Keine 24 Stunden nach dem Urteil (der Redaktionsschluss!), und man möchte über dem trostlosen, zur Verzweiflung berechtigenden Fall des Schauspielers Florian Teichtmeister nur noch das Licht löschen. Dem Richter Stefan Apostol habe ich für das saubere, souveräne, gerechte Urteil (und den hart geforderten Laienrichterinnen für sein Zustandekommen) die Bewunderung auszusprechen: Hier wird nichts bagatellisiert, und die Strafen im quasi lückenlos unterbundenen Wiederholungsfall sind drakonisch. Aber Rechtsprechung darf auch nichts mit Reflexen und Emotionen zu tun haben, und vor allem für eine Klarstellung kann man dem Richter nicht dankbar genug sein: Dem bräunlichen Mob, der Teichtmeisters alter Mutter an ihrem (nicht seinem!) Wohnsitz einen Galgen in den Vorgarten gestellt hat, ist hart zu begegnen. Alarmierenderweise allerdings finden sich auch in selbsternannt liberalen Foren Stimmen, die für dieses Pack eine Art Verständnis aufbringen. Der woke Nazi über ideologische Grenzen hinweg wird zur Perspektive, und das ist zum Erschrecken. Aber nicht zum Erstaunen, denn die Selbstjustiz behauptet in nie für möglich gehaltenem Ausmaß ihre Rechte, seit im Gefolge des Aufstiegs der sozialen Medien die Beschuldigtenrechte keine Gültigkeit mehr haben.
Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Keiner der im Folgenden genannten Fälle kann sich in irgendeiner Hinsicht mit der qualvollen Causa Teichtmeister vergleichen. Aber wie da, gegen alle Rechtsstaatlichkeit, mit dem Ziel der Existenzvernichtung losmarschiert wird: Das ist zum Fürchten. Erinnern Sie sich an den beachtlichen Film "Corsage", an dem Teichtmeister mitgewirkt hat? Eine mit Glück und Talent minder ausgestattete Mitbewerberin der Regisseurin Marie Kreutzer hat damals öffentlich zu verstehen gegeben, an dem Film hätte noch ein anderer Täter mitgewirkt. Was er begangen haben soll, war weder Gegenstand einer Anzeige noch einer vertiefenden Klärung. Aber drei namhafte Schauspieler, unter ihnen zwei gänzlich unbeteiligte, sind bis heute Verdächtige.
Und erst die Spätfolgen, um nichts widerwärtiger als das Vorangegangene! Marie Kreutzer, deren Film sich glücklicherweise gegen Zensurbegehren behaupten konnte, muss dennoch fürchten, dass man sie, sicher ist sicher, bei künftigen Auftragsvergaben übersehen wird. Also hat sie bei erster sich bietender Gelegenheit unterirdischen Latrinentratsch gegen Ungekannt vorgebracht, um sich auf diesem Weg unter die redlich Empörten zurückzuintervenieren. Worauf jetzt jeder gemächtinhabende Filmschauspieler unter Verdacht steht, das Gerät zur Unzeit enthüllt zu haben.
Oder das? Vielleicht haben Sie in diesen Tagen eine mikroskopische Meldung über den bedeutenden Mathematiker Niki Popper gelesen: Mitnichten habe er in seiner Dissertation ein Plagiat verübt. Wie es zu dieser niederträchtigen Unterstellung überhaupt kommen konnte? Der "Plagiatsjäger" hat sie in die Welt gesetzt: ein vorgeblicher Wissenschafter, dessen Qualifikationsnachweis darin besteht, sich eine sündteure Software gekauft zu haben. Damit observiert er gegen gigantische Honorare die Publikationen von Personen, die ihn nichts angehen, aber dem Auftraggeber lästig sind. Christian Kern, Bogdan Roscic, jetzt Popper sind nur einige, mit deren Namen der Mann unverzüglich an die Medien gegangen ist, bis dann nichts war.
Oder die Geschichte mit dem mir herzlich unsympathischen bayrischen Politiker Aiwanger: Ohne in die regionalen Verhältnisse eingearbeitet zu sein, fände ich selbst nach flüchtiger Recherche Argumente genug, ihn in keiner Regierung zu wünschen. Nur eines nicht: dass er im Alter von 17 Jahren ein antisemitisches Flugblatt in seiner Schultasche verwahrt hat. Und selbst wenn er es verfasst hätte: Was einem Schulbuben an Verirrungen entwichen ist, hat weder 30 Jahre später noch sonst jemals gegen ihn verwendet zu werden.
Sage ich, der mit Glück und nach längerem Suchen in einer vergessenen Schublade noch den Naziopfer-Ausweis seines Vaters finden könnte.
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