran ich bin, konnte ich mit vielen Dingen leben – auch wenn die Wahrheit vielleicht unangenehm war.“ Und genau diesen Anspruch stelle er nunmehr als Trainer an sich selbst. „Nämlich den Jungs die Wahrheit ­rüberzubringen.“ Das koste unglaublich viel Energie, weil man sehr, sehr viel erklären müsse und trotzdem nicht ­immer verstanden werde.

Kind des Ostens

In der Sache konsequent zu bleiben und dennoch nie persönlich zu werden, das ist aus Roses Sicht die Gratwanderung, die ein erfolgreicher ­Trainer tagtäglich beschreiten müsse. „Ich bin nicht frei davon, auch mal übers Ziel hinauszuschießen. Allerdings sehe ich Fehler auch ein und kann mich dafür entschuldigen.“

Rotation 1950 Leipzig, Lokomotive Leipzig, VfB Leipzig – als Junior und junger Profi wurde Rose im Osten sozialisiert, ehe er, ein Jahr nach dem Mauerfall, mit 24 Jahren in den Westen zu Hannover 96 wechselte.

„Ich bin in der DDR groß geworden, da war der Leistungssport schon sehr stark durchgetaktet, man musste sich klaren Hierarchien und Vorgaben hingeben“, erinnert er sich. Als er in den Westen kam, habe er dann aber relativ rasch verstanden, was es heiße „Team­sport zu leben“: „Ich war ein Spieler, der jetzt keine außergewöhnlichen Fähigkeiten hatte, das heißt, ich musste immer die Themen Mentalität, Einstellung und Teamfähigkeit betonen.“ Vielleicht, sinniert er, habe er das auch als Trainer beibehalten. „Das sind nun einmal Dinge, die mich geprägt haben.“

Weggefährten bezeichnen Rose, den Vater einer zehnjährigen Tochter, als überlegt und besonnen, er selbst sieht sich als „absoluten Gerechtigkeitsfanatiker“: „Ich hatte schon immer den Anspruch und das Gefühl, dass Dinge gerecht ablaufen müssen und dass man sich Dinge verdienen muss – und wenn das nicht passiert, finde ich das falsch.“

Und Rose hat sich die Dinge verdient. Schritt für Schritt. Als er vor fünf Jahren aus Leipzig nach Salzburg, genauer gesagt, in eine Zweizimmerwohnung in der deutschen Grenzstadt Bad Reichenhall, übersiedelte, wurde er bei Red Bull Trainer der U16-Mannschaft – nicht gerade ein Glamour-Job. Doch Rose wuchs gemeinsam mit „seinen Jungs“, übernahm die U18-Truppe und führte schließlich die U19-Mannschaft zum Sieg in der Youth League, der Champions League des Nachwuchses. Erst im Vorjahr, als Óscar García den Salzburgern abhandenkam, avancierte Rose zum Cheftrainer.

Seither buhlten deutsche Bundesligisten um den Shoo­tingstar, zunächst war er als Dortmund-Trainer im Gespräch, dann bei RB Leipzig in seiner Heimatstadt. Doch Rose ließ sich nicht blenden und verlängerte erst vor wenigen Tagen seinen Kontrakt mit den Salzburgern. „Ich glaube nicht, dass es mir guttun würde, mich jetzt als Superstar zu fühlen.“ Wie sollten denn die Spieler am Boden bleiben, wenn der Trainer abhebt?

„Ich zitiere aus dem Dschungelbuch“

Heiko Vogel ist der Wolfsflüsterer unter den Bundesligatrainern: Der Erfolgscoach von Sturm Graz predigt in der Kabine gerne die Gesetze der Wildnis

© Copyright 2018 Matt Observe - all rights reserved. „Was ist der Sinn? Der Sinn ist in diesem Moment, und nur in diesem Moment, der Sieg – der Sieg und sonst nichts“

Dieser Deutsche spricht schneller, als viele Österreicher dribbeln. Und er hat, wie er selber sagt, ein Faible für eingängige Metaphern. „Weil das menschliche Gehirn nun einmal besser über Bilder funktioniert.“ Ankick Heiko Vogel.

„Ich vergleiche Fußballer sehr gerne mit Wölfen“, sagt der Mann, der in der Winterpause Sturm Graz übernahm und die Steirer auf Anhieb zum Vizemeistertitel und zum Cupsieg führte. „Denn auch wenn jeder einzelne Wolf eine Killermaschine ist, braucht er zum Überleben das Rudel.“

Und genau so verhalte es sich im Grunde genommen auch mit Fußballmannschaften: Die Alpha-Wölfe, das seien die, die vorausmarschieren, die Einpeitscher, die Leader. Die Beta-Wölfe, das seien jene, die man im Fußballjargon auch sträflich unterschätzend „Wasserträger“ nennt. Ja, und schließlich die Omega-Wölfe, das seien die „Hofnarren“. Auch die brauche es in einer intakten Mannschaft, das seien nämlich jene Spieler, die deeskalieren und die Truppe in kniffeligen Situationen bespaßen. „Deswegen“, sagt Heiko Vogel, „zitiere ich in der Kabine gerne aus dem Dschungelbuch.“

Blut und Tränen

Doch um seine Truppe auf ganz spezielle Spiele, auf Spiele, bei denen es um alles oder nichts geht, einzuschwören, bemüht der aus Wachenheim, Rheinland-Pfalz, stammende Erfolgscoach auch schon einmal den britischen Staatsmann Winston Churchill. Besonders die legendäre „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“ sei da kabinentauglich. „Denn das Ganze kulminiert ja doch letztlich in der Frage: Was ist der Sinn? Und der Sinn ist in diesem Moment, und nur in diesem Moment, der Sieg – der Sieg und sonst nichts“, erklärt Vogel.

Die Vita des 42-jährigen Fußballexperten ist durchaus ungewöhnlich. Und würde es seinem Sinn für frische Metaphern nicht diametral zuwiderlaufen, man wäre fast versucht, von einem bunten Vogel zu sprechen: Als aktiver Fußballer brachte er es gerade in die dritte Liga, ehe ihn eine Knöchelverletzung bereits mit 20 Jahren zur Beendigung seiner Karriere zwang. Er studierte Sportwissenschaften, machte dann die Ausbildung zum Fußballlehrer und fasste als Nachwuchstrainer beim großen FC Bayern Fuß. Später wechselte er zum FC Basel, den er sogar in die Champions ­League führte – ehe er zu den Bayern zurückkehrte, es dort bis zum Coach der zweiten Mannschaft brachte und so mit zwei Weltklassetrainern zusammenarbeitete.

Von Pep Guardiola habe er sich die Akribie abgeschaut, die Fähigkeit, jedes Spiel und jeden Gegner in winzigste Einzelteile zu zerlegen. Von Carlo Ancelotti die Gelassenheit und den Verzicht auf sture Korsetts.

„Aber“, resümiert Heiko Vogel, „am Ende ist jeder Trainer auf seine eigene Art ein Besessener.“ Und Vogel wäre nicht Vogel, wenn er nicht auch dafür eine Metapher parat hätte: „Lassen Sie es mich so sagen: Ich bin kein Zen-Meister.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 22 2018

Kommentare