Sind die Roten
noch zu retten?

Eine Partei sucht sich selbst und ihre Wähler. Doch ihr Weg zurück ist gepflastert mit hohlen Phrasen und Ratlosigkeit vieler Funktionäre. Braucht die SPÖ neue Gesichter? Muss sie sich neu gründen? Und wenn ja, für wen eigentlich?

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Angezählt - Sind die Roten
noch zu retten?

Hans-Karl Schaller weiß, wie das ist, wenn man als Roter Wahlen gewinnt. Der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats bei der Voestalpine legte bei der Betriebsratswahl im Mai mit seiner Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter auf hohem Niveau noch einmal ordentlich zu. 23 statt 21 Mandate. Die blaue Konkurrenz sackte von drei Mandaten auf eines ab. Hier ist die Welt für einen Sozialdemokraten in Ordnung.

Schaller ist allerdings auch Landtagsabgeordneter der SPÖ in Oberösterreich und darum kennt er auch die dunklen Stunden seiner Partei. Wenn man ihn nach den Ursachen für den Absturz bei der Nationalratswahl fragt, erzählt er zwei Geschichten. "Mir hat einer gesagt, er ist extra in eine Sektion der SPÖ gegangen, weil er wollt denen erzählen, welche Angst er hat. Es ist um Ausländer und Migration gegangen. Die Antwort der SPÖ war: Wir haben da kein Problem. Jetzt ist er FPÖ-Wähler. Normal musst doch sagen: 'Bitte, setz di her da. Wie können wir dir helfen?' Nichts. Dann darfst dich nicht wundern, weil: Jeder will ja ernst genommen werden."

Schallers zweite Geschichte: Im Straßenwahlkampf hat er Manner-Schnitten verteilt. "Da hat mich ein zwölfjähriges Dirndl beobachtet. Ich hab mir gedacht, die will halt auch Schnitten haben, bin hingegangen und wollt ihr welche geben. Und sie hat nur gesagt: 'Ist da Palmöl drin?'" Schließlich half sie dem Politiker, das Kleingedruckte auf der Packung zu lesen. "Und dann hat's ma gesagt, ich kann mir die Schnitten sonst wohin picken."

Irgendwo zwischen Zuwanderung, Klimaschutz und sozialen Fragen liegt das Spannungsfeld, in dem sich die traditionsreiche Arbeiterpartei heute bewegt. "Das sind die Herausforderungen, die wir bewältigen müssen. Wir müssen uns täglich neu erfinden", sagt Schaller.

Nach der Wahl ist vor der Qual

Nur noch 21,2 Prozent gab es bei der Nationalratswahl, jeder in der SPÖ weiß, so kann es nicht weitergehen. Aber keiner weiß, wie dann. Und auch die Parteichefin Pamela Rendi-Wagner gibt den ratlosen Funktionären nicht unbedingt die Richtung vor. In einem Video auf Facebook kündigt sie an, man werde die Partei jetzt "radikal neu denken", ohne Tabus. In der ORF-Sendung "Report" konnte allerdings nicht einmal sie die grundsätzliche Frage, was denn eigentlich das Alleinstellungsmerkmal der SPÖ sei, spontan und eindeutig beantworten: "Das werden wir jetzt entwickeln", sagte sie. Dann: "Eine Sozialdemokratie wird es immer brauchen, soziale Gerechtigkeit kann man nicht abhaken und sagen, das ist erledigt." Aber, das gibt die Parteichefin auch zu: "Wir haben keine emotionalisierende Erzählung."

Rendi-Wagner will diesen Freitag in einer Präsidiumssitzung einen Erneuerungsprozess einläuten. Prominente Funktionäre ihrer Partei fordern mehr als das. Max Lercher etwa, früher Bundesgeschäftsführer und nun als linkes Aushängeschild der SPÖ in den Nationalrat gewählt, will die SPÖ überhaupt gleich neu gründen. Und er ist nicht der Einzige, der von der Struktur über die handelnden Personen bis zum Programm alles neu will.

Einwurf des Politikwissenschaftlers Peter Filzmaier: "Wenn ein inhaltlicher Prozess jetzt in ein Parteiprogramm und Wahlprogramm münden soll, fragt man sich: Hallo? Was haben die Herrschaften eigentlich bisher beruflich gemacht?"

Schlag nach bei Kreisky

Auf dem Weg ins Büro der Sozialistischen Jugend in Wien wandelt man auch auf den Spuren großer roter Zeiten. Auf der Schönbrunner Straße verweist eine Gedenktafel auf jenes Haus, in dem Bruno Kreisky geboren ist. Ganz in der Nähe an der Rechten Wienzeile steht jenes Jugendstilgebäude, in dem früher im Vorwärts-Verlag Parteigeschichte mitgeschrieben wurde. Heute ist dort das Bruno-Kreisky-Archiv untergebracht, in unzähligen Schachteln schlummern die Erinnerungen an jenen Mann, der die Sozialistische Partei und Österreich in den 1970er-Jahren modernisiert hat. In einem grauen Nachkriegsbau in der Amtshausgasse ist das SJ-Büro, das man freundlich funktionell und schmucklos nennen kann. In einem brauen Wandverbau steht ein brauner Bilderrahmen mit einem Zitat Bruno Kreiskys: "Man kann etwas umsetzten, das setzt aber voraus, nicht Angst vor dem Mut, sondern Mut zur Politik zu haben."

Hier ist der Treffpunkt jener jungen Roten, die in paar Jahren entweder das Sagen in der Politik -oder der Politik bis dahin entnervt den Rücken gekehrt haben.

Die Vorsitzende der SJ ist Julia Herr. Fünf Jahre ist es her, da wurde sie bei einem Parteitag der SPÖ als widerborstige Rednerin von der damaligen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek vom Podium gescheucht. Was sich seither in der SPÖ zum Positiven geändert hat - außer dass man sie nicht mehr von der Bühne jagen würde? Jedenfalls nicht das Mitspracherecht für Mitglieder und jene Menschen, die die SPÖ heute noch wählen, kritisiert sie. Wer immer sich der Partei noch verbunden fühlt, soll auch über das Programm und die führenden Köpfe mitentscheiden, sagt Herr: "Wir brauchen keine Hinterzimmerdeals und Ausmauscheleien zwischen einzelnen Funktionärinnen und Funktionären, das hatten wir jetzt lange genug. Jetzt müssen wir die inhaltliche Neuausrichtung mit möglichst vielen Menschen diskutieren, um sie auch zu begeistern."

Kann sie die Frage beantworten, wofür die SPÖ noch steht? "Dass sie Politik für die arbeitenden Menschen macht, ohne Kompromisse", sagt Herr. "Die SPÖ muss so stark für diese Menschen kämpfen wie Sebastian Kurz für seine Freunde aus der Wirtschaft, die Großspenden geliefert haben. Genau darum geht's." Eigentlich, so Herrs Analyse, seien die politischen Fronten so klar wie zu Zeiten der Parteigründung vor 130 Jahren in Hainfeld: "Die Sozialdemokratie wurde gegründet, um das Leben der arbeitenden Menschen zu verbessern. Nichts ist aktueller als das. Die SPÖ muss sich wieder trauen zu sagen: Wir leben in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, das nach Profitlogik funktioniert, und wir schauen seit Jahrzehnten zu, wie Menschen ausgebeutet werden und die Umwelt zerstört wird. Die Löhne sind in den letzten 20 Jahren nicht maßgeblich gestiegen, die Mieten schon. 40 Prozent ihres Lohns müssen Menschen für die Miete abdrücken. Na bitte. Das ist aufgelegt, was die SPÖ jetzt fordern muss." Für Herr sind "die Fronten extrem klar. Die meisten Menschen wissen, dass sie nicht von diesem Wirtschaftssystem profitieren. Dass es eine kleine Gruppe von Personen gibt, die jedes Jahr abcashen, und dass sie selbst nicht dazugehören." Und das sei die Zielgruppe der Sozialdemokraten.

Die SPÖ habe im Wahlkampf die richtigen Themen gehabt, nur die Glaubwürdigkeit war das Problem. "Daher darf man sich nach diesem Wahlergebnis keinesfalls bei Koalitionsverhandlungen spielen. Unsere Forderungen der letzten Wochen - von der sechsten Urlaubswoche über die Rücknahme des Zwölfstundentages bis zu einem neuen Mietrecht und Millionärssteuern -müssen auch am Tag nach der Wahl Gültigkeit haben. Wenn wir die jetzt über Bord werfen und glauben, wir können in eine Regierung gehen - das darf es nicht spielen. Glaubwürdigkeit muss wichtiger sein als Regierungsposten."

Womit allerdings auch ein weiterer Unruheherd bei den Roten angesprochen ist: Es gibt sowohl prominente Gegner einer SPÖ-Regierungsbeteiligung als auch Befürworter. Wieder einmal kann es die Parteichefin fast nicht richtig machen.

Auch der Voestalpine-Betriebsratschef ist längst auf Oppositionskurs: "Dieses Wahlergebnis ist kein Auftrag für eine Regierungsbeteiligung", sagt Schaller. Und gegen den oft gehörten Einwand, die SPÖ sei eine staatstragende Partei, die Regieren eben besser könne als Opposition, donnert er: "Dann lernts es. Was soll denn der Mist? Das ist auch so etwas, was mich stört: diese Sesselkleberei! Um was geht's denn? Um die Funktionen oder um die Leut?"

Und doch will Schaller die Schuld nicht nur bei den anderen suchen. "Ich frage mich selber: Was habe ich falsch gemacht? Warum haben uns die Menschen abgewählt?" Neben den Fragen nach Inhalten und Zielgruppe -"ich sag immer, außer den Reichen, den Hofratswitwen und den Bauern sind alle unsere Klientel" - stellt er allerdings auch das Verhalten einzelner Spitzenfunktionäre in Frage: "Da tut ja jeder, was er will, und es bleibt ohne Konsequenzen. Dornauer in Tirol fällt zur SPÖ nur ein, dass man keine Frauen mit Doppelnamen wählt? Und Schickhofer in der Steiermark? Was ist denn das für eine Solidarität? Ich bin mit meinen Kumpeln gegen den Zwölfstundentag marschiert, und dann kommt in der Steiermark im Landtag ein Antrag gegen ihn und er wird von den Genossen abgelehnt. Und da soll dich wer ernst nehmen?"

Die SPÖ gehöre mit einem starken Vorsitz geordnet, sagt Schaller und will dabei nicht am Sessel der Chefin sägen. "Ich rechne ihr hoch an, dass sie das macht, keiner wollte voriges Jahr die SPÖ übernehmen. Es ist zweitklassig, wenn jetzt Leute auftauchen und sagen, was alles nicht passt." Wünsche hätte aber auch Schaller an Rendi-Wagner: "Wir haben die SPÖ zu viel den Intellektuellen überlassen. Die reden zwar über uns als Arbeiter, aber sind dabei gerne unter sich. Die SPÖ ist zu intellektuell und zerredet alles." Nächster Wunsch: Die Chefin brauche Leute um sich, "die noch nicht satt sind. Die Jungen sprühen vor Ideen, und wenn man sie fragt:'Wollts mitttun?', sagen sie unter diesen Bedingungen nicht." Und: Die SPÖ soll nicht immer nur im eigenen Saft schmoren: "Mir ist immer so auf den Wecker gegangen, dass bei uns immer die Gleichen reden. Was die eigenen Leute sagen, weiß ich eh, ich brauch auch die Meinung von außen dazu."

FC Sozialdemokratie

Max Lercher vergleicht die SPÖ in einem langen Facebook-Text zum Thema Neugründung mit einem Fußballverein. Der hat früher alle Spiele vor ausverkauften Rängen gewonnen. Nun verliert er, doch die Funktionäre rätseln nicht über die Aufstellung, sondern über die Kommunikation mit den Fans und über die Frage, wozu man den Verein überhaupt brauche. "Mittlerweile haben wir eine Situation erreicht, in der wir nicht einmal mehr gewinnen, wenn unsere Gegner nicht mehr auf unser Tor spielen, sondern auf ihr eigenes Tor schießen." Allerdings weiß ein Fußballklub, was seine Aufgabe ist, und die ist schnell formuliert. Die SPÖ hingegen habe hunderte Konzepte im Schrank. "Wir brauchen aber wieder eine gemeinsame Geschichte. Etwas ganz Einfaches, das man auf einen Zettel schreiben kann, das alle verstehen und das jeder von uns unterschreiben kann." Diese Geschichte soll ein Reformparteitag liefern, bei dem alle mitreden dürfen.

Doch ist es wirklich so einfach - und gleichzeitig doch so kompliziert? Die SPÖ sei mit ihren Themen im Wahlkampf gar nicht so schlecht gelegen, sagt Peter Filzmaier. Bildung, Wohnen, Gesundheit sind Zukunftsfelder. Allerdings: "Sie hat in allen diesen Themen die Themenführerschaft verloren." Und sie ist Gefangene ihrer eigenen Vergangenheit. Was immer die SPÖ an Missständen anprangert, sie hat diese durch Jahrzehnte in der Regierung zumindest zugelassen. "Wenn ich jetzt Selbstfindung betreibe, dann darf ich sie nicht mit Leuten aus der dritten und vierten Reihe auf offener Bühne austragen", erklärt er. Denn damit habe die SPÖ die in noch viel größeren Turbulenzen steckende FPÖ fast aus den Schlagzeilen gedrängt und "diese im freien Fall nach unten sogar noch überholt". Dabei sei Pamela Rendi-Wagner gar keine schlechte Spitzenkandidatin gewesen, so Filzmaier, "die Frage ist aber: Ist sie die richtige Parteichefin?" - Gerade jetzt als Noch-immer-Quereinsteigerin nämlich.

Wie lange haben jene, die nun Reformen fordern, noch Geduld mit der SPÖ? Julia Herr: "Man hat ja auch früher Wahlen verloren. Dann hat es geheißen, es geht nicht weiter so, und dann ist es so weitergegangen. In Griechenland ist die Pasok innerhalb weniger Jahre zu einer Fünf-Prozent-Partei hinabgesunken. Wir müssen uns bewusst sein, dass das auch der SPÖ drohen kann. Änderungen sind also alternativlos."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 41/2019) erschienen!