Politexperten sehen
"Stunde der Wahrheit" gekommen

"Rendi-Wagner muss offensiver und präsenter werden" -

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Der Politikberater Thomas Hofer spricht etwa von einer der "defensivsten Startphasen" eines Parteichefs in Österreich in den vergangenen Jahren. "Mit Samstag muss diese Phase beendet werden, sonst fällt es auch den Wählern auf. Rendi-Wagner muss zwingend offensiver und präsenter werden", sagte Hofer der APA.

Nach den Wochen und Monaten der Selbstbeschädigung rund um den chaotischen Obmannwechsel von Christian Kern zu Rendi-Wagner müsse die SPÖ in die Offensive kommen und ihre Kommunikation verbessern. "Das ist jetzt der Zeitpunkt, wo man liefern muss, sonst kriegt die Regierung das nächste Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum gelegt." Vor allem bei den Themen Soziales und Gesundheit sei Türkis-Blau angreifbar.

Ähnlich beurteilt die Lage der Meinungsforscher Peter Hajek: "Die Sozialdemokratie ist ein einem verfrühten Winterschlaf. Man hört sie nicht und man spürt sie nicht von der Wählerseite. Nicht die Bundesregierung ist so gut, abgesehen davon, dass diese wirklich wenig Fehler macht, sondern die Opposition ist so schwach."

In einer vergangene Woche erhobenen Sonntagsumfrage hatte Hajeks Institut die SPÖ bei 24 Prozent gleichauf mit der FPÖ und weit hinter der ÖVP, die auf 35 Prozent kam. "Wir merken eine ganz leichte Abwärtsbewegung. Das zeigt, dass die SPÖ in der öffentlichen Wahrnehmung schlicht zu wenig vorkommt." Rendi-Wagner selbst habe gute Persönlichkeitswerte, aber noch kein ausgefertigtes oder wirklich kantiges Profil. Die Menschen wüssten noch nicht, wo die Reise hingehen soll und was Rendi-Wagner mit der SPÖ möchte. Die SPÖ müssen den Wählern nun ein Gegenkonzept zur Regierung anbieten.

"Man kann dieses Teilvakuum positiv füllen. Dafür wäre der Bundespartei ein guter Zeitpunkt. Wenn man jetzt nicht in die Gänge kommt, gibt es mittel- bis langfristig ein Problem", erklärt Hajek im Gespräch mit der APA. Auch Hofer spricht von der "Stunde der Wahrheit" für die Sozialdemokratie.

OGM-Chef Wolfgang Bachmayer sieht im schlechten Start rund um das Übernahmechaos in der SPÖ mehr Chance als Gefahr. "Die Chance besteht darin, dass man im Prinzip die Möglichkeit hat, in kleinen Schritten in der Wählergunst zu steigen." Von den ersten inhaltlichen Signalen, die das neue SPÖ-Parteiprogramm und der Leitantrag zum Parteitag enthält, zeigt sich der Meinungsforscher aber "ein bisschen enttäuscht". Der Aufbruch, den die erste Frau an der Spitze der SPÖ eigentlich darstelle, spiegle sich dort zu wenig wider. Vielmehr gebe es viel Altbewährtes und Sozialdemokratisches - etwa viele neue Steuern oder die Gesamtschule.

Dass Roboter und Automatisierung in Zeiten der Digitalisierung vor allem als Bedrohung der Arbeitswelt dargestellt würden, findet Bachmayer retro. Zugleich werde das Ziel ausgegeben, dass Österreich der innovativste Standort der Welt werden soll. "Das passt nicht zusammen. Die Tonalität ist eher 'Nach vorne in die Vergangenheit' als das Parteitagsmotto 'Nach vorne'". Einzig die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche quasi als Gegenmodell zur 60-Stunden-Woche der Regierung sei "populistische aber wirksame Kommunikation", so Bachmayer.

Hofer und Hajek empfehlen der SPÖ darüber hinaus Druck und Last in der SPÖ auf mehrere Schultern zu verteilen. "Es konzentriert sich derzeit alles auf die neue Parteichefin. Man hört auch sonst niemanden. Eine erfolgreiche Bewegung besteht immer aus mehreren Playern", so Hajek. Zu zwei bis drei zusätzlichen Akteuren für Themen, die Rendi-Wagner nicht abdecken kann, rät auch Hofer. "Sie muss ein Team um sich positionieren. Kern haben als Bundeskanzler schon die Flügelspieler gefehlt." Laut Hajek braucht es nicht nur eine inhaltliche Neuausrichtung. "Das wird ein langer Weg zurück. Sie muss auch die personelle Ebene stärken."

Bachmayer und Hofer erwarten für Rendi-Wagner ein Wahlergebnis, das deutlich jenseits der 90 Prozent liegt. "Wahrscheinlich wird es besser als wir alle erwarten", glaubt Bachmayer. Alles andere wäre laut Bachmayer eine "Selbstbeschädigung", laut Hofer "Überraschung und zugleich ein Desaster. Das ist die Pflicht, die erledigt werden muss." Das bisher beste Ergebnis bei der erstmaligen Wahl zum SPÖ-Vorsitzenden erzielte 1957 Bruno Pittermann mit 99,6 Prozent, das schlechteste - allerdings in einer Kampfabstimmung - Bruno Kreisky 1967 mit 69,8 Prozent. Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern kam 2016 auf 96,8 Prozent.

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