Die Strafakte Fußball

Der kriminelle Kick. Von Messi bis Ronaldo – die Superstars der WM sind vor dem Gesetz längst keine unbeschriebenen Blätter mehr. Absolutes Lieblingsfoul der Ballkünstler ist Steuerhinterziehung im ganz großen Stil Der Hintergrund. Verdirbt Fußball den Charakter? Was treibt die Täter? „Eitelkeit“, sagt Ex-Vereinsboss Hannes Kartnig, der wegen Betrugs einsaß. „Naivität“, sagt Ex-Star Sanel Kuljić, der wegen Erpressung inhaftiert war

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Sport - Die Strafakte Fußball

Sie schießen ins Tor. Oder immerhin aufs Tor. Oder zumindest Richtung Tor. Doch obwohl sie dafür fürstlich entlohnt werden, schießen viele von ihnen auch oft und gerne übers Ziel hinaus. Sieht man von gelegentlichen Kneipenraufereien, Rotlichtausflügen und Verkehrsdelikten im kleineren und größeren Stil nach kleinerem oder größerem alkoholischem Vorspiel ab, so gehört Steuerhinterziehung zu den Lieblingsfouls der kleineren und ganz großen Fußballstars. Auch Erpressung und Spielmanipulation sind längst gängige Matchpraxis. Die schillerndsten Figuren der Weltmeisterschaft in Russland – sie stehen nicht nur für höchste Fußballkunst, sondern längst auch schon für den kriminellen Kick.

Lionel Messi, der Mann, der Argentinien zum Titel führen soll – unter normalen Bedingungen müsste er bereits im passiven Abseits einer Zelle dunsten: Schon zwischen 2007 und 2009 soll er im großen Stil Steuern hinterzogen haben und wurde von einem spanischen Gericht auch zu 21 Monaten Haft verurteilt. Da der begnadete Trickser aber ein Ersttäter war, erließ man ihm die unbedingte Haft.

Doch dabei blieb es nicht: Wie aus Dokumenten der Enthüllungsplattform „Football Leaks“ hervorgeht, hat Messi Ende 2016 unter dem Druck erneuter Steuerprüfungen still und heimlich an die zwölf Millionen Euro an den Fiskus nachgeliefert. Genauer gesagt war es sein Dienstgeber, der FC Barcelona, der Messis Außenstände übernahm, um nicht seinen wichtigsten Imageträger an die Justiz zu verlieren. Der Verein hatte zuvor immer wieder fette Summen an Messis Privatstiftung überwiesen, aber die humorlose Behörde erblickte in den diskreten Geldflüssen doch tatsächlich einen Teil des steuerpflichtigen Einkommens.

Dribbling gegen die Justiz

Aber auch Cristiano Ronaldo, die Leitfigur des amtierenden Europameisters Portugal, liefert sich – parallel zu seinen Auftritten in Russland – ein erbittertes Match mit der iberischen Justiz. Worum geht es? Der Mann mit dem fotogenen Luxuskörper soll über den Umweg diverser Briefkastenfirmen 150 Millionen Euro an Bildrechten lukriert haben. Dabei, so der Vorwurf der Fahnder, habe er knapp 15 Millionen Euro, die von Rechts wegen dem Staat zustünden, geflissentlich in die eigenen Taschen abgefälscht.

„Ich habe niemals etwas verborgen und auch nie die Absicht gehabt, Steuern zu hinterziehen“, versicherte Ronaldo betreten. Und dermaßen viel Ehrlichkeit, befindet er, möge doch auch tunlichst vom Fiskus honoriert werden: 15 Millionen Steuernachzahlung und im Gegenzug Straffreiheit, das wäre aus Sicht des Dribbelkünstlers ein durchaus akzeptabler Deal.

Noch eine weitere planmäßige Offensivkraft dieser Weltmeisterschaft rüstet sich in den Spielpausen zur dicht gestaffelten Verteidigung: Luka Modrić, Regisseur von Real Madrid und Kapitän des kroatischen Nationalteams. Ihm könnte sein Naheverhältnis zu Zdravko Mamić, einer der zwielichtigsten Figuren des kroatischen Fußballs, zum Verhängnis werden.

Der ehemalige Präsident von Dinamo Zagreb soll im Zuge von Spielertransfers 15 Millionen Euro unterschlagen und entsprechend wenig Steuern abgeführt haben. Der Mann, den man am westlichen Balkan halb ehrfürchtig, halb verachtend den „Paten“ nennt, gilt als Experte für Scheingeschäfte – und Ziel von platzierten Weitschüssen: Im Herbst des Vorjahres ballerte ihm ein bis heute Unbekannter mit einer Pistole ein Loch ins Bein, erst dieser Tage verurteilte ein kroatisches Gericht das Attentatsopfer zu sechseinhalb Jahren Haft. Der Angeklagte selbst war nicht anwesend, sondern rechtzeitig in Bosnien untergetaucht. Wohl aber Luka Modrić, sein prominentester Klient, als Zeuge.

Und da sich der nunmehrige Spanien-Legionär in Zusammenhang mit seinem von Mamić eingefädelten ersten Auslandstransfer nach England zu Tottenham Hotspur immer wieder in Widersprüche verstrickte, wird ihm nun selbst der Prozess wegen Falschaussage gemacht. Theoretisch drohen Modrić bis zu sechs Jahre Haft. Im Vergleich dazu nimmt sich die eine Million Euro, die er unlängst bei seinem Finanzamt wegen zu knapp bemessener Steuerzahlungen nachreichen musste, fast schon bescheiden aus.

© Copyright 2018 Matt Observe / Matthias Obergruber, all rights reserved. Hannes Kartnig. Schwarzgeldzahlungen an Spieler, schwerer Betrug: Hannes Kartnig wurde zu 5,5 Millionen Euro und drei Jahren Haft verurteilt. Nach Ende der teilbedingten Haftstrafe beantragte er Privatkonkurs

Schwergewicht am Boden

Doch weshalb sind es immer wieder und immer öfter Fußballer und Vereinsbosse, die ins Visier der Justiz geraten? Warum ist der grüne Rasen mittlerweile untrennbar mit schwarzem Geld verbunden? In Österreich können darüber zwei Männer beredt Auskunft geben, die nach aufsehenerregenden Prozessen stellvertretend für die schiefe Optik des Fußballs stehen:

Hannes Kartnig, 66, einstmals polternder Präsident von Sturm Graz, führte die Steirer zu ihren ersten zwei Meistertiteln, zu drei Cupsiegen und dreimal in die Champions League, davon einmal sogar in die K.-o.-Phase. Doch dann ging das Schwergewicht selbst zu Boden: Wegen schweren Betrugs, grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen und Steuerhinterziehung wurde Kartnig zu drei Jahren Haft und 5,5 Millionen Euro Strafe verurteilt. Für einen Gutteil der Zeit trug er statt der branchenüblichen Schienbeinschützer die Fußfessel.

Doch während er saß, traf er justament in seiner Zelle in der Justizanstalt Graz-­Jakomini auf einen alten Branchenkollegen: Sanel Kuljić, 40, einst hoffnungsvoller Nachwuchskicker, später Torschützenkönig und Nationalspieler – und in der dritten Halbzeit wegen Spielmanipulation, Erpressung und Nötigung zu fünf Jahren Haft, davon fast drei unbedingt, verurteilt.

„Eigentlich ist der Hannes ein echter Teddybär, das einzig Unerträgliche an ihm ist sein Schnarchen“, sagt Kuljić über Kartnig. „Der Sanel meinte es nie böse, er war einfach zu gutgläubig“, sagt Kartnig über Kuljić, „aber der Häf’n hat ihm schwer zugesetzt, er ist halt nicht ganz so robust wie ich.“ Zwei Sportsfreunde, die sich fanden. Zwei Täter, befanden die Gerichte. Auch zwei Opfer des Systems Fußball?

Blaue Bermudashorts, ein weißes, dezent bedrucktes Leinenhemd: Hannes Kartnig wirkt heute nicht mehr wie eine der mächtigsten Figuren des heimischen Sports, eher wie ein rüstiger Pensionist auf Mallorca. Seinen Rolls-Royce hat er längst verkauft, und auch den Haifisch, den er im Aquarium hielt, gibt es mangels finanzierbaren Meerwassers nicht mehr. Um seine Millionenschulden loszuwerden, hat Kartnig Privatkonkurs angemeldet. Sein stattliches Haus am Stadtrand hat er zwar noch, das darf nicht veräußert werden. Ansonsten, sagt er, lebt er von 1.400 Euro Pension und seinem erfolgreichen Sohn. Und von der Einsicht, wie schön das Leben sein kann, wenn man, wie er hofft, eine Krebserkrankung endgültig überstanden hat. Und weit, weit weg vom Fußball ist.

„Wenn du da drinnensitzt, hinter Gittern, zwischen dem Abschaum der Menschheit, und die Tür geht hinter dir zu, da fängst zu schon zu grübeln an“, erzählt er. „Einmal ging es mir kurz so dreckig, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen wollte, damit das alles vorbei ist.“ Doch zum Glück sei da Zellengenosse Kuljić gewesen und dessen Beruhigungspillen, und so habe er sich rasch wieder eingekriegt.

Einerseits, sinniert Kartnig, habe er ja nur das gemacht, was in diesem Sport alle gemacht haben, nämlich schwarz bezahlt. „Du kommst ja gar nicht auf die Idee, dass da was passieren könnte, das System des steuerschonenden Arbeitens habe ich ja nicht erfunden, sondern nur übernommen.“ Noch heute gebe es hohe Finanzbeamte, die ihm aufrichtig dankbar seien. Denn nach seiner Verurteilung habe die heimische Fußballbranche schlagartig viel, viel mehr Steuern abgeführt.

Andererseits ist da aber auch diese Spirale aus Erfolgshunger und Geltungsbedürfnis, die einen runterzieht, ohne dass man es rechtzeitig merkt – zu schön, zu trügerisch sind die Triumphe. „Ich wollte was erreichen, keines von diesen kleinen Funktionärwürsteln sein“, sagt Kartnig heute. „Natürlich kommt dann auch die Eitelkeit dazu – wenn ich das abstreiten würde, wäre ich absolut unehrlich.“

Reine Seide, falsche Freunde

Da war der erste Meistertitel für Sturm, für Graz, für die Steiermark. 100.000 Menschen, sagt Kartnig, säumten bei der Feier den Hauptplatz, eine Konfettiparade, wie sie die Stadt noch nicht gesehen hatte. „Ich wollte die Leute glücklich machen, und das ist mir gelungen.“ Trainerguru Ivica Osim werkte am Spielfeldrand, am Platz standen Kicker wie Vastić, Reinmayr, Haas, das legendäre „goldene Dreieck“, das in Sachen Kombinationsfußball für Österreich völlig neue Maßstäbe setzte. Allesamt keine Schnäppchen, gewiss. Doch da war Kartnig, der Mann mit dem Seidenanzug und der fetten Zigarre, der das nötige Kleingeld aufstellte. Woher es kam, das interessierte damals noch keinen. Ganz im Gegenteil.

„Die Firmenchefs, die Leute aus der feinen Gesellschaft haben sich angestellt, um mit mir zu frühstücken“, erinnert sich der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Krösus im Ruhestand. Sogar die Organisatoren der Grazer Opernredoute wollten Kartnig in straffe Manndeckung nehmen, wollten, dass er, analog zu Richard Lugner in Wien, internationale Promis auflaufen lässt. Die Eigendynamik eines vermeintlichen Fußballwunders!

Erst vor Kurzem hat Kartnig einen Ausflug auf den Pogusch gemacht. „Jessas, der Herr Kartnig“, habe da eine Frau, die ihm völlig unbekannt war, zu ihm gesagt, „wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“ Kartnigs knappe Antwort: „Nein, danke, lieb von Ihnen, aber g’sessen bin ich genug.“

Weiter Querpass von Graz ins Umland von Wien: Früher, als Frank Stronach bei der Wiener Austria noch sein krudes Regiment führte und im Gegenzug verlässlich die Kassen füllte, residierte Sanel Kuljić mit seiner Familie feudal in Oberwaltersdorf. „Herr Kuljić, Sie waren ein Fußball­gott, ein Vorbild“, sagte die Richterin, ehe sie den Mann mit dem ausgeprägten Torriecher und dem vergleichsweise verkümmerten Rechtsempfinden ins Gefängnis schickte.

Albanische Wettpaten, österreichische Kicker als willfährige Erfüllungsgehilfen für dunkle Wettbetrügereien – und Kuljić als Dreh- und Angelpunkt. „An mir wurde vor Gericht ein Exempel statuiert“, sagt der Mann, der dreimal für Österreich traf, ehe die Republik dann zurückschoss. „Aber es stimmt schon, ich bin da in was hineingeraten, was ich nicht kontrollieren konnte – ich hatte Schulden, brauchte Geld.“

Das geräumige Haus in Oberwaltersdorf ist heute nur noch Erinnerung. Und auch der Kontakt zur Familie, zur ersten Frau, zu den beiden gemeinsamen Kindern, ist während der Jahre in Haft abgerissen. Heute lebt Kuljić unerkannt am Stadtrand von Wien und betreut als Hausmann sein 16 Monate altes Söhnchen, während seine zweite Frau eine Boutique betreibt. Der Ex-Star hat sich aus der Welt des Sports fast völlig zurückgezogen, kickt nur noch sporadisch in der zweitniedrigsten Klasse des Wiener Verbandes.

Vom Fußballer zum Umfaller

Aber wie wurde der gefeierte Fußballer zum geächteten Umfaller? „Als mein Vater starb, war ich gerade 17 und Jungprofi bei der Austria Salzburg“, erzählt Kuljić. In seiner Trauer habe er sich gehen gelassen, sich herumgetrieben, gespielt und jede Menge Geld ausgegeben. Zunächst Geld, das er hatte. Dann Geld, das er nicht mehr hatte. Dafür türmten sich daheim die ­Louis-Vuitton-Tascherln und die Gucci-­Sneaker. Es wuchsen die Schulden, es wuchsen die Zinsen, es sanken Vertrauenswürdigkeit und Geduld der Geldgeber. So sehr, dass Kuljić auch in jener Zeit, zu der er als Profi so richtig Fuß fassen konnte, noch tief in den roten Zahlen steckte. „Einerseits war ich schlampig, schlampig, schlampig – andererseits hoffnungslos naiv: Ich habe gut verdient, aber auch zusammen mit den vielen, vielen Schulterklopfern geprasst, die du als Kicker hast.“

Heute ist er überzeugt, dass ihn das System Fußball wie viele andere überforderte: hier ein junger, unerfahrener Mensch, da urplötzlich viel, verdammt viel Marie – und keiner, der aufpasst. „Nämlich weder auf den Menschen noch auf das Geld.“ Hätte er einen Vertrauten an seiner Seite gehabt, sagt er, so würde er heute ­zumindest ein Zinshaus besitzen, von dem er bequem leben könnte.

„Es müsste eine Regelung geben, die das Geld von jungen Kickern bis zum 25. Lebensjahr fix bindet, ehe sie selbst darüber verfügen können – und ehe sich dubiose Manager oder selbsternannte Vaterfiguren darüber hermachen“, sagt Sanel Kuljić.

Wenn Modrić, Messi und Ronaldo bei der Weltmeisterschaft zaubern, wird er vor dem Fernseher sitzen und staunen. Fasziniert, fiebernd – und doch im vollen Bewusstsein dessen, dass die wahren Schicksalsspiele im Hintergrund laufen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 24 2018